Politwahn

Wider die Freiheit Eine seltene Realpolitik reift heran. Krisenmanagement als Mittel der Politik? Kaum: Politik hat alle Hände voll zu tun mit 'brutalst möglicher Aufklärung'.

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Eine attraktive Macht überrascht in jüngster Zeit. Bisher hatte ich sie nur als ignorante, rücksichtslose Kraft wahrgenommen. Sie erhitzt Gemüter und lässt sie rasch wieder erkalten. Um sie geht es, wenn scheinbar objektive Verhältnisse in politischer, gesellschaftlicher Kommunikation sich geltend machen. Kritische Analysen scheinen zu kurz zu greifen. Wir erleben, wie ‚Völker‘ positiv reagieren auf inszenierte Mythen, deren Großartigkeit quasi-religiös beschworen wird. Was menschenfeindliche Schreckensherrschaft ist oder war, wird als ‚Heimatliebe‘, als ‚Identität‘ bildendes Nationalbewusstsein oder ‚Religion‘ verkauft. Durchgängig heißt es: Verliert der Staat an Souveränität gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen, wachsen Elend und Unglück. Halbwahrheiten dieser Art entpuppen sich zu einer wirksamen Waffe im Kampf um politische Vorherrschaft. Das Gift rassistischer Ausgrenzung wird beigemischt. Die Ursachen von Flucht, Terror scheinen offen vor uns zu liegen. Aber wie steht es mit der Waffe ideologischer Kampfmittel, woran staatliches ‚Krisenmanagement‘ mitwirkt?

Verwüstung gesellschaftlicher Bodenverhältnisse zwingt meines Erachtens, an Wissenschaft und Demokratie als grundlegenden Methoden der Selbstbehauptung festzuhalten. Aus Gonzo-journalistischer Sicht wird gekontert: Wissenschaft als Elitedisziplin werde häufig auch schäbig missbraucht. Richtig! Sie gehöre ‚abgewertet‘. Falsch! Hält sich der Umgang mit Freiheit an dieses Muster, funktioniert er nur in der Form aggressiver Selbstberuhigung. Dann ist der demokratische Rechtsstaat in seinem aktuellen Zustand in Wirklichkeit ein Unrechtsstaat, der sich ‚nicht lohnt bewahrt zu werden‘. Diese Konsequenz müsste Thema einer materialistisch fundierbaren Analyse sein. Wie und in welchen Situationen machen politisch ambitionierte sich diese vermeintliche Logik zu Eigen?

Wie konnte in Deutschland angeblich ein Trio mit starkem Hang zum geschönten NS-System den spezifisch staatlichen Vertuschungsapparat auf voller Breite in Schwingung versetzen und bis heute nicht ruhen lassen? Warum sollen wir die ignorante Lüge, in Afghanistan habe die größte Sprengkraft der USA unter der atomaren Schwelle ‚nur‘ einige Dutzend ‚Taliban‘ vernichtet, auch noch mit unseren Steuergeldern bezahlen? Ein Angriff von solcher Natur soll also, wie bekannt, nicht nur ein armes ‚Entwicklungsland in die Steinzeit bomben‘. Sein Grundgedanke steht auch Pate, wenn die Mexikaner für ein krankes Konjunkturprogramm amerikanischer Mauerbauer zahlen sollen. Machen Geheimdienste der ‚Staatengemeinschaft‘ Realpolitik, die schließlich den Weihnachtsmarkt, das Fußballstadion und Konzertvergnügen als Felder für terroristische Blut - Akte in Kauf nimmt?

Jahrzehnte lebt der ‚Bürger in Uniform‘ friedlich neben den bekannten, menschenverachtenden Trainingsmethoden in der Kaserne. Und jetzt plötzlich schildert uns die ‚Lügenpresse‘ unseres demokratischen Landes glaubhaft einen Thriller: Ein deutscher Offizier am Standort einer ‚deutsch-französischen Brigade‘ in Frankreich verkleidet sich als ‚syrischer Flüchtling‘, findet Aufnahme und Ruheplätze in Bayern und Österreich, um mitten in seiner europäischen Heimat rechts-terroristisch motivierten Lustmord vorzubereiten. Dazu bekam er aus dem Netzwerk seiner Umgebung, das ihn durchaus kritisch registrierte, eine ‚zweite Chance‘.

Wo wir auch hinschauen, nirgends handelt es sich also um ein eng verstandenes, typisch deutsches Phänomen. Denn es ist in einer österreichischen Toilette auf einem Verdachtsvideo gespeichert, spielt auf deutsch-französischem Territorium als Parallelexistenz, wird auf den Schreibtischen deutsch-französischer Militärakademien als ‚auffällig‘ begutachtet und zu den Akten gegeben. Unmittelbar funktioniert das nach dem tröstenden Wort: ‚Lebbe gehd weider‘. Viele wussten also von der machtvollen Logik, welcher der Offizier Franco A. aus Offenbach gehorchte. Denn sie kannten konkret seine Klage gegen die „massive Einwanderung“, die er als „Subversionsstrategie“ mit Ziel „Genozid“ des „eigenen Volkes“ verstand.

Die Macht, von der wir sprechen müssen, lehnt Migration strikt ab, weil zuwandernde Menschen nie „Teil des Volkes“ werden können. Die Negation dieser unmenschlichen Behauptung flüchtet in eine „Perversion des Begriffs Nationalität“, wie der ideologisch geschulte Soldat meint. Wir wissen nur aus rhetorischen Andeutungen der selbst ernannten 'Patrioten', wie sie mit ihren politischen Gegnern umgehen werden. Durchgängig handelt es sich heute um abgeschwächten Fascho-Ton, in dem unglaubwürdige Bekenntnisse zu Demokratie und 'sozialer Marktwirtschaft', die als unverfänglich gelten, billig erbracht werden.

Ich frage mich aber, ob die Beifallsstürme bei den Parteitagen der ‚Nationalisten‘ im EU-Raum eine gemeinsame Wurzel haben? Und: Welche politischen Aussichten tun sich vor uns auf? Vor 3 Jahren hatte der Fan des ‚reinen Nationalismus‘ mit deutlichen rassistischen Einfärbungen leidenschaftlich beklagt, dass die Einwanderung „in ganzen Städten zu einem Austausch der Bevölkerung geführt“ habe – ein sarrazinisches Szenario im Verborgenen, das bekanntermaßen die Sozialdemokratie zwickt.

Die Tatsache der Herausbildung einer multi-kulturellen Gesellschaft in den fortgeschrittenen Ländern Europas findet bei den politischen Parteien, die um die Macht konkurrieren, eine unbekannte Menge hasenfüßiger und realistischer Befürworter. Sie sind gelähmt und fühlen sich fälschlich erleichtert, wenn es, wie in Österreich, Niederlande und Frankreich, nochmal glimpflich ausgeht. Sie alle, dazu die rechten und bekennenden ‚Linken‘, haben sich einer mutlosen, auf Trickserei bauenden Politik anvertraut, die ‚Reformen‘ suggeriert und zunehmend ‚abhängig Beschäftigte‘ begriffslos entmündigt. Der Geist der Rebellion wäre zu entfachen, wo die deutsche Sozialdemokratie wieder einmal spürt, wie ihr wärmendes Strohfeuerchen im Konsens mit der Gerechtigkeit des Staates der Unionsparteien geradewegs in eine Oppositionsrolle führt.

Nur, damit wird es nicht getan sein. Denn der vermutete Sieg der Kanzlerin wird eine taube Nuss sein, um die viele streiten. Und die dabei am vermeintlichen Fell des europäischen Bären interessiert sind, sind drauf und dran unsere Freiheiten zu kolonialisieren. Und die Kanzlerin? Wird sie nicht von Bord gejagt von ihren Duldern, so geht sie nach geleisteter Pflichterfüllung im geeigneten Moment freiwillig, bevor die unlösbaren Widersprüche ihrer Politik ihr über den Kopf wachsen. Letztere Möglichkeit wäre wahrscheinlich eines der günstigen Resultate, die das protestantische Parrhaus hervorzubringen vermag.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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