17. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus

Kino Osteuropas Kino boomt, doch bei uns merkt man nichts davon. Nach wie vor findet kaum ein Film aus den Ländern des einstigen kommunistischen ...

Osteuropas Kino boomt, doch bei uns merkt man nichts davon. Nach wie vor findet kaum ein Film aus den Ländern des einstigen kommunistischen Machtbereichs den Weg auf eine deutsche Leinwand. Zu den Ausnahmen gehört das Festival des osteuropäischen Films in Cottbus. Vor 17 Jahren war es von einigen Aktivisten der DDR-Filmklubs gegründet worden, um den nach der Wende aus den Kinos verdrängten Kinematografien des Ostens weiterhin ein Forum zu bieten. Aus jenen bescheidenen Anfängen ist inzwischen ein international beachtetes Ereignis geworden, das ein ständig gewachsenes lokales Publikum anzieht.

Im Gesamtangebot von 80 Filmen war Russland traditionell besonders zahlreich vertreten. Allerdings vermisste man die jüngsten, politisch brisantesten Produktionen: Arkady Yakhnis kafkaeske Parabel Uzhas, Kotoryj vsegda s toboj (Der Horror, der immer mit dir ist) auf die Wiederherstellung der unlängst in einem offenen Brief zehn prominenter Wissenschaftler an Putin kritisierte unheilige Allianz zwischen Staat und Kirche in Russland. Und Alexej Balbanovs Cargo 200, das in Moskau heftig diskutierte, krasse Porträt einer dekadenten Gesellschaft am Vorabend der Perestroika, verstanden auch auf Heutiges zielend.

Heikle Themen fand man in der Cottbuser Spektrum-Reihe. In Wnuk Gagarina (Gagarins Enkel) von Andrej Panin und Tamara Wladimirzewa begegnet einem schwarzen Zwölfjährigen offener Rassismus, und in Kremen (Mit kaltem Herzen) von Alexej Misgirew wechselt ein junger Mann gleich nach dem Militärdienst zur Moskauer Miliz, wo er Teil einer korrupten Schlägertruppe wird, die alle Fernsehbilder prügelnder Ordnungshüter zu bestätigen scheint.

Harmloser präsentierten sich die beiden russischen Wettbewerbsbeiträge. Izganije (Die Verbannung) von Andrej Swjaginzew verdankte seine Programmierung wohl dem Erfolg des Regisseurs mit dem 2003 in Cottbus gezeigten Debüt Woswraschtschenije (Die Rückkehr). Der Film enttäuschte aber in 150 viel zu langen Minuten als prätentiöses, musikalisch pathetisch aufgeplustertes und machistisches Konstrukt, das sein offensichtliches stilistisches Vorbild Tarkowski nicht annähernd erreicht. Der Konflikt beim Familienurlaub auf dem Land wird ausgelöst durch das Geständnis der Frau, ein Kind von einem anderen Mann zu erwarten. Was durch eine Abtreibung tödliche Folgen hat. Abgesehen von dramaturgischen Schwächen, wirkt das nicht neue Thema Sprachlosigkeit zwischen Ehepartnern hier nur künstlich inszeniert.

In Puteschstwije s Domachnini Schiwotnymi (Reise mit Haustieren) von Wera Storochewa verwandelt sich die als 16-Jährige von einem wesentlich älteren Mann aus einem Waisenhaus weggeheiratete Natalia nach dessen Tod in eine selbstbewusste, junge Frau. Die glaubhafte Darstellung dieser Emanzipation in einem einsamen Bahnwärterhäuschen brachte dem Film und seiner Protagonistin Ksenija Kutepowa Spezialpreise und Auszeichnungen gleich dreier Jurys ein.

Mindestens ebenso verdient hätte sich Kirsti Stubo den Preis für die beste Schauspielerin mit ihrer extremen Verkörperung einer Irrenhauspatientin in Opium - Egy Elmebezeg nö Naplója (Opium - Tagebuch einer irren Frau) von János Szasz. Aber zur verdienten Anerkennung des radikalen Films fand sich keine Jury bereit. 1913 kommt ein von Freud beeinflusster, morphiumsüchtiger Arzt und Schriftsteller in die mit Foltermethoden arbeitende Anstalt, und zwischen ihm und der jungen Frau, die sich vom Teufel besessen glaubt und dicke Tagebücher füllt, entwickelt sich eine erotische Obsession.

Der Fokus, der sich in Cottbus jeweils auf eine Region richtet, war diesmal den Nachfolgestaaten Jugoslawiens gewidmet. Als beherrschendes Thema zogen sich Migrantenschicksale durch viele Filme. Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen besinnt man sich wieder auf Gemeinsamkeiten. Als erste Co-Produktion aller Balkanstaaten entstand 2006 Karaula (Der Grenzposten) von Rajko Grlic. Eine 1987 unter Soldaten an der mazedonischen Grenze zu Albanien spielende, blutig endende Komödie, die an die jugoslawische "schwarze Welle" der sechziger Jahre erinnert. Tito ist hier nur noch, einmal sogar buchstäblich, Schießscheibe der Satire.

Im Wettbewerbsbeitrag Zivi i Mrtori (Die Lebenden und die Toten) von Kristijan Milic verbinden sich die Geschichte eines Feldzugs kroatischer Soldaten in Bosnien 1993 gegen Muslime mit der vom Angriff eines Trupps unter Ustascha-Führung gegen Partisanen im Jahre 1943 zu einem eindrucksvollen Plädoyer gegen den Irrsinn jedes Krieges. Film als Medium der Versöhnung, Cottbus 2007.

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