Nur Rachegelüste im CDU - Staat ? (2)

>SPIEGEL Affäre 62< Erinnerung und Aktualität. FJS stellt die Demokratie im atomaren Konkurrenzwahn auf eine Bewährungsprobe. Ist die Schwerkraft des CDU-Staats zu überwinden ?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Bei >Nacht und Nebel< Obrigkeit gegen Pressefreiheit
In einer Demokratie müssen Landes- und Geheimnisverrat, zumal sie sich auf Bestechung begründen sollen, penibel und öffentlich nachgewiesen werden. Der >Nacht und Nebel< Angriff auf das Hamburger Pressehaus vom 26. Oktober 1962, einem Freitag, ist aber das Gegenteil eines demokratischen Verfahrens. In seiner politischen Bedeutung ist es nach einem halben Jahrhundert immer noch schwerwiegend, aber auch ziemlich aus dem Kollektivgedächtnis verdrängt.

Je substanzloser die politisch-rechtliche Motivation von Strauß ist, umso ernster sind die folgenden Ereignisse, von denen angenommen werden darf, dass sie die zweite deutsche Demokratie indirekt, längerfristig positiver und nachhaltiger beeinflussen als irgendwelche anderen Fakten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Strauß ist gemäß seinem Credo von der obrigkeitsstaatlichen Regulierung der Dinge in der Offensive.

Aber, aus seiner Sicht ist zugleich undenkbar, für alle Repressivmaßnahmen die politische Verantwortung zu übernehmen. Das tut Strauß auch nicht. Daher ist es sein unberechenbarer Wahn, der sich um demokratische Feinheiten wenig schert und in der Besetzung, Durchsuchung, Beschlagnahme, der Einrichtung einer verfassungswidrigen richterlichen Zensur im Hamburger Pressehaus und Bonner SPIEGEL Büro wirksam ist – nicht nur für einen kurzen Moment, wochenlang auf die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz eines Presseorgans zielend. Diese Gefahr ist in der Bonner Republik spürbar, wird auch wahrgenommen.

Am bedrückendsten sind die Verhaftungen der verdächtigen >Landesverräter<. Sieben Redakteure und Verlagsmitarbeiter wandern in Sicherungshaft, Rudolf Augstein allein sitzt über 100 Tage im Gefängnis, unter Bewachung und notdürftig im >Freigang< sein Unternehmen leitend. Conrad Ahlers wird mit seiner Frau am spanischen Urlaubsort von der Polizei des Franco-Regimes aus dem Hotelzimmer abgeholt, Sicherungsverwahrung in Spanien – und zwar auf Anordnung von Strauß, weiter vermittelt durch seinen Militärattache Oster in der deutschen Botschaft Madrids, der ein Interpoltelegramm aus Wiesbaden, direkt am Botschafter vorbei, den spanischen Behörden vorweisen kann.

Die deutschen Behörden nehmen Ahlers in Frankfurt a.M. in Empfang. Hans Schmelz schlägt in Ungarn ein >Asylangebot< aus, reist über Österreich sofort nach Hause und direkt in Untersuchungs- bzw. Sicherungshaft. Das alles ist unvollständig, nüchtern auf wenige Vorgänge beschränkt.

Öffentlicher Protest, parlamentarisches Roll-Back können politische Karriere von Strauß nicht beenden

Öffentlicher Protest von Schülern, Studenten und ihren Lehrern, von Intellektuellen unterschiedlicher Couleur ist viel emotionaler, überrascht den entpolitisierten Frieden in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Praktische Solidarität überwindet Differenzen von Verlagshäusern zum SPIEGEL und hilft bei der pünktlichen Erscheinungsweise und der enormen Auflagensteigerung des Magazins. Eine Tatsache, die den >schlauen Fuchs< Adenauer im Bundestag veranlasst auszurufen: >Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande<. Und er kommentiert erregt: >Die Leute stehen nicht sehr hoch in meiner Meinung, die ihm so viel Annoncen gegeben haben<.

Große Tumulte im >Hohen Hause< und das >Gespenst des Obersten Gerichtsherrn< übernehmen in diesen Augenblicken die Regie im Bonner Plenarsaal. Die >Züricher Woche< trifft damit zwar vage die Stimmung, aber zugleich auch ziemlich daneben. Denn als Hitler 1934 sich der mörderischen Beseitigung der >Opposition< in der NSDAP als >oberster Gerichtsherr< rühmt, gibt es keine frei gewählte Volksvertretung mehr. Alles ist >gleichgeschaltet< auf den totalitären Staat, auch die Presse und das öffentliche Leben sind frisiert.

Die veritable Regierungskrise jedoch, die der Verteidigungsminister auslöst, zeigt uns den Initiator zuerst als zurückhaltendes Unschuldslamm, das dann in den Novembertagen auf bohrende Dringlichkeitsanfragen der Sozial- und Freidemokraten aus der Deckung hervortritt. Er windet und wendet sich, stottert und verheddert sich in Lügengespinsten, kann aber nicht selbst zugeben, auch nur einen kleinen Übergriff auf den Rechtsstaat der bundesrepublikanischen Demokratie verübt zu haben. Parteifreunde springen ihm mit verharmlosenden Formeln zur Seite.

Aber wer ist verantwortlich für die verfassungsfeindlichen Bestrebungen, das Demokratie feindliche Säbelrasseln? Es ist typisch für die Stärke des CDU-geführten Staates und seiner einschüchternden Drohgebärden, dass sich Strauß ohne ernste Konsequenzen aus der Affäre ziehen und die offensichtlich berechtigten Rücktrittsforderungen zurückweisen kann.

Was ist also die Deutung wert, die Theodor Eschenburg der Parlamentsdebatte gibt? >Wenn in einem parlamentarisch regierten Staat ein Minister dem Parlament auf dessen Fragen keine, falsche, höchst unvollständige oder schuldhaft verspätete Antworten gibt, weil er die Verantwortung scheut, dann ist dies ein schweres Vergehen gegen die parlamentarische Ordnung – ein Vergehen, das parlamentarisch geahndet werden muss<.

Wir können einen einfachen Fortgang der Geschichte mit einigen Überraschungen beobachten. Strauß scheidet nicht einfach aus den höchsten Rängen des politischen Lebens aus, sondern sagt beim großen Zapfenstreich schlicht > auf Wiedersehen! < Alle Minister treten zurück. Adenauer regiert ein weiteres Jahr mit den Freidemokraten. Er übergibt 1963 widerwillig an Ludwig Ehrhard. Der fährt 1965 einen großen Wahlsieg ein.

Erste große Koalition beschränkt Demokratie zugunsten von >Stabilität<

Nach einem Jahr ungemütlicher Kanzlerschaft, ungewohnter Rezession, schief gelaufener Diskussion über das technokratische Konzept einer >formierten Gesellschaft<, Vorläufer der HARTZ IV Gesetze, gibt Ehrhard den Stab 1966 an den Parteifreund Kurt Georg Kiesinger weiter, der somit Chef der ersten großen Koalition ist, wo die FDP nicht gebraucht und die SPD erstmals als im Bund regierungsfähig gehandelt wird.

In ihr spielen Conrad Ahlers als stellvertretender Regierungssprecher, Franz Josef Strauß als Finanzminister bis 1969 ihre Rolle. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die kürzlich als Fußnote der Bundespräsidentenwahl (2012 Joachim Gauck) wieder auftauchende Person des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger. Er hatte im Goebbelschen Propagandakrieg eine aktive und die Nazi-Politik unterstützende Rolle gespielt.

Zwei der wichtigsten Aufgaben erledigt die erste große Koalition unter teilweisem Protest der Gewerkschaften und einer im Verlauf der 60er Jahre gewachsenen, kritischen Bewegung innerhalb der jungen Generation. Die staatliche Lenkungsfunktion in der leicht tumultuarischen Wirtschaft wird besser ausgestattet mit dem >Stabilitätsgesetz< (1967), für den Fall >übergesetzlicher Notstände< gilt der Mehrheitsüberzeugung in den Parteien eine Notstandsgesetzgebung als Demokratie stabilisierend. Sie wird im Grundgesetz 1968 verankert, gestattet erhebliche Eingriffe in die Grundrechte.

Billige Abrechnung der Strauß-Affäre und des Scheingefechts mit >Landesverrätern<.

Nachdem wir uns von der >Spiegel-Affäre< im engeren Sinne entfernt und auf das >parlamentarische Regierungssystem< kurz einen Blick geworfen haben, kehren wir an den Punkt zurück, wo sich die Frage nach der Justiz, den verratenen Staatsgeheimnissen, der Amtsanmaßung und Freiheitsberaubung stellt, die Strauß durch sein politisches Handeln aufgeworfen hatte.

Über drei Jahre nach der von ihm und seinen autoritären Mitläufern in hohen Staatsämtern ausgelösten Putsch gegen die Pressefreiheit ist er des Amtsmissbrauchs und der Freiheitsberaubung gerichtsnotorisch überführt. Er wird aber wegen möglichen >Verbotsirrtums< nicht weiter verfolgt. Mehrfach missachtet er gerichtliche Vorladungen und droht unverhohlen Beamten der Justizbehörde. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Geheimnisverrats wird rechtzeitig, 1966 (!), vom Bundesgerichtshof abgelehnt. Der schwer wiegende Vorwurf gegen den SPIEGEL und >undichte Stellen< im Verteidigungsministerium ist auf null heruntergeschraubt.

Wer kann wollen, dass unter allen Umständen die Unionsparteien an der Führung der Regierungsgeschäfte beteiligt sind ?

Ausführliche Kungelei noch während der >SPIEGEL-Affäre< führt uns das Parteiensystem als flexibles Planungsinstrument für die politische Zukunftsgestaltung vor, ein Instrument, das heute noch funktioniert. Nicht ein Mehrheitswahlrecht zur Ausschaltung kleinerer Parteien soll das etwas wackelige System stabilisieren. In >schwierigen Zeiten< soll es eine >große Koalition< richten. In >normalen Zeiten< dürfen Mehrheitsbeschaffer mitspielen.

Beständige Änderungen der politischen Landschaft führen zu komplexeren Situationen im Parteiengefüge. Besonders die Anzahl der Mehrheitsbeschaffer nimmt zu mit der sich vermindernden Unterscheidbarkeit der beiden >Volksparteien< und deren Unfähigkeit, nachvollziehbare Politik im Sinne der Fortentwicklung der Demokratie zu betreiben und öffentlich zu vermitteln.

Tatsächlich gelingt es bisher nur durch die >sozial-liberale< und die >rot-grüne< Koalition, die Union formal von der Macht zu distanzieren. Aber es ist eine bis heute nicht ganz geklärte Frage, wie die Unionsparteien es fertig bringen, stets auch dann mit zu regieren, wenn sie in der Opposition sind, und weiter zu regieren, wenn sie im illegalen Spendensumpf, im korruptions-verdächtigen Amigo-Gewürge zu versinken drohen.

Die Sozialdemokratie findet sich stets unter dem verhängnisvollen Druck wieder, dem verlogenen Bild der politischen Unzuverlässigkeit entgegenwirken zu müssen. Dem scheiternden >Fiskalpakt<, Mogelpackung von weniger Demokratie in der EU samt den Spekulationen um vages Wirtschaftswachstum, will die SPD unbedingt zustimmen, statt konsequent und klar die Interessen der Unterprivilegierten auf ihre Fahnen zu schreiben. Sie wird dies notwendig zu dem Preis tun, der sie wiederum in die Junior-Rolle in der >großen Koalition< presst, statt die Führung der >Richtlinien der Politik< selbst zu übernehmen. Die Bündnisgrünen könnten ebenfals in ihrer Funktion als liberale Stammhalterin der stärksten politischen Kraft zur Verfügung stehen.

Und wie wir schon gesehen haben bei der Schröder/Fischer Regierung, ist ein kräftiges Hereinregieren in ein rot-grünes Bündnis durch die Gralswächter reiner Lehren eine faktische Dauerbedrohung eher demokratischer Entwicklungen. Die demokratische Linke ist jedoch zersplittert in mehreren politischen Parteien oder nicht organisiert. Ihre typische Rolle in Deutschland kann als neutralisiert gelten.

Nach 50 Jahren erinnert uns deshalb die sogenannte SPIEGEL Affäre des Franz Josef Strauß, die in Wirklichkeit eine Affäre des CDU-Staats * ist, unter veränderten weltpolitischen Konstellationen daran, dass in Deutschland eine Vertiefung und Erweiterung der Demokratie noch immer ein dringendes Bedürfnis ist. DER SPIEGEL hebt leichtgläubig, verständlich auf den Rachegesichtspunkt (12/2012) und Nebenaspekte ab.

Das 62er Gutachten des Oberregierungsrats Heinrich Wunder ist nicht mehr geheim. Wer aber nach Meinung der Berliner Regierung daraus zitiert, verrät auch heute noch Staatsgeheimnisse – eine lächerliche Drohung an die tief sitzende Bedrohungsangst, der sich Demagogen unterschiedlicher Couleur bemächtigen können.

Spannend und faktenreich erzählt Joachim Schöps 1983, 20 Jahre danach, die SPIEGEL - Affäre des Franz Josef Strauß. Heute aber, 30 weitere Jahre später, sollte eher der Mythenbildung um den Antidemokraten Strauß entgegengewirkt werden. Eine kenntnisreiche Sicht im inneren Gehäuse der Macht veranschaulicht Wilhelm Schlötterer in seinem 2009 erschienenen Buch: >Macht und Missbrauch Franz Josef Strauß und seine Nachfolger. Aufzeichnungen eines Ministerialbeamten<.

*Vgl. Der CDU-Staat Analysen zur Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik Herausgegeben von Gert Schäfer/Carl Nedelmann, Ffm. 1966/1967

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden