Italiens deutsche Falle

Euro In Rom benennt eine Koalition die Fehler der Währungsunion. Da sind die Besserwisser aus dem Norden gleich zur Stelle
Ausgabe 22/2018
Wie belebt man eine Wirtschaft, die am Boden liegt?
Wie belebt man eine Wirtschaft, die am Boden liegt?

Foto: Independent Photo Agency/Imago

Italiens Koalition hat Deutschland und große Teile Nordeuropas verbal schon wieder in den Griechenland-Modus versetzt: Der Norden sei solide, der Süden marode und unberechenbar. Die Klügeren unter den nördlichen Besserwissern heben lediglich warnend den Zeigefinger ob der drohenden Konsequenzen südlicher Ausgaben-Orgien, die dumpfbackigen Besserwisser sprechen unverhohlen von südlichen „Schnorrern“, gefährlichen Populisten und rechtsradikalen Feinden der Demokratie. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger, der bei Letzteren immer ganz vorne mitmischt, hofft gar, dass „die Märkte“ italienischen Wählern den rechten Weg weisen.

Das alles ist großer Unsinn. Diesen aber verbreiten die nördlichen Besserwisser nicht bewusst, sondern reflexartig: weil sie nach Jahren der Verdrängung einfach nicht mehr zu erkennen imstande sind, wie groß ihr Anteil an der italienischen und an der südeuropäischen Misere ist. Würden sie nur einen Hauch von Makroökonomik verstehen, müssten sie sehen, dass sie selbst Italien eine Falle gestellt haben, die dem Land nur „radikale“ Optionen belässt.

Italiens Wirtschaft hat sechs Jahre Rezession hinter sich. Die dringlichste Aufgabe einer neuen Regierung ist es, diese Wirtschaft zu beleben. Doch wie belebt man eine Wirtschaft, die am Boden liegt? Jeder Ökonom, der volkswirtschaftliche Gesamtrechnung beherrscht, weiß, dass man dafür einen Impuls braucht. Ein solcher Impuls kann aus verschiedenen Richtungen kommen. Doch allen Impulsen ist gemein, dass sie darauf beruhen, dass jemand Geld ausgibt, das er – um es in der Sprache der Dumpfbacken zu sagen – nicht hat.

Ja, es muss jemand einen Kredit aufnehmen und mehr Geld für Güter und Dienste ausgeben, als er selbst eingenommen hat: Jemand muss neue Schulden machen. Denn wenn alle nur so viel ausgeben, wie sie einnehmen, bleibt die Wirtschaft stehen. Geben bestimmte Gruppen sogar weniger aus, als sie einnehmen, ohne dass andere entsprechend entsparen oder sich verschulden, bricht die Wirtschaft weiter ein.

Diese Logik schließt alle anderen Maßnahmen ein, insbesondere die berühmten Strukturreformen. Was immer man tut: Kommt es nicht gleichzeitig zu den oben beschriebenen Impulsen via höhere Schulden, läuft jede Reform ins Leere. Nun muss man die Schulden nicht selbst machen. Man kann darauf bauen, wie Deutschland das zu Anfang der 2000er Jahre getan hat, dass andere Schulden machen, die einem selbst zugutekommen. Das kann gelingen, wenn man selbst den Gürtel enger schnallt und so billig wird, dass die Menschen im Ausland vermehrt die eigenen Güter kaufen und dafür Kredite aufnehmen.

Diesen Weg wäre Italien als exportstarke Nation in den vergangenen Jahren gerne auch gegangen. Doch dieser Weg ist Mitgliedern der Eurozone weitgehend verschlossen – von der Nation, die sich mit Hilfe ihres Lohndumpings auf den globalen Märkten breitgemacht hat und den höchsten Leistungsbilanzüberschuss der Welt aufweist: Deutschland. Wollte Italien gleichziehen, müsste es in kurzer Zeit die Löhne dramatisch senken, seine Binnennachfrage würde einbrechen, mit massiven Folgen für die Arbeitslosigkeit. Griechenland lässt grüßen. Man kann auch hoffen, dass der für eine Belebung nötige Impuls von den Unternehmen kommt. Doch wenn diese bei Nullzinsen nicht investieren, sondern selbst mehr einnehmen als ausgeben, also sparen, wie das in Italien und in Deutschland der Fall ist: Wer könnte sie dann, ohne neues Geld in die Hand zu nehmen, dazu bewegen?

Darum bleibt in Italiens Fall nur der Staat als Impulsgeber für die Wirtschaft. Denn dass die privaten Haushalte plötzlich anfangen, die Schuldnerrolle zu spielen, ist sehr unwahrscheinlich. Insofern hat die Koalition aus Lega und Fünf Sterne recht damit, darauf zu beharren, dass es eine staatliche Anregung geben muss.

Die hier gezeigte Logik ist vollkommen unabhängig vom Schuldenstand. Ob man wie Italien 130 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt ausweist oder, wie Japan, über 250 Prozent, spielt keine Rolle. Der Impuls kommt immer nur von neuen Schulden. Deutschland sollte das wissen, baut es doch fast jedes Jahr darauf, dass zur Anregung seines Wachstums die neuen Schulden des Auslandes in Form steigender Leistungsbilanzüberschüsse noch einmal zunehmen. Aber die europäischen Verträge, jammern viele in Deutschland, die werden doch damit gebrochen! Ja, die Verträge müssen gebrochen werden, weil sie ohne jede makroökonomische Logik sind. Sie wurden zusammengeschustert mit der vermeintlichen Vernunft der schwäbischen Hausfrau und sind vollkommen unangemessen zur Steuerung der Währungsunion. Wer Europa retten will, muss die Verträge ändern – auch damit hatte die Koalition in Italien recht.

Wer aber gegen die Vernunft rechtstreu sein will, sollte Deutschland zwingen, seinen dreisten Verstoß gegen die Verträge und eigene Gesetze sofort zu beenden. Die horrenden deutschen Leistungsbilanzüberschüsse brechen Jahr für Jahr die europäischen Verträge und das deutsche Stabilitäts- und Wachstumsgesetz dazu.

Heiner Flassbeck veröffentlicht im Juni das Buch Gescheiterte Globalisierung. Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates mit Paul Steinhardt

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