Seele für die Seele

EIN SCHULROMAN VON VORGESTERN Benjamin Leberts überschätzter Erstling »Crazy«

Young adult fiction - so nennt man in den USA jene Prosa, die keine Jugendliteratur im hergebrachten Sinn mehr sein will und doch von den Lebensproblemen in der Zeit zwischen Pubertät und Erwachsenenalter handelt. Bücher dieser Art haben in den letzten Jahren Konjunktur. Das zeigt der Erfolg des bei Kiepenheuer erschienenen Romans Soloalbum von Benjamin v. Stuckrad-Barre oder der Rummel um Alexa Hennig von Langes Relax (bei 2001). In einer Mediengesellschaft, die Jugendlichkeit kultiviert, zehren diese Titel von dem Nimbus, ein ebenso authentisches wie witziges Abbild der aktuellsten Jugendszenen zu liefern, und experimentieren erfolgreich mit neuen Erzählformen für junge Erwachsene.

Crazy, der in den letzten Wochen heiß diskutierte Erstling von Benjamin Lebert bewegt sich allerdings, und dies ist keineswegs ein Vorzug, in einem sehr viel traditionelleren Fahrwasser. Erzählt wird eine typische autobiographische Schulgeschichte. Dieses alte Genre, das im 19. Jahrhundert entstanden ist, berichtet vom Scheitern eines begabten, sensiblen Außenseiters am Erziehungsterror seiner Lehrer und Eltern. Allerdings ist es um diesen Romantypus seit einigen Jahren auffallend still geworden: die Erfahrungen mit den locker-lässigen Pädagogen der 68er-Generation lassen sich eben nicht mehr so leicht in das konventionelle Gattungskorsett von Emil Strauß oder Hesse zwängen.

Lebert ficht das nicht an. Würde man ein paar Details ändern, könnte sein Buch ohne weiteres auch um 1900 spielen, obwohl seine Handlung in der Gegenwart angesiedelt ist. Autobiographisch grundiert, breitet es kaum verschlüsselt den Alltag seines Helden im Internat zu »Neuseelen« (Achtung: Sprachsymbolik!) vor uns aus: das Duschen und Essen, die Gemeinheiten der Lehrer, Heimweh und Heimlichkeiten der Internatsbewohner, ihr Pendeln zwischen Weltschmerz und Lebenswillen, die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens und die ersten sexuellen Kontakte zu Mädchen, die natürlich wieder in eine tiefe Desillusionierung münden. Dasselbe gilt für den Fluchtversuch einer Schülergruppe, der von Anfang an zum Scheitern bestimmt ist. Das alles hat man, zwischen Hesse und Salinger, schon einmal gelesen, nur in der Regel meistens besser.

Lebert schreibt, wie er mehrfach betont, aus der Seele für die Seele. Woran es seinem Buch vor allem mangelt, ist Distanz und, von ganz wenigen Passagen abgesehen, Selbstironie. Es dürfte kein Zufall sein, daß die großen Kindheitsdarstellungen fast immer aus der Retrospektive entworfen worden sind und ihre Leser nicht mit naiver Unmittelbarkeit für sich einnehmen wollen. Gerade das aber versucht Lebert, ohne daß dieser Mangel an Distanz durch einen Gewinn an Authentizität aufgewogen würde. Denn seine Figuren plappern so hilflos über Gott und die Welt, als säßen sie im Konfirmandenunterricht, ihr Musikgeschmack liegt irgendwo in den siebziger Jahren zwischen Pink Floyd und Frank Zappa, und ihr Jugendjargon beschränkt sich im wesentlichen auf die beiden Wörter »cool« und »crazy«.

Von den gedanklichen Banalitäten, den Ungereimtheiten der Handlung und den unzähligen stilistischen Mißgriffen wollen wir mit Rücksicht auf das Alter des Autors - er ist erst 16 - lieber schweigen. Wer noch so jung ist, hat vielleicht das Recht auf Schonung. Aber hätten es nicht auch, ob jung oder alt, seine Leser?

Benjamin Lebert. Crazy. Verlag Kiepenheuer, Köln 1999, 176 S., 14,90 DM

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden