Ein Querkopf hat Geburtstag

Laudatio Dem Publizisten Bernd Hesslein zum 85.

Ein 85. Geburtstag - da kommen wir Älteren ins Nachrechnen. 1921, das war der Jahrgang der forschen jungen, schnell beförderten und mit Orden überschütterten Hitler-Offiziere, die im vollen Aufputz oder später - an den Nachkriegs-Universitäten - in den etwas heruntergekommenen Uniformen der Demobilisierten herumstolzierten. Sie waren auf dem Weg vom überkompensierenden Minderwertigkeitskomplex, vom "Wir sind wieder wer" und "Wir waren doch ziemlich gut" zum Verlierer, nicht zum Befreiten. Es waren jene, die eine Wehrmacht mit der sauberen Weste erfanden.

Am 12. August wird nun auch Bernd Hesslein 85 Jahre alt. Er ist das ganze Gegenteil jener anderen seines Jahrganges: Er ist einer, der - wie Erich Kuby, allerdings elf Jahre jünger - als Gefreiter durch diesen Krieg ging und jedermann unaufgefordert sagt, er schäme sich dafür, diesen Krieg nicht verweigert und die ganze Zeit bis zur Gefangenschaft in England durchgestanden zu haben. Dort heiratete er eine Irin und blieb Deutschland vorerst fern. Seine politische Sozialisierung erlebte er in Wilton Park. Freilich fehlte ihm etwas Entscheidendes: die Sprache - gerade so, wie Hannah Arendt es 1964 Günter Gaus in jenem unvergesslichen Interview gesagt hatte. So kam er 1949 ohne Frau nach Deutschland zurück und wurde Journalist, also ein Mann der Sprache, zuerst bei der Hannoverschen Rundschau, dann bei der dpa und ab 1963 beim NDR.

Es war vor allem die Soldatenzeit, die ihn zu einem Spezialisten für die ihm unerwünschte Bundeswehr werden ließ. Ein Thema, das ihn noch heute ebenso fesselt wie bedrängt, obwohl sich inzwischen niemand mehr fragt, wie es zur Wiederbewaffnung in den fünfziger Jahren überhaupt hatte kommen können - unter den Bedingungen des Kalten Krieges, in denen es die neuen deutschen Musterschüler der Demokratie und des strammen Antikommunismus genossen, endlich auf der richtigen Seite zu stehen.

Hesslein blieb bockig, unbequem und ... frei - das konnte man in jenen noch jungen Jahren unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten wie dem NDR noch etwas besser als heute.Was Hessleins Verdienste keineswegs schmälert, denn schon damals machten Katzbuckler, Anpasser und Parteileute leichte Karriere. Nein, ein solcher Aufstieg wurde ihm nicht zuteil, er wollte frei sein und sagen und schreiben, was er für richtig hielt, sich nichts vorschreiben lassen. Und das wurde seinerzeit auch wirklich gesendet beziehungsweise gedruckt: Zum Beispiel der Film Umerziehung und Kriegsgefangenschaft oder das Buch Die unbewältigte Vergangenheit der Bundeswehr. Das war die Zeit, in der alle noch von der Nazizeit eingeschüchtert waren und nicht wagten, Druck auf die Redakteure auszuüben. Es war auch die Zeit der Vollbeschäftigung, in der sich kein Journalist sagen lassen musste, er könne gerne gehen, draußen würden ein paar hundert andere stehen, die auf seinen Posten scharf seien.

Das hat sich dramatisch geändert - und so muss man Bernd Hesslein beglückwünschen, dass er eine Zeit, eine lange Zeit erlebt hat, in der fast alles möglich war, wenn man sich nicht gerade den Maximen der Verlagshäuser Springer und Baur und anderer verpflichtet fühlte. Noch im September und Oktober 1994 war es Hesslein im NDR möglich, eine fünfteilige Sendung unterzubringen, die von der Wiederbegegnung mit uns selbst und Deutsch-deutschen Legenden handelte. Seit 1995 liegt sie mit Sperrvermerk im NDR-Archiv: Lang lebe die innere Meinungs- und Pressefreiheit, die neue Schere im Kopf, die es bei Bernd Hesslein nicht gab! Er soll uns noch möglichst lange begleiten - und weiter in wirklich oder vermeintlich linken Publikationen - wenig genug sind es - unangepasste, kantige Sachen schreiben. Herzlichen Glückwunsch, lieber Bernd Hesslein!


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