Die eigene, fremde Geschichte

Erinnerungen an Babelsberg Bücher über Konrad Wolf

Am 20. Oktober hätte Konrad Wolf seinen 80. Geburtstag feiern können. Doch der wohl international bekannteste DEFA-Regisseur starb mit erst 56 Jahren am 7. März 1982. Es wäre ein vielleicht interessantes, wenn auch müßiges Gedankenspiel, darüber zu spekulieren, um wie viel und worum der Schöpfer von 15 meist gewichtigen Filmen sein Œuvre bis heute noch erweitert und wie der gläubige Kommunist den Untergang von DDR und Sowjetunion verwunden hätte. Ob er, wie sein älterer Bruder Markus, Spionagechef der DDR, eher locker damit umgegangen oder - wie bedeutende russische Regiekollegen - künstlerisch verstummt wäre. Ein Buch über die Geheimnisse der russischen Küche, wie es Markus verfasste, hätte auch der leidenschaftliche Koch Konrad Wolf schreiben können.

Ob ihm westdeutsche Produzenten noch die Möglichkeit zur Verwirklichung seines letzten Projekts Die Troika gegeben hätten, ist, wie die negativen Erfahrungen prominenter DEFA-Kollegen mit kapitalistischen Geldgebern nahe legen, eher fraglich. Markus Wolf hat die autobiografische Geschichte einer Moskauer Jugendfreundschaft zwischen drei "Söhnen" - Konrad, Sohn des Schriftstellers Friedrich Wolf, Viktor, dem Sohn eines amerikanischen Journalisten, und Lothar, dem während des Krieges in der Luftwaffe dienenden Sohn eines unter Stalin umgebrachten deutschen Kommunisten - nach dem Tod des Bruders als Buch veröffentlicht. Dass diese Freundschaft allen weltpolitischen Wandel überdauerte, sagt viel über den Menschen Konrad Wolf, seine Toleranz und Mittlerrolle, die ihm nicht zuletzt in seiner seit 1965 bekleideten Funktion als Präsident der Akademie der Künste der DDR nachgerühmt wird.

Konrad Wolfs offizielle (und damit auch grundsätzlich linientreue, manchmal offene, manchmal taktisch gebremste) Äußerungen sind in zahlreichen DDR-Publikationen nachlesbar. Mit Der Sonnensucher Konrad Wolf von Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich liegt jetzt die erste umfangreiche Biografie aus westdeutscher Sicht vor: eine bewundernswerte Fleißarbeit. Die Autoren vom Filmmuseum Berlin haben sich durch einen Bücherwust gefressen, 56 Archive durchforstet und Gespräche mit Freunden, Weggefährten, Arbeitskollegen und der Familie Konrad Wolfs geführt: bis aufs i-Tüpfelchen belegt in 94 Seiten Anmerkungen. Mühsam muss sich der Leser erst einmal durch seitenlange ausufernde Auslassungen über eine Anfang der dreißiger Jahre von den Söhnen des kommunistischen Naturarztes und Dramatikers Friedrich Wolf besuchte Stuttgarter Reformschule quälen und erfährt durch das Hausmädchen der Wolfs, dass Konrad kein zum vegetarischen Familien-Speiseplan gehöriges Bircher-Müsli mochte.

Erste Filmerfahrungen macht der Neunjährige in Moskau, wo die Familie nach Zwischenstationen in der Schweiz und Frankreich ab 1934 eine Exilheimat findet. Hier schaut er sich angeblich mehr als zehnmal den sowjetischen Revolutionsklassiker Tschapajew an und tritt 1936 in einer kleinen Nebenrolle in dem von deutschen Emigranten gedrehten antifaschistischen Film Borzy (Kämpfer) auf. Im Krieg kämpft er selbst als Frontagitator in der Roten Armee vom Kaukasus bis Berlin. Diese Jugend prägte ihn bis zuletzt - noch auf dem Sterbebett träumt er in Russisch -, und über vorwiegend antifaschistische Themen suchte er nach dem Studium am Moskauer WGIK in seinen DEFA-Filmen die Annäherung an die fremd gewordene deutsche Heimat.

In Sterne (1959), eine Co-Produktion mit Bulgarien, nach einem Drehbuch seines Freundes Angel Wagenstein, und Professor Mamlock (1961), nach einem Bühnenstück seines Vaters, ging es dabei um die Judenverfolgung, wenn auch sonst seine jüdische Herkunft für Konrad Wolf keine Rolle spielte. Trotz Parteidisziplin war sein Verhältnis zu SED-Dogmatikern und Kulturbürokraten nicht konfliktfrei. Sein im deutsch-sowjetischen Uranbergbau des Vogtlandes spielender Film Sonnensucher kam 1959 nicht in die Kinos und wurde erst 1972 vom DDR-Fernsehen ausgestrahlt. Der geteilte Himmel (1964), nach einer Erzählung von Christa Wolf, war ebenso umstritten wie sein letzter, erfolgreichster Spielfilm Solo Sunny (1980), die Geschichte einer unangepassten Schlagersängerin. Ein damaliger Kommentar des Regisseurs hierzu wirkt fast wie eine Vorwegnahme heutiger Diskussionen: "Für mich ist die schleichende, alltäglich-selbstverständliche Brutalität in den Beziehungen viel aufregender und bedrohlicher als jeder unverhüllte Extremfall. Diese Mischung aus Gleichgültigkeit, Empfindungsarmut, Ich-Bezogenheit, aus der sich Katastrophen vorbereiten, deren Ursachen dann keiner mehr entschlüsseln kann." Gleichwohl ist die Feststellung der Autoren: "Solo Sunny zeigte, dass die Sache (gemeint ist die kommunistische Utopie der DDR - H.K.) zu Ende ging", eine nicht nachvollziehbare Behauptung. Dies gilt auch für einen Satz wie "Es spricht einiges dafür, Wolf mehr als filmenden Politiker denn als Künstler mit einem politischen Anliegen zu verstehen."

Bei allem Bemühen um Einfühlsamkeit und ausgewogene, durch Aussagen von Interviewpartnern gestützte Darstellung der Person Konrad Wolf ist doch stets die unterschiedliche Lebenserfahrung sowie die geographische und weltanschauliche Distanz der Biografen zu ihrem Gegenstand spürbar - was manchmal eben zu spekulativer Psychogrammatik verführt. Das mindert nicht das Verdienst ihrer Arbeit. "Es ist mir auch gleichgültig, ob man jetzt oder später von Wolf-Filmen spricht. Ein guter Film ist zuerst einmal ein Zeitdokument." Mit solch uneitler Selbstaussage hat der Regisseur nur bedingt Recht behalten. Wenn seine Filme bis heute Entstehungsort und -bedingungen überlebt haben, dann nicht nur als Zeitdokumente, sondern gerade auch in ihrer künstlerischen Überzeugungskraft als Wolf-Filme. Was auch ihre weltweite Anerkennung erklärt - erwiesen in zahlreichen Retrospektiven im Ausland und nicht zuletzt in einer aktuellen Filmreihe auf 3Sat.


Leute wie er seien angetreten mit bestimmten Idealen. Doch die Wirklichkeit hätte sich extrem weit von diesen Idealen entfernt, und wir müssten ungeheuer viel gemeinsam verändern, sonst wäre dieser Riss nicht zu reparieren. So äußerte sich Konrad Wolf im Mai 1980 nach der internen Vorführung eines Films, der genau jene Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit thematisierte und deshalb acht Jahre auf eine Premiere warten musste: Jadup und Boel. Sein Regisseur Rainer Simon, Konrad-Wolf-Preisträger der Akademie der Künste der DDR 1987, beschreibt detailliert das endlose Tauziehen um eine Freigabe dieses Films in seinen Erinnerungen an Die DDR, die DEFA und der Ruf des Chimborazo - so der Untertitel seines Buches Fernes Land. "Heute lese ich diese Protokolle wie ein absurdes Kapitel einer eigenen, mir fremden Geschichte."

Fern gerückt scheint Simon inzwischen die Nähe des eigenen Landes. Näher ist ihm wohl jetzt die Ferne Ecuadors, die er bei den Dreharbeiten zu seinem Film über Alexander von Humboldt, Die Besteigung des Chimborazo, Ende der achtziger Jahre kennen lernte und später immer wieder suchte, so dass sie ihm so etwas wie eine zweite Heimat wurde. Simons Erinnerungen kommen von den indigenen Malern, deren Bilder er in Berlin zum Kauf ausstellte, zu seiner Kindheit nach Kriegsende in Hainichen und den Babelsberger Jahren, die eine spannende Innenansicht der DEFA vermitteln und den Hauptteil des Buches ausmachen.

Simon gehörte zu den Unbequemen der zweiten Regie-Generation, die von der Filmhochschule kamen, wo ein von ihnen gegründetes "Kollektiv 63" mit dem Anspruch auftrat, realistische Gegenwartsfilme zu drehen, was natürlich Kollisionen mit der affirmativen Wirklichkeitsvorstellung der Funktionäre programmierte. Simons Satire Der Halbsozialist war nur eines von mehreren Projekten, die schon im Drehbuchstadium auf der Strecke blieben. Bereits im Abiturjahr hatte der nunmehrige Student ein Theaterstück Der Schönredner für die Laienspielgruppe der Oberschule geschrieben. Es ging um Heuchelei in Schule und FDJ, ein Thema, das später auch wieder in Jadup und Boel eine Rolle spielte. Viel habe er als Regieassistent während der Dreharbeiten zu Ich war 19 von Konrad Wolf gelernt, schreibt Simon und erwähnt auch Gespräche über die Opfer von Kommunisten in Moskau unter Stalin. Sie bestätigten ihn in der Ablehnung jeglicher Unterwerfung unter ein Dogma, wie es auch die christliche Kirche verlangt. Sein späteres Projekt über den Kreuzzug der Kinder - "mein bestes Drehbuch" - wurde wie auch andere Vorhaben leider nicht realisiert.

Trotz aller Widerstände, die er bei den meisten seiner Filme überwinden musste und die ihn auch zu einem "operativen Vorgang" bei der Stasi machten, ist Simons DEFA-Laufbahn aber eine Erfolgsgeschichte: von den doppelbödig-intellektuellen besten Märchenverfilmungen des Studios, Wie heiratet man einen König und Sechse kommen durch die Welt über Das Luftschiff nach Fritz Rudolf Fries (ich charakterisierte ihn damals als "ersten abendfüllenden Experimentalfilm der DEFA"), die 1985 mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnete Leonhard-Frank-Adaption Die Frau und der Fremde bis zur Besteigung des Chimborazo.

Zwar konnte Simon nach der "Wende" noch zwei Filme drehen, wie für viele seiner besten Kollegen aber war für ihn in der neuen Medienlandschaft kein Platz mehr. "Traumfabrik, den Zuschauer zu manipulieren, hat mich nie interessiert. Das gesellschaftliche Klima in der DDR kam mir, so absurd das klingen mag, dabei entgegen. Doch die eitle Selbstzufriedenheit im heutigen Deutschland ist für diese Art Filme tödlich." Simons letzter in Deutschland realisierter Film Fernes Land Pa-isch brauchte wie Jadup und Boel von der Produktion bis zur Premiere sieben Jahre, jetzt nicht ideologischer Zensur wegen, sondern unter finanziellen Zwängen, und Der Fall Ö., nach einer Erzählung von Franz Fühmann, fand kaum noch Beachtung. Dafür reüssierten drei mit Indios in Ecuador gedrehte Dokumentationen auf lateinamerikanischen Festivals.


Doch noch einmal zurück zur DEFA. Sie lebt nicht nur weiter in Retrospektiven und dritten Fernsehprogrammen, sondern auch in Büchern. In Erzählen für den Film Hat Wolfgang Trampe jene befragt, die mit am wichtigsten sind für einen Film, aber im Gegensatz zu Regisseuren und Schauspielern meist im Hintergrund bleiben: die Drehbuchautoren. Dabei erfährt man von Thomas Knauf (Die Architekten), dass es davon 22 Festangestellte gab, die aber "in der Bilanz höchsten mit zehn oder zwanzig Prozent der Filme vertreten"waren. Von den acht befragten Autoren ist Knauf der Auskunftsfreudigste und hält zu Recht DEFA-Filme für das "beste Anschauungsmaterial über die DDR". Martin Stephan (Bankett für Achilles) hebt hervor, dass die Dramaturgen "immer auf der Seite des Autors" standen. Autoren und Geschichten wurden ernst genommen. "Heute ist der Autor ›der letzte Husten‹". Wie bei Rainer Simon gibt es auch bei den meisten Autoren des Bandes unverwirklichte Projekte, aber Regine Kühn, die 1994 den Deutschen Drehbuchpreis für ihr bis heute nicht realisiertes Szenarium Zarah L. erhielt, vergleicht die Situation bei der DEFA mit Nach-"Wende"-Erfahrungen: "Wir hatten damals sehr konkrete Gegner, denen wir unsere Meinung sagen konnten - unser heutiger Gegner ist nur das Geld, und der lässt sich überhaupt nicht fassen!" Ihre letzten Arbeiten waren Fernsehdokumentationen mit Eduard Schreiber über historische sowjetische Themen. Christa Kozik, von der einige der schönsten Kinderfilme stammen, konnte nach ihrer Entlassung von der DEFA nur noch einen Film mit Rolf Losansky realisieren.


Auch vielen Babelsberger Hochschulabsolventen, deren oft launige Erinnerungen an ihre Studienzeit zum 50-jährigen Hochschuljubiläum ihr damaliger Kommilitone und heutiger Professor Torsten Schulz in einem hübschen Band Orangenmond im Niemandsland zusammengetragen hat, fiel die Umstellung auf eine Markt- und Quoten-Realität schwer. Die große Regie-Karriere gemacht hat nur einer von ihnen. Er steuerte einen Geburtstagsglückwunschbrief an seinen ehemaligen Rektor bei. Der hat inzwischen auch eine andere Karriere gemacht. Andreas Dresen an Lothar Bisky: "Es ist doch sehr wichtig, dass es nicht nur Politiker gibt in der Politik!"

Wolfgang Jacobsen/Rolf Aurich: Der Sonnensucher Konrad Wolf, Aufbau, Berlin 2005. 589 S., 26 Abb., 24,90 EUR

Rainer Simon: Fernes Land, Aufbau Taschenbuch, Berlin 2005. 342 S., 8,95 EUR

Wolfgang Trampe, Erzählen für den Film. DEFA-Stiftung, Berlin 2004. 295 S.,
12,50 EUR

Torsten Schulz (Hg.), Orangenmond im Niemandsland. Vistax, Berlin. 121 S., 10 EUR


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