Jargon des Wahnwitzes

VW aufklärungsresistent Die elitären VW-Bosse demaskierten ihr 'Unwissen' von schädlichen Abgasen ihrer Motoren als zähen Selbstdestruktionstrieb und störrischen Widerwillen zur Aufklärung

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Die Motor-Abgasmanipulation des VW-Konzerns will keiner aus der Führungsriege wirklich verantworten, sie ist ohne realistische Reformen und Umlernen der Autoindustrie auch kein lösbares Problem

Legende des Vertrauensbruchs

„Eigentlich sollte hier unsere Anzeige zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung stehen.“ Dieser staatsmännische Ton aus dem VW-Konzern in ganzseitigen Anzeigen (*) darf als Ablenkungsmanöver autoritärer Großmannssucht verstanden werden. Diese versucht krampfhaft in Harmonie zu hüllen, wo wir wachsam sein sollten.

„Eigentlich“ wollten sie sich nur „freuen“, „dass Deutschland wieder zu einem Land zusammengewachsen ist.“ „Eigentlich“ wollten sie nur „stolz“ sein, „gemeinsam mit allen dieses Land in den letzten 25 Jahren gestaltet zu haben.“ „Eigentlich“ wollten sie ja nur „Danke“ sagen für das „Vertrauen unserer Kunden“ und den „großen Zuspruch“, den VW „erfahren“ hat. „Eigentlich“ wollten sie ja nur „die Arbeit all unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Handelspartner aus allen Teilen Deutschlands würdigen.“ Was also „eigentlich richtig gewesen“ wäre, wollen sie „jetzt“ nur so sagen: „Wir werden alles tun, um Ihr Vertrauen zurückzugewinnen.“

War da was – gar ein Vertrauensbruch? Worauf greift diese unausgesprochene, mysteriöse Drohgeste hinter den scheinbar beruhigenden Worthülsen zurück? Verschafft sich der selbstzerstörerische Grundzug deutscher Ideologie im Kleid von 'Spitzentechnik' Bewegungsspielraum?(1). „Jetzt“ erklärt Winterkorn (**) mit hohler Anstandsformel : „Es tut mir unendlich leid, dass wir dieses Vertrauen enttäuscht haben. Ich entschuldige mich in aller Form bei unseren Kunden, bei den Behörden und der gesamten Öffentlichkeit für das Fehlverhalten.“ Und nach kurzem Ausloten der politischen Stimmung „bittet“ W. um „Vertragsauflösung“, plädiert selbstherrlich, listig für einen „personellen Neuanfang“ in der Führungsetage. Was seine Rolle im Konzerngefüge angeht, ist er sich „keines Fehlverhaltens bewusst.“

Unsre Sympathie für die teils strengen Umweltnormen in den USA wird sich schnell eintrüben. Denn hartnäckig sräubt sich seit Jahren die Autoindustrie gegen schärfere Umweltauflagen und Kontrollen mit dem Erfolg, dass verbotenes 'Abschalten' der Abgasfilterung im Straßenverkehr faktisch toleriert wird - bis es jetzt als 'VW-Betrug' aufflog. Dabei wird im 'Werkstatttest' ein Alibi erstellt, das den Dieselfahrzeugen unschädlichen Betrieb bescheinigt. Manager auf den verschiedenen Leitungsebenen fühlen sich am Ende nicht zuständig, schon gar nicht für die gesundheitsschädigenden Wirkungen ihrer Verkaufsschlager. So ist VW auch 'jetzt' fest entschlossen, auf ureigenem Terrain seine Verstöße gegen Menschen- und Umweltrecht auf die lange juristische Bank zu schieben - mit den 'besten Anwälten' vor Ort. Vorübergehend mag der deutsche Autokonzern rund um den Globus am Pranger stehen. Doch darin sind wir sicher, dass der 'VW-Betrug' schon bald nur als Teil eines umfassenderen 'Dieselskandals' gelten wird.

Nicht Gefühle, die selbst schon manipuliert sind, können für uns Deutsche unter heutigen wirtschaftskriegerischen Szenarien angemessene Ratgeber sein. Wir wollen klar und ohne Scheuklappen verstehen, was passiert und unsere Gewohnheiten gegebenenfalls brutal durchrüttelt.

Aspekte der Rahmenhandlung

Aktuell braut sich im Rücken unsrer Illusionen einiges zusammen: Über die Enge des VW-Komplexes hinaus hören wir den ‚technische Fortschritt‘ und den ‚Freihandel‘ lautstark, geheimnisvoll auf vertragsrechtliche Lösungen ihrer Bestrebungen pochen. Eine seit Jahren sich abzeichnende Fluchtbewegung aus Krisen- und Kriegsgebieten hat unsere zwiespältige, zerbrechliche Wohlstandskultur scheinbar unvermittelt erreicht. Schulden-, Währungs- und Finanzkrisen scheinen mit den Gewaltausbrüchen nicht direkt verbunden. Doch internationale Reformstaus verschieben oder blockieren Lösungen. Die gefürchteten Praktiken der deutschen 'Global-Player' , Finanz- und Waffenindustrie, entfalten sich relativ ungehindert, während Diplomatie im Dauerstress das Feuer der Gewalt zu löschen versucht. Banken werfen sich in Finanzierungsabenteuer von VW & Co., die gleichzeitig das Bedürfnis nach Elektromobilität missachten. Tatsächlich scheint Deutschland der Welt teils veralteten, teuren Schund anzubieten. Bei den global angelegten Konjunkturkrisen wirkt 'unsere Wirtschaft' mit. Der 'umstürzende Sack Reis' in China wird da nur Anlass zu billiger Ausrede. Den Konkurrenzfanatikern, großspurigen Wirtschaftsbossen und ihren politischen Mitspielern sollte dies deutlich vermittelt werden, zumal sie sich, von seltenen Ausnahmen abgesehen, ihrer Verantwortung entziehen.

Vor einem Jahrzehnt hatten Piech und W. in ihrem Wahn, VW zum ‚Weltmarktführer‘ des Systems scheinbar grenzenlosen Individualverkehrs zu machen, die in Deutschland etablierte Ingenieurskunst zu einer unmündigen Sklavin degradiert. Schließlich schafften Heerscharen von Ingenieuren es nicht -stets einen detailversessenen, vorwurfsvollen Chef vor Augen und im Kopf-, am Entwicklungsort der Serienreife und bei der staatlich beaufsichtigten Zulassung einen Dieselmotor zu kreieren, der die Einhaltung von Abgasnormen und enge Kostenvorgaben auf einem vernünftigen Nenner hätte darstellen können.

Es war also kein Zufall, dass der „Handelspartner“ Bosch vor der Verwendung seines Software – Produkts warnte, das die verbotene Abschaltung der Abgasfilterung bewirkt. Denn sein Produkt konnte zwar eine Motorleistung gewährleisten, die den Konkurrenzneid nährt, aber keineswegs die Umweltgifte in Schach halten. Ein halbes Jahr nach Auffliegen der Manipulation hat VW nicht plausibel machen können, wie Diesel-Fahrzeuge mit Umwelt verträglichen Abgasnormen in Einklang gebracht werden können. Jeder, der verstehen will, kann somit den Zynismus der Anzeigenkampagne und die Vorgehensweise des ‚Weltmarktführers‘ begreifen. Die 'existenzbedrohende Krise für den Konzern' wird im Wahn, stets das Richtige zu tun, von inneren Zirkeln der Führungsetagen gesteuert. Die sogenannten Arbeitnehmer, Kunden, Handelspartner, sogar die „Behörden“ und die „gesamte Öffentlichkeit“ sind Staffage einer permanenten und unverschämten Selbstinszenierung. Bis zur Bewusstlosigkeit der staunenden Menschen wird hier unentwegt mit gezinkten Karten gespielt. Auch der Nachfolger des ohne 'Fehlverhalten' gegangenen Vorstandsvorsitzenden bewegt sich in den USA, wie wir 'jetzt' bei seiner durchsichtigen Selbstentschuldigungstour beobachten konnten, auf gewohnten Trampelpfaden. 'Abarbeiten' ohne Veränderungswillen ist der programmatische Inhalt der VW-Agenda bis zum heutigen Tage.

Das schließt die Bewältigung dieser speziellen 'Vertrauenskrise' durch massive Eingriffe in die Steuer- und Wirtschaftspolitik des Staates ein. Der Autokonzern kann hier 'große Erfolge' bei der Mitgestaltung von Hetzkampagnen gegen Menschen verbuchen, die als ‚Abschaum‘, ‚arbeitsscheues Gesindel‘ charakterisiert wurden. Die erhabene Blödelei von der ‚spätrömischen Dekadenz‘ als politischer Senf fehlte nicht. Mit solchen Projektionen bewaffnet, kochte die VW-Führung die ‚Hartz – Gesetze‘ aus, die sich wegen ihrer repressiven Stoßrichtung bis in die gebildeten Schichten hinein relativer Beliebtheit erfreuen.

Den Wahnwitz der ideologischen Ideologielosigkeit überwinden

Wenn wir vom Wahnwitz sprechen, ist viel weniger von einer persönlichen Charaktereigenschaft die Rede. Vielmehr denken wir an ein geistiges System, das im Rahmen der üblichen Produktionsmethoden der Gesellschaft eine Art tendenziellen, souveränen Schwachsinn begünstigt. Auf diesem Boden wächst leicht Indoktrinierung, die ein gefährlicher Feind demokratischer Herrschaft ist.

Es ist deshalb keineswegs so, wie wir im Fall Bosch/VW sehen können, dass Entwicklungen im IT-Bereich ganz von selbst unsere Hoffnungen auf bessere Lebensbedingungen durchgreifend erfüllen. Zu den überflüssigen Feinstaubopfern des Straßenverkehrs könnten sich im Bereich der Gesundheitsversorgung künftig Fälle gesellen, wo die Manipulation etwa von Herzschrittmachern zum verfrühten 'sozial verträglichen Ableben' führt.Oder die digitalen Scheinlösungen und Investitionen für die 'Auto-Zukunft' , die den technischen Wunderglauben pflegen und dabei den Menschen möglicherweise überflüssig machen, erzeugen eine ernsthafte Gespensterdiskussion in Politik und am Stammtisch..

Der Lösungsansatz der VW-Gewaltigen für die beschworene 'Vertrauenskrise' setzt voraus: Alles bleibt nach Möglichkeit wie es ist - unter der Vorherrschaft begriffsloser Selbstaufopferung und entsprechender Durchhalteparolen. Die Opfer in den USA wie die moralische Aufrüstung auf der deutschen Betriebsversammlung können so nach dem Maß der Strafzahlungen und der Absenkung von VW auf das Niveau seiner Konkurrenten eingeordnet werden. In Europa und der übrigen Welt könnte die Geschichte ähnlich verlaufen. Dazu gehören der teure Werkstatttermin, die legale Steuerminderung wegen ausfallender Gewinne, die passende ökologsche Gesetzgebung. Unvermeidlich wird generell -entgegen der vorsorglichen Schönfärberei aus dem Hause VW, die eine eigene, verführerische Stimmungskonjunktur erzeugt-, dass die ‚lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter‘ die Fehler ihrer 'fehlerfreien' Führung durch Intensivierung ihrer Leistung bezahlen. Auch ist 'jetzt' zu hören, dass die Stickoxidhöchstmengen des VW– Dieselmotors am Prüfstand und auf der Straße mittels eines ‚Konformitätsfaktors‘ äußerst flexibel gestaltet werden sollen. Na also, geht doch noch was! Ein weiterer Fall ‚brutalst möglicher Aufklärung ‘ einerseits. Lustig ist das alles jedoch nicht. Sollte die Autobranche 'jetzt' in eine tiefe Krise stürzen, Job-Abbau auf breiter Front würde die Folge sein.

Andererseits, moderne Dinosaurier, vollgepackt mit materialisierter Informationstechnologie der fragwürdigen Art, hängen nicht nur dem VW-Konzern am Hals. Deshalb gehorcht oder entspricht die Merkelsche Forderung ‚schnellstmöglicher Aufklärung‘ leider bis heute nur dem Wunsch, Selbstbetrug als transparente Rationalität verkaufen zu können. Die Erkenntnis jedoch, dass diese Geschichte nicht so einfach durchgehen kann, in ernsthafter Reformbereitschaft münden muss, hält unsere Hoffnung auf Verbesserung der Gesellschaft am Leben. Jedenfalls, was Entsorgung des ideologischen Mülls verantwortungsscheuer Eliten betrifft, von denen Umlernen verlangt werden muss. Aber an erster Stelle der öffentlichen Diskussion sollte die Forderung stehen: Vortrieb der Energiewende und Förderung der Elektromobilität ohne Trickserei. VW, die Autobranche überhaupt, hat sicher noch eine Menge Unrat vor der eigenen Tür, während tiefgreifender Strukturwandel bereits anrollt.

(*) Beispielsweise in der Frankfurter Rundschau am 05. Oktober 2015 ganzseitig

(1) Theodor W. Adorno Jargon der Eigentlichkeit ffm.1964

(**) Zeitgleich an hervorragender Stelle auf allen TV-Nachrichtenkanälen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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