Das gab´s einmal: dass sich höchste Regierungskreise mit einer Nacktbadeszene im Film befassten. Während bei der westdeutschen Sünderin die hüllenlose Hildegard Knef 1951 einen offenen Skandal hervorrief, spielten sich bei der ostdeutschen Verwirrung der Liebe 1959 Kontroversen mit prüden Funktionären hinter den Kulissen ab. Walter Ulbricht mit Frau Lotte ließen sich schließlich persönlich Slatan Dudows Film vorführen und bestanden auf "anständiger" Badebekleidung. In den DDR-Kinos erwies sich die Komödie als ein Lichtblick in einer ziemlich flauen DEFA-Periode. Ein Millionenpublikum war dafür dankbar. Dem Studio hatte das allerdings über 925.000 Mark mehr Kosten verursacht bei einem mit 2,3 Millionen ohnehin teuren Budget. Kein anderer Regisseur konnte sich das leisten. Aber Dudow war in Babelsberg das einzige Verbindungsglied zur großen proletarischen Filmtradition in der Weimarer Republik. An deren Ende hatte er mit Brecht und dem späteren Stalin-Opfer Ernst Ottwalt den Klassiker Kuhle Wampe gedreht. Damals war der jetzt als Kulturminister gegen (später selbstverständliche) FKK am Ostseestrand argumentierende Alexander Abusch selbst bei ihm in einer Nebenrolle nackt aufgetreten, was Dudow in einer Aussprache süffisant ins Feld führen konnte. Assistiert wurde er von seinem Kollegen Konrad Wolf, der Abusch daran erinnerte, dass dieser in den zwanziger Jahren auch Artikel zugunsten von Freikörperkultur veröffentlicht habe.
Seit seiner Rückkehr aus dem Schweizer Exil war der Bulgare Dudow bei der DEFA so etwas wie ein bunter Vogel. Freilich schützte ihn auch sein Status als Ikone früher KP-Kultur nicht vor harter Kritik wegen der Kostenüberschreitung, und nachdem schon sein Film Frauenschicksale (1952) den Protest des Demokratischen Frauenbundes herausgefordert hatte, löste auch seine Verwirrung der Liebe heftigen Meinungsstreit aus. Verwirrt zeigten sich manche Besucher durch das Verwechsle-das-Bäumchen-Spiel zwischen einem Pärchen aus der Arbeiterklasse und seinem studentischen Pendant, das bei einem ausgelassenen opulenten Künstlerfasching seinen Anfang nimmt, am Ende aber schön säuberlich die temporär getrennten Hälften wieder zusammenbringt statt Proletariat und Intelligenz zu mischen. Für die beiden blutjungen Protagonistinnen Angelica Domröse und Annekathrin Bürger war die Komödie der Beginn einer großen Karriere, für Slatan Dudow leider sein letzter Film. Während der Dreharbeiten zu Christine - wieder ein Frauenschicksal - wurde er am 12. Juli 1963 Opfer eines Verkehrsunfalls.
Die detailgetreue Rekapitulation der Produktionsgeschichte von Verwirrung der Liebe verdanken wir Joshua Feinstein, der sich in seinem Buch The Triumph of the Ordinary als akribischer Rechercheur von DEFA-Geschichte erweist. Der Dozent für Europäische Geschichte an der Stanford-University konzentriert sich in seiner Studie über den ostdeutschen Film als Spiegel von DDR-Alltag auf Beispiele aus den späten fünfziger bis in die frühen siebziger Jahre, zu denen er jeweils das filmische und politische Umfeld skizziert. Nach einem Überblick des ersten DEFA-Jahrzehnts widmet er ausführliche Analysen außer dem Dudow-Film Gerhard Kleins Berlin - Ecke Schönhauser, Konrad Wolfs Der geteilte Himmel ("Sozialistischer Realismus trifft Novelle Vague"), Kurt Maetzigs Das Kaninchen bin ich, Frank Beyers Spur der Steine und "Alltags-Filmen" der siebziger Jahre. Den Rest behandelt der Autor etwas summarisch, liefert aber insgesamt die erste umfassende objektive englischsprachige Darstellung der ostdeutschen Filmgeschichte.
Das Interesse dafür ist in den USA nach der "Wende" gewachsen. Für 2003 bereitete das New Yorker Museum of Modern Art eine DEFA-Retrospektive vor, der sich weitere Veranstaltungen anschließen sollen. Ein Programm mit 15 Filmen wird auch in verschiedenen Kunst- und Filmmuseen der USA und Kanada gezeigt werden. Eine Filmtour "Shadows and Sojourners - Images of Jew and Antifascism in East German Films" ist von der DEFA Film Library der University of Massachusetts Amberst organisiert worden, und die Firma Icestorm hat bereits 61 DEFA-Titel mit neuen englischen Untertiteln auf Video herausgebracht, die nicht zuletzt an über 300 Universitäten und Colleges genutzt werden.
Eine Übersicht der Icestorm-Aktivitäten liefert Geschäftsführerin Hiltrud Schulz (früher bei Progress) im DEFA-Jahrbuch 2002. Hier korrigieren verschiedene Beiträge über das jüdische Thema im DEFA-Film, auch das im Westen verschiedentlich kolportierte Vorurteil, man habe sich in der DDR nicht mit der Judenverfolgung im NS-Staat auseinandergesetzt. So konstatiert der israelische Universitätsprofessor Frank Stern, "dass einige der hervorragendsten deutschsprachigen Filme, die jüdische Charaktere, die deutsch-jüdische Erfahrung und die Shoah repräsentieren, in Babelsberg produziert worden sind. Die gewagte These, dass die Kultur der DDR sich nicht mit jüdischen Themen oder Antisemitismus befasst hat, gehört zur apologetischen Publizistik des Kalten Krieges oder zur Wiederholung antikommunistischer Illusionen in der bundesdeutschen Nach-Vereinigungs-Kampf-Literatur."
Günter Jordan schreibt über "das jüdische Thema in DEFA-Wochenschau und Dokumentarfilm 1946-1948". Später freilich schlugen erst einmal "die antijüdischen Kampagnen im östlichen Lager auch auf die SBZ/DDR durch, vom Kampf gegen Kosmopolitismus und Zionismus über den Field-Komplex und den Slánsky-Prozess bis zum sowjetischen Ärzte-Prozess, der Verhaftung Merkers und der antijüdischen Säuberungswelle Ende 1952/53". Zwar: "Ein Tabu über das jüdische Thema war nie verhängt worden, auch wenn es zeitweise als klüger galt, die Finger davon zu lassen." Das änderte sich erst in den sechziger Jahren. Danach entstanden "mehr als drei Dutzend Porträts jüdischer deutscher Künstler, Politiker und Wissenschaftler, zwei Dutzend Filme zu Orten und Begebenheiten der Geschichte", über die Hälfte für das Fernsehen. Über Parallelen im Spielfilm ist bei Stern nachzulesen.
"Daß Religion und Film eine Art psychotherapeutische Antwortreaktion auf die Unvollkommenheiten sind, mit denen wir leben müssen", ist eine Feststellung des DEFA-Regisseurs Lothar Warneke. In einem Gespräch mit der Herausgeberin Erika Richter spricht der studierte Theologe von seinem Leben, seinen Überzeugungen und seinen Filmen: ein Beitrag, aus dem man auch neue Einsichten über intellektuelle DDR-Karrieren gewinnen kann, die herkömmlichen Klischees widersprechen. Es ist Teil einer Hommage zu Warnekes 65. Geburtstag, zu der auch ein Artikel von Lothar Bisky und eine kommentierte Filmographie gehören, die der erst kürzlich verstorbene, nach dem Kahlschlag des 11. ZK-Plenums vom Dezember 1965 entlassene DEFA-Chefdramaturg Klaus Wischnewski beisteuerte. Zum zehnjährigen Todestag im August 2002 gedenkt das Jahrbuch auch Rolf Richters, den Ulrich Gregor seinerzeit "vielleicht die wichtigste Identifikationsfigur in den west-ostdeutschen Filmbeziehungen" nannte, unter anderem mit Briefen und Dokumenten und dem Abdruck des Szenariums zum nicht realisierten Spielfilm Paule Panke, das Richter 1983 zusammen mit dem Regisseur Heiner Carow schrieb.
Die Publikation von Texten der an den Hürden der Zensur gescheiterter DEFA-Projekte gehört ebenso zur Tradition der Jahrbücher wie Untersuchungen verschiedener Genres der Babelsberger Produktion. Nachdem sich Band 2001 detailreich die Krimis und Kinderfilme vorgenommen hatte - letztere diesmal ergänzt durch einen Beitrag über DEFA-Kinderfilme auf der Berlinale von Klaus-Dieter Felsmann -, beschäftigen sich Michael Grisko und Burghard Ciesla im dritten Jahrbuch mit einem eher seltenen Genre: "Science-fiction bei der DEFA". Die in der DDR während der sechziger und siebziger Jahre als "utopische Filme" in die Kinos gekommenen DEFA-Produktionen unterschieden sich von den "Star Wars" und "Star Treks" aus Hollywood, indem sie nicht kriegerische Auseinandersetzungen im Weltall auf die Leinwand brachten, sondern international zusammengesetzte wissenschaftlich-technische Eliten als Astronauten in den Mittelpunkt der Handlungen rückten, ohne bei dieser "alternativen Genrekonzeption gegenüber der westlichen Actionlinie" auf den Schauwert des Phantastischen zu verzichten.
Mit ihren Filmen knüpfte die DEFA an die spärlichen deutschen Traditionen im SF-Film an, wie sie von Fritz Langs Die Frau im Mond und Metropolis repräsentiert werden. Sie waren aber auch eine Reaktion auf die Pflege dieses Genres im Westen und ein Versuch, mit der bald wieder aufgegebenen 70-mm-Technik (in Signale - ein Weltraumabenteuer von Gottfried Kolditz, 1970, und Eolomea von Herrmann Zschoche, 1972) exportfähig zu werden. Der erste der insgesamt fünf SF-Filme der DEFA, Der schweigende Stern von Kurt Maetzig, 1960, eine Coproduktion mit Polen, lief auch in Westdeutschland, und eine US-Firma brachte 1962 sogar eine nicht lizensierte verkürzte und amerikanisierte Version heraus.
Veränderungen in einer französischen Fassung erfuhr auch der weitgehend auf dokumentarischem Material fußende Film Die gefrorenen Blitze von Janos Veiczi, 1967, der die Geschichte der deutschen "Wunderwaffe" im Zweiten Weltkrieg und des dagegen gerichteten antifaschistischen Widerstands erzählt. Thomas Heimann und Burghard Ciesla widmen ihm eine ausführliche Untersuchung. Konterkariert werden sollte mit dieser überlangen, 5,1 Millionen DDR-Mark teuren DEFA-Produktion auch ein westdeutsch/amerikanischer Film über den "Raketenbaron" Wernher von Braun, dessen NS-Verstrickung bei der Entwicklung der Vergeltungswaffe in der West-Fassung der Gefrorenen Blitze stark zurückgenommen ist.
Die Reihe der stets hervorragend recherchierten filmhistorischen Beiträge in den DEFA-Jahrbüchern wird im Band 2002 fortgesetzt von Günter Agdes Aufsatz über die deutsch-sowjetische Meshrabpom-Film AG, eine Gründung Willi Münzenbergs in den zwanziger Jahren und 1936 im Zeichen des Stalinismus liquidiert. Neu sind die Hinweise auf späte DDR-Bemühungen um eine Aufarbeitung dieser Traditionen und die Rolle der einstigen Meshrabpom-Mitarbeiter Wassili Pronin und Aleksander Andrijewski als sowjetische Berater in der Aufbauphase der DEFA.
Besonderes Interesse verdient schließlich auch ein ausführliches Gespräch Erika Richters mit Fred Kelemen, einem der wichtigsten, gleichwohl unbekanntesten jüngeren deutschen Regisseure. Dass sein letzter Film Abendland (1999) zwar endlich einen Verleih, aber kaum ein Kino gefunden hat, ist ein Skandal. Claus Lösers Porträt eines anderen filmischen Außenseiters, Romuald Karmarkar, liefert auch Neuigkeiten über dessen Münchner Anfänge. Und beide Beiträge beweisen einmal mehr die nicht nur auf Babelbsberger Rückblicke beschränkte Qualität der DEFA-Jahrbücher.
Joshua Feinstein: The Triumph of the Ordinary. Depictions of Daily Life in the East German Cinema. The University of North Carolina Press. Chapel Hill London 2002. 331 S., 19,50 EUR
Erika Richter/Ralf Schenk (Red.): apropos: Film 2002. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung. Bertz Verlag, Berlin 2002, 336 S., 19,80 EUR
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