Arbeit macht Arbeit

Dokfilmfest Filme über die Bedingungen, unter denen geschuftet wird - in China oder auch hierzulande. Das Dokfilmfest Leipzig interessiert mit anspruchsvollen Dokumentarfilmen

Sovpolikadr war die Entdeckung des Festivals. Sie war 40 Jahre alt und kam aus einem Land, das es nicht mehr gibt. „Sov“ steht für sowjetisch, „poli“ für mehrfach und „kadr“ für Einstellung. Auf die Leinwand übertragen: Parallelmontagen aus alten und neuen Filmen mit bis zu 15 einzelnen Einstellungen. Eine furiose Überwältigung des Zuschauers mit den Mitteln der revolutionären Avantgarde von Eisenstein, Pudowkin, Wertow und anderen, entwickelt in den Studios von Mosfilm: 1971 erinnerte derart Aleksandr Šejn mit dem Film Internacional den 100. Jahrestag der Pariser Kommune, voller Pathos den endgültigen Sieg des Kommunismus beschwörend. Heute, in Zeiten ohne Utopie ein Zeugnis der Nostalgie.

19 Sovpolikadr-Filme, die seinerzeit als Vorprogramm in den Kinos liefen, entstanden bis 1986/87, als die hohen Produktionskosten zur Einstellung des Verfahrens zwangen. Der erste dieser Filme, Naš Marš, ein Rückblick auf die Geschichte der Sowjetunion, gewann 1971 in Leipzig eine Goldene Taube.

Diesmal ging diese höchste Auszeichnung des Festivals an El lugar más pequeno von Tatiana Huezo. Die mexikanische Regisseurin porträtiert den Geburtstort ihrer Großmutter, ein Dorf in El Salvador, das als Guerilla-Hochburg im Bürgerkrieg von 1979 bis 1992 vom Militärregime dem Erdboden gleichgemacht, aber von den Überlebenden wiederaufgebaut wurde. Die meisten Preise im internationalen Wettbewerb erhielt der deutsche Beitrag Work Hard – Play Hard von Carmen Losman. Die Jurys von FIPRESCI, Oekumene und Healthy Workplace Film Award erkannten darin das albtraumhafte Abbild einer neuen „schönen Arbeitswelt“: kalte Büroräume, die ein Wohlgefühl vermitteln sollen, mit „Coffee Point“ als „Meeting Place“ von auf die Firma eingeschworenen Mitarbeitern. Auf ihre Eignung ­werden sie in Managertests mit Selbstdarstellung und Emotions- und Motivationstraining im Wald geprüft.

Volle Säle

Dagegen zeigt in Made in China von Du Jian Arbeitsbedingungen in einer südchinesischen Textilfabrik wie im Frühkapitalismus. Auch die Sorgen der Kleinunternehmer in Zeiten der Krise werden nicht ausgeblendet, doch krankt der über zweistündige Blick auf die Herkunft vieler unserer Kleidungsangebote an ermüdenden Wiederholungen. Freilich durfte man von einer Produktion des größten chinesischen „educational Television Network“ allzu kritische Töne kaum erwarten.

Die prägten zwei kurz vor dem Aufbruch der arabischen Welt entstandenen Filme, die in einer Reihe von insgesamt sechs diesem Thema gewidmeten Beiträgen zu sehen war. Mamnou von Amal Ramsis aus Ägypten befasst sich mit den Verboten, die unter dem Mubarak die Gesellschaft einmauerten, und Laicité, inch‘ Allah von Nadia El Fani aus Tunesien zeigt den Zwang religiöser Gebote, die auch nach der Revolution einer säkularen Verfassung im Wege stehen dürften. In beiden Filmen räumen Interviewpartner bereits ihre Übertretung der Vorschriften ein.

Der Besucherrekord von mehr als 38.000 Zuschauern bewies ein Bedürfnis nach Dokumentationen, die ein facettenreiches Bild unserer Welt vermitteln, und sollte Fernsehmachern zu denken geben, die mit überflüssigen Talkshows ihren Bildungsauftrag verraten.

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