Schluss mit den Theorien

Medien Überall werden Verschwörungstheorien thematisiert. Doch der Hype macht sie nur stärker

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Man fängt an, sich eine eigene Welt zu konstruieren
Man fängt an, sich eine eigene Welt zu konstruieren

Foto: Thomas Lohnes/Getty Images

Bill Gates will uns Mikrochips einpflanzen, die neuen G5-Sendemasten beschleunigen die Ausbreitung vom neuartigen Coronavirus und Deutschland soll langsam in eine Diktatur verwandelt werden. Leider kommen wir dieser Tage alle mit derartig abstrusen Ideen in Kontakt, die zwar nur von einer Aluhut-tragenden Minderheit verbreitet wird, dafür aber so vehement und ständig, dass auch vermeintlich „vernünftige“ Personen langsam in die geistige Verwirrung zu driften scheinen. Doch, was ist so anziehend an diesen Märchen-Erzählungen? Ich sage: Der gemeinsame Glaube an Etwas. In Krisenzeiten klammert man sich an den Glauben. Das gesamte Mittelalter war quasi eine Krisenzeit, dementsprechend war Gott der Allheilsbringer in jeder Situation. Ich möchte keineswegs Menschen verunglimpfen, die einer Religion angehören. Glauben kann viel Kraft geben und die braucht man nunmal insbesondere dann, wenn man sich bedroht fühlt. Vor allem aber: Wer glaubt, gehört zumeist einer (Glaubens)gemeinschaft an. Und auch die Aluhut-Träger*innen gehören eben einer Gemeinschaft an, die eint, dass sie einen Glauben teilen. Dieser ist jedoch nicht religiös konnotiert und ein noch grundlegender Unterschied zur Religion ist: Man verbindet sich als Gruppe gegen etwas.

Jede*r, der oder die schonmal in einem Stadion für eine Fußballmannschaft geschrien hat, kennt das. Auch Freundschaften intensivieren sich, wenn man gemeinsam über andere lästert – das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Wenn Verschwörungstheoretiker*innen nun gemeinsam gegen die Regierung auf die Barrikaden geht, verbindet sie ihr vehementes „Dagegen-Sein“. Dass ihre Argumente großteils nicht haltbar sind, ist dann irrelevant.

Und gerade in Zeiten der Isolation sehnt sich der Mensch natürlich besonders nach einer Gruppenzugehörigkeit.
Aufgrund von Einschränkungen des öffentlichen Lebens distanziert von heterogenen Ansichten im Bekanntenkreis, zweifeln Verschwörungstheoretiker*innen nun auch noch weniger an ihrer Weltanschauung. Noch leichter als zuvor, können sie sich in ihrer Blase verlieren. Je mehr die Presse dagegen steuern will, desto stärker werden sie – Medien seien ja ohnehin „von oben gelenkt.“

Nicht falsch verstehen: Demonstrationen sind natürlich ein wichtiger Bestandteil der Demokratie, aber es ist wichtig, dass sie auf fundierten Argumenten fußen. Wenn es sich nur noch um ein demonstratives „Anti-Sein“ handelt, bestückt mit Märchenerzählungen – dann sollte man das nicht allzu ernst nehmen. Jedenfalls nicht, indem man es in den Medien weiter aufputscht.

Ich würde behaupten, viele jener, die aktuell auf den Barrikaden sind, sind tatsächlich verunsichert – An abstruse Theorien, sei es von Adenochromen, G5-Masten als Coronabeschleuniger oder Bill Gates Impfchips, glauben meiner Meinung nach die wenigsten mit vollem Ernst. Diese Erzählungen sind eher ein Fluchtort. So wie andere sich in Gebete flüchten, flüchten diese Menschen sich in eine Fantasiewelt. Ja, und einige verlieren sich darin.

Klar, wenn sonst nicht mehr allzu viel passiert in der Welt, fängt man an sich die eigene Welt zu konstruieren. Vielleicht kann man das auch mit einem Künstler vergleichen, der all seine Wut, seinen Schmerz und seine Trauer auf die Leinwand bringt. Mit dem Unterschied, dass der Künstler weiß, dass das nur sein Ventil ist und er keineswegs versucht, den Betrachter*innen sein Leid aufzuzwingen. Diese entscheiden nämlich freiwillig, ob sie die Ausstellung mit seinen Bildern sehen wollen, ob sie ein Ticket kaufen. Und sie wissen, dass sie sich in eine Fantasiewelt begeben, die zwar die Realität zur Vorlage hat, aber eben doch vor allem durch Kreativität beherrscht wird.

Die Aluhutmenschen hingegen versuchen alle dazu zu bewegen, endlich „aufzuwachen“ und wollen die anderen Menschen in ihre Welt hinein zerren. Nun könnten wir das einfach ignorieren, daran vorbei laufen ohne es eines Blickes zu würdigen. Ignoranz ist die größte Bestrafung. Jedoch: Wir geben ihnen aktuell genau diese Bühne, die sie so sehr suchen. Vielleicht weil uns momentan auch etwas langweilig ist und unsere Sensationssucht erweckt ist. Haben wir denn vergessen, was die stetige Präsenz der AfD in den Medien mit ihr gemacht hat? Sie wurde größer und stärker!

Je mehr wir die Aluhutträger aber medial in den Vordergrund rücken und diffamieren, desto stärker fühlen sie sich. Schließlich sehen sie sich dann darin bestärkt, dass die Medien ihre Feinde sind und wie gesagt – Feinde machen Freunde stark. Aufmerksamkeit hingegen sollte denen gelten, die tatsächlich auf aktuelle Misstände aufmerksam machen: Denen, die für Geflüchtete auf die Straßen gehen, die gegen Ausbeutung von Mensch und Tier in Fleischkonzernen demonstieren und ja, auch jenen, die gegen Corona-Maßnahmen auf die Straßen gehen, weil sie durch die Einschränkungen in Existenznot geraten sind.

Vielleicht ist es paradox, dass ich der Verschwörungs-Gemeinschaft überhaupt einen Artikel widme, wenn ich der Ansicht bin, dass sie ohnehin schon zu viel Plattform bekommen. Aber genau das muss ja auch mal thematisiert werden.

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Geschrieben von

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