Nach der Banken- soll nun die Kapitalmarktunion folgen: Die EU-Kommission sieht sie als wichtigen Lösungsbeitrag für die Krise Europas. Sie soll den Unternehmen in allen 28 EU-Staaten ihre Finanzierung erleichtern und damit die Investitionstätigkeit anregen. Denn Letztere, so die Kommission in ihrem bis 2019 reichenden Aktionsplan, lahmt wegen zu starker Abhängigkeit der Unternehmen von den Banken. Stärkere Kapitalmärkte gleich effizientere Finanzmärkte, das ist die Formel hinter dem Vorhaben. Weil sich die Banken mit der Kreditvergabe zieren und die Staaten Sparpolitik exerzieren, brauche es andere Kapitalquellen für Unternehmen. Kein Witz: Mehr Deregulierung hält die EU-Kommission für das Gebot der Stunde.
Denn Kernstück der Kapitalma
Kapitalmarktunion ist die Verbriefung von Krediten, das haben die Pariser Ökonomen Frédéric Lemaire und Dominique Plihon gerade schön in der Le Monde diplomatique herausgearbeitet. Wir erinnern uns: Verbriefung nennt man die Zusammenführung verschiedener Kredite zu einem Kreditpaket, das dann von den Banken am Kapitalmarkt weiterverkauft werden kann. Vor der großen Krise der Jahre 2008/2009 waren es vor allem US-Hypothekenkredite unterschiedlicher Qualität, die zu Paketen verschnürt und bestens von den Ratingagenturen bewertet in die ganze Welt verkauft wurden.Im Kino ist derzeit der Film The Big Short zu sehen – und sehr zu empfehlen. Er zeigt klar, wie die absurderweise „securitisation“ genannten Verbriefungen dazu benutzt wurden, Kreditschrott, für den sich keiner verantwortlich fühlte, in die ganze Welt zu verkaufen. Weil man die Risikoeinschätzung für die zugrunde liegenden Hypotheken durch die Verbriefung vollständig von den Haltern der Papiere fernhielt und das Risiko der Papiere mit Hilfe der Ratingagenturen völlig intransparent gestaltete, konnte man diesen „shit“ – O-Ton des Films – auch dann noch in großen Massen loswerden, als die Immobilienblase schon kurz vor dem Platzen war.Was die Kommission und Regierungen immer noch nicht zu verstehen scheinen: Finanzmärkte sind nicht effizient. Sie sind geprägt von Herdenverhalten. Die Herde läuft so lange einem bestimmten Trend hinterher, bis das ganze System kollabiert. Dann ist der Schaden groß, weil über Jahre falsche Preise vorherrschten, die Millionen von falschen Entscheidungen in der Realwirtschaft nach sich gezogen haben.Zu glauben, man könne heute durch eine neue Welle der Liberalisierung dafür sorgen, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen mehr und leichter Kredite bekommen, ist naiv, dumm oder von der Finanzlobby direkt in die Feder diktiert. So sollen Firmen ohne Börsennotierung bald direkt Finanzinvestoren, Versicherungen und Fonds etwa anzapfen oder ihnen eben ihre verbrieften Schulden verkaufen können. Regulierung, zum Beispiel durch die Börsenaufsicht, lässt sich so umgehen.Aus alldem spricht eine grandiose Überschätzung der Kapitalmärkte. In einer Welt, in der es nicht gelingt, durch Nullzinsen die Kreditvergabe anzuregen, sind weitere Kapitalmarktliberalisierungen unnötig wie ein Kropf. Vielmehr wird dies dazu führen, auch die letzten Versuche einer neuen und besseren Regulierung, durch die Finanztransaktionssteuer etwa, auszuradieren.Erst mal lernenWas Europa wirklich braucht, ist etwas ganz anderes. Bevor es neue Unionen schafft, muss Europa endlich verstehen lernen, was eine Währungsunion ist. Was sie kaputt macht. Es sind die riesigen Wettbewerbsvorteile eines ganzes Landes – Deutschland – gegenüber anderen Ländern.Das ist extrem problematisch, weil es den Wettbewerb der Unternehmen zwischen beiden Ländern verzerrt. Von welcher Art diese Vorteile sind, spielt dabei keine große Rolle. Ob das Land Importzölle erhebt, die Steuern für seine Unternehmen besonders stark senkt oder ob es seinen Unternehmen hohe Subventionen gibt, ob die Währung eines Landes unterbewertet ist oder ob die Politik des Landes in einer Währungsunion mit dafür gesorgt hat, dass die Löhne für alle Unternehmen im Verhältnis zur Produktivität weniger stark steigen als in den anderen Ländern – immer entsteht ein Vorteil für alle Unternehmen des einen Landes, der die Unternehmen in den Partnerländern systematisch schädigt.Unbestritten war viele Jahrzehnte lang, dass sich die anderen Länder selbstverständlich gegen solche artifiziellen Vorteile wehren und ihre Unternehmen vor den damit verbundenen Nachteilen schützen dürfen. Also ist es erlaubt, entsprechend den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO), eigene Zölle einzuführen, die eigene Währung abzuwerten oder ein Dumping-Verfahren gegen solche Länder anzustrengen, die ihre heimischen Unternehmen stützen. Auch politischer Druck auf die eigenen Löhne zur Kompensation des ausländischen Lohnvorteils in Systemen fester Wechselkurse ist eine Möglichkeit.Bei vernünftig konstruierten Verträgen müssten sich die Handelspartner daher auch nicht mehr an das Freihandelsgebot halten, könnten stattdessen gegenüber Deutschland Importzölle zur Kompensation des deutschen Dumpings einführen. Doch die europäischen Verträge sind nicht vernünftig konstruiert. Die Kommission geht massiv und ernsthaft gegen Fälle vor, in denen Staaten ein einzelnes Unternehmen bevorteilen, bis hin zu Klagen vor dem europäischen Gerichtshof. Wenn jedoch ein Land alle seine Unternehmen durch Steuersenkung oder Lohndruck bevorteilt, fällt das unter die Rubrik „Wettbewerb der Nationen“ oder „nationale Steuersouveränität“ und die Kommission tut nichts. Aber durch eine solche pauschale Subvention in Deutschland kann die Situation eines Unternehmens in Frankreich gegenüber seinem deutschen Konkurrenten in genau der gleichen Weise verzerrt werden wie durch eine individuelle Subvention. Insgesamt gesehen ist der Schaden jedoch viel größer als bei einer Einzelsubvention, weil nun alle Unternehmen Frankreichs unter dem Dumping leiden.Ohne die europäischen Verträge könnte Frankreich bei der WTO ein Dumping-Verfahren gegen Deutschland anstrengen, mit großer Aussicht auf Erfolg. Oder es wäre zusammen mit Deutschland in einem Währungssystem, das ohne große Verwerfungen eine Abwertung der französischen Währung erlauben würde. Wer eine Kapitalmarktunion anstrebt, muss zunächst einmal die Währungsunion verstehen.Placeholder authorbio-1