Hirntod als Kulturgut

Fortschrittsglaube Transplantationsmedizin und Organspenderausweis - alles klar?

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Der Mediziner Bernd Hontschick * machte jetzt auf Zeitungsmeldungen aufmerksam, die auch ich gelesen hatte. Sie betrafen Fälle, die eine >eigenartige Häufung< der Diagnose Hirntod darstellen. Es handele sich um >ganz außergewöhnliche Nachrichten vom Tod – und von der Medizin<. >Außergewöhnlich<, das scheint mir beschränkt zuzutreffen. Ritter, Tod und Teufel sind noch eher das Thema als der humane Umgang mit der Wirklichkeit von Leben, Sterben und Tod. Wirtschaftsinteressen der Krankenhaus- und Pharmaindustrie gelten als unantastbar.

Mir scheint der >riskante Tod<, den Bernd Hontschick zur Diskussion stellt, zunächst allgemeinen Zweifel an der Transplantationsmedizin wecken zu können. Ein Zweifel, der tief in unserer Gesellschaft sitzt und erst einmal nur Misstrauen ist gegen ein fremdbestimmtes, manipuliertes Sterben, den dunklen, verschleierten Tod. Im deutschen Falle sind uns die Gründe für das Verbot der >aktiven Sterbehilfe< vielleicht noch geläufig. Aber wir wissen schon nicht mehr sicher, ob der Organspenderausweis nur ein praktisches Hilfsmittel für die >aktive Sterbehilfe< darstellt.

Der 17-jährige Steven Torpe war nach einem Autounfall in der Universitätsklinik Coventry für hirntot erklärt worden. Die Ärzte sprachen die Eltern zwecks Organentnahme an. Doch die ungläubigen Angehörigen zogen eine Ärztin zurate, die Lebenszeichen bei ihrem Sohn erkannte. Die intensivmedizinische Behandlung von Steven Torpe wurde fortgesetzt und war schließlich erfolgreich. Heute studiert der junge Mann in Coventry und hat noch mit einem tauben linken Arm zu kämpfen, schreibt Hontschick.

Der Arzt macht auf eine wichtige Tatsache aufmerksam: >Der Hirntod ist eine Erfindung von Menschen, so wie jede Definition des Todes eine gesellschaftliche Vereinbarung, einen kulturellen Konsens darstellt. Was ist hirntot? < Die aus Sicht des Organempfängers >segensreiche Erfindung< der Transplantation hat für die Fälle der Hirntod - Diagnose eine Kehrseite. Tote Organe können nicht transplantiert werden. Während ihrer Lebenszeit sind sie jedoch mit den Milliarden Nervenzellen des Gehirns und Rückenmarks verbunden. So entsteht im Zeitpunkt der Diagnose zwangsläufig für den >Organspender< ein breit gestreutes Risiko, mit dem Gesellschaft, Politik und Mediziner umgehen müssen.

Es sind nämlich die unterschiedlichen Kulturstandards und das mehr oder weniger aufgeklärte Bürgerbewusstsein, die dafür verantwortlich sind, ob der >Hirntode< möglicherweise weiter leben darf, oder sein Menschenrecht durch eine medizinische Diagnose liquidiert wird. Die politische Expertenmeinung, die Prof. Lauterbach in einem Interview im Anschluss an die Bundestagsdebatte über Transplantationsmedizin äußerte, lautet schlicht, dass die deutsche Diagnose des Hirntods gleich zu setzen sei mit >enthauptet<. Da verliert also nicht nur der Hirntode endgültig sein Leben, auch seinen Angehörigen entschwinden Rechte. Mit Blick auf den englischen Fall von >Fehldiagnosen< zu sprechen, entspricht etwa der typisch deutschen Art, das Problem zu banalisieren. Wir erleben das an dem Propagandageheul zur griechischen, spanischen, italienischen Staatsschuld oder gelegentlich auch bezüglich der sprichwörtlichen >Kulturlosigkeit< der US-Amerikaner.

Nistet sich in den Umgang mit Leben, Sterben, Tod auch nur ein Hauch von geschäftiger Schlamperei oder gar Unaufrichtigkeit ein, wie die Regelungen des völlig ungenügenden Organspenderausweises, haftet an der Transplantationsmedizin der schwer wiegende Verdacht, nicht alles für die Lebenserhaltung eines potentiellen Organspenders zu tun. Würden die Anzeichen sich häufen, die den Verdacht bestätigen, hätte die Transplantationsmedizin das humanmedizinische Bestreben unangebracht eng an Wirtschaftsinteressen gefesselt. Sie käme ohne Selbstverletzungen davon nicht mehr los.

Selbstredend würde diese moralische Wunde bei Menschen virulent, die ihre Organspende zu Lebzeiten als ihren ungewollten, überflüssigen Tod interpretieren. Aus dieser Sicht ist die allenthalben zu hörende Klage über mangelnde Organspendenbereitschaft verstehbar. Das Thema medizinischer Alternativen ist damit noch gar nicht angedacht.

Buchtipps zum Thema, in kompetenter Rezension präsentiert, könnten zu einer wünschenswerten Vertiefung beitragen: 1)Vera Kalitzkus: Dein Tod, mein Leben. Ffm 2009 2)Alexandra Manzei, Werner Schneider Transplantationsmedizin. Kulturelles Wissen und gesellschaftliche Praxis, Münster 2006

* Frankfurter Rundschau Diagnose Riskanter Tod 12./13.05.2012

Autor Ernst H. Stiebeling . Diplomsoziologe. Freier Publizist.

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Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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