Leihmutter

Politik und Embryo Politische Ökonomie und medizinischer Fortschritt als amputierte Freiheit. Es muss aber nicht immer China sein.

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Erinnern wir uns noch an die heftige Abtreibungsdiskussion in Deutschland? > Mein Bauch gehört mir! < Kein Richter, keine Gesellschaft habe darüber zu entscheiden. Heute geht es kaum noch um Abtreibung, aber immer noch um den Bauch. Der medizinische Fortschritt im Verein mit der Genforschung hat weltweit die Leihmutter und eine entsprechende Nachfrage hervorgebracht. Frauen, deren Kinderwunsch ohne medizinische Behandlung unerfüllt bliebe, kann zur Schwangerschaft verholfen oder sie können ganz von dieser Lustlast befreit werden – wenn die Leihmutter einspringt.

Doch so einfach ist es nicht. Die Gesetzgeber sind unterschiedlich streng oder liberal. Denn wer kann schon die unberechenbaren Folgen abschätzen, wenn das >werdende Leben< zur gewöhnlichen Handelsware wird? Bei uns gibt es das Embryonenschutzgesetz, das die medizinischen Eingriffe unter Strafandrohung stellt, welche in den USA alltäglich im Rahmen der Vertragsfreiheit durchgeführt werden. Der liberal-konservative Fundamentalist ist dort fein raus und stets auf der Seite des technischen Fortschritts. Er vergleicht seine moralische Verdammung der Abtreibung mit dem Segen der Leihmutterschaft, die als Symbol amerikanischer Freiheit zu gelten habe.

Der findige Korrespondent Bernhard Bartsch beleuchtet das Problem in einem seiner interessanten Berichte aus der Volksrepublik China.* Dort ist seit 2001 der Handel mit befruchteten Eiern der Frau verboten, weil die kommunistische Partei, ähnlich wie unsre Politiker, die unwägbaren moralischen Folgen fürchtet. Wir wollen beileibe keinen unangemessenen Vergleich der politischen Systeme andeuten. Lediglich um den Hinweis geht es, dass die offizielle Familienpolitik in China eine ähnliche Rolle spielt wie bei uns die >Sonntagsrede< oder die einvernehmliche Missachtung der Steuergesetze.

In der südchinesischen Metropole Guangzhou hatte eine wohlhabende Familie >innerhalb eines Monats acht Kinder bekommen<. Acht Eier wurden im Krankenhaus befruchtet, drei davon der Frau selbst eingepflanzt, die anderen auf zwei Leihmütter verteilt. Während ziemlich unerwartet alle acht Embryonen zu gesunden Kindern heranwuchsen, wurde das glückliche Krankenhaus mit 100000 e gesponsert. Erst durch die eigenmächtige Werbekampagne eines Fotostudios kam die Sache ans Licht und unter heftigen Beschuss. Die vier Jungen und vier Mädchen werden >von acht Kindermädchen und drei Haushälterinnen betreut. Die monatlichen Kosten für Gehälter, Windeln und importiertes Milchpulver sollen rund 10000e betragen<.

Aus der aggressiv geführten Diskussion in der VR China nur ein paar Kostproben: >Kinder zu bekommen, ist heute ein luxuriöses Hobby für Reiche<. >Damit wird die traditionelle Bedeutung von Elternschaft auf den Kopf gestellt<. >Es ist ungerecht, dass sich die Mehrheit der Menschen an die Familienpolitik halten muss, aber einige davon profitieren, dass man mit modernen Technologien Mehrlingsgeburten hervorrufen kann<. >Arme Frauen vermieten ihre Gebärmutter an die Reichen<. Auch die Idee, dass hier über Ausbeutung gesprochen wird, ist den Chinesen nicht fremd.

Leihmütter, die in der stressigen Welt der Warenproduktion und des Kapitalverkehrs die Gleichberechtigung im Verhältnis zu ihren vermögenden Landsleuten entschwinden sehen, bekommen immerhin die Chance, mit einer Schwangerschaft 12000 bis 40000 Euro zu erlösen. Das hängt vom unternehmerischen Geschick in diesem relativ neuen Geschäftsgebiet ab. Der Anreiz des wachsenden Vermittlungsgeschäfts und der mit ihm wachsenden Betrügereien wird einsichtig, wirft man einen flüchtigen Blick auf das Einkommen in China.

Die große Mehrheit der Chinesen ist mit 50 bis 100 e pro Monat Geringverdiener. In Industrie und Dienstleistung bewegen sich monatliche Gehälter zwischen 300 und 500 e. Dagegen die nach oben offenen und weit gespreizten Einkommen der führenden Verwaltungs- und Staatsfunktionäre und ihr unternehmerisches Pendant verfügen über Geld, fremdes Eigentum, fremde Arbeitsfähigkeit in Größenordnungen, die sie leicht in die Lage versetzen, beträchtliche Vermögen zu bilden. Die Freiheit in der VR China kann so innerhalb der herrschenden Verhältnisse real einen Zugewinn für Kaderfamilien verzeichnen und befindet sich im Zustand der Schwindsucht für die große Mehrheit.

Bartsch meint, dass im Westen der Antrieb kinderloser Paare, sich über die Leihmutter Kinder zu besorgen, irgendwie anders beschaffen ist als in China. Aber weder den Anreiz medizinischen Fortschritts, noch die sozial-ökonomischen Verhältnisse führt er als Erklärung für das verstärkte Auftreten des Leihmutterverhältnisses an. Er findet einfach, dass in China >Bequemlichkeitserwägungen< eine entscheidende Rolle spielen, obwohl die Strafdrohung dort genau so wie in Deutschland besteht.

Als Beispiel führt er die 37-jährige Finanzmanagerin Zheng in Peking an. Mit ihrem Mann hat sie lange diskutiert. Sie möchte gern Mutter werden, glaubt aber, eine Schwangerschaft sich >einfach nicht leisten< zu können. Sie begründet das so: >Der Wettbewerb in unserer Branche ist sehr hart, und wenn ich mehrere Monate aussetze, übernimmt jemand anderer meinen Job<. So erscheint logisch, wenn in der Sprache des weltweit operierenden Finanzmanagements >Schwangerschaft outsourcen< angesagt ist.

Hören wir genauer zu. Die Chinesin Zheng verdeutlicht ihre Sicht des Problems: >Ich möchte jemanden, dem ich absolut vertrauen kann. Ich muss sicher sein, dass die Leihmutter während der Schwangerschaft tut, was ich von ihr verlange<. Bartsch wechselt an dieser Stelle ganz richtig seine Ausdrucksweise. Er spricht von der >Mietmutter<, die während der neun monatigen Schwangerschaft in eine kleine Wohnung in der Nähe des Ehepaars ziehen soll, um sie besser zu kontrollieren. Vor allem soll sie sich gut ernähren, nicht überanstrengen und klassische Musik hören.

Sie mietet schließlich Erbgut eines fremden Paares, Erbgut, das ihr nicht gehört. Das fremde Paar erwartet zu Recht, dass seine wertvollen Erbanlagen strikt nach seinen Vorschriften zu behandeln sind. Und endlich muss die Angelegenheit, laut Auskunft unseres China-Korrespondenten, noch auf den Punkt gebracht werden: >Nach der Geburt soll sie ein Honorar bekommen, das mehreren chinesischen Durchschnittsgehältern entspricht, und dann für immer aus Zhengs Leben verschwinden<. Ob das nicht etwas leichtsinnig gedacht ist? Mit steigender Tendenz wird der >Baby-Handel< mit der Todesstrafe geahndet. Wir hören, dass der Fall des Anwalts Chen Guangcheng, seit vielen Jahren um Frauenrechte bemüht und selbst unterdrückt, sogar die beiden Großmächte China und USA an den >Pranger< gestellt, mindestens aber zu erheblichen diplomatischen Verwicklungen auf höchster Ebene geführt hat. Chen weilt mit seiner Familie inzwischen in New York, um das Recht zu studieren.

*Dein Bauch gehört mir In China floriert das Geschäft mit Leihmüttern. Wer viel Geld hat, umgeht so die Ein-Kind-Politik und die Mühen der Schwangerschaft Von Bernhard Bartsch Frankfurter Rundschau 18.04.2012

Autor Ernst H. Stiebeling Diplomsoziologe. Freier Publizist

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Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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