Filmaktivist

KURT MAETZIG ZUM 90. GEBURTSTAG Ein Grandseigneur des Kinos wird am 25. Januar 90 Jahre alt: Kurt Maetzig. Dem Fernsehen ist der seltene Anlass keine Retrospektive wert. Ob die ...

Ein Grandseigneur des Kinos wird am 25. Januar 90 Jahre alt: Kurt Maetzig. Dem Fernsehen ist der seltene Anlass keine Retrospektive wert. Ob die Aufmerksamkeit unseres auf Jahrestage doch sehr fixierten Medienbetriebes nicht vielleicht größer wäre, hätte Maetzig seine Filme im Westen statt im Osten Deutschlands gedreht?

1945 gehörte er zu den "Aktivisten der ersten Stunde", die für einen Neuanfang des deutschen Films sorgten. Aus dem Bürgertum kommend - die Hamburger Großeltern hatten mit Teehandel ein Vermögen gemacht - überlebte der in München promovierte Doktor der Technischen Wissenschaften und Diplomkaufmann die Nazizeit in der Berliner Kopieranstalt seines Vaters, zuletzt halb illegal in einem Versteck in Werder, doppelt gefährdet als Kommunist und "Halbjude". Ein halbes Jahr nach Kriegsende zählte er mit den Schauspielern Hans Klering und Adolf Fischer, den Filmarchitekten Carl Haacker und Willy Schiller sowie dem Beleuchter Alfred Lindemann zu den Mitgliedern eines "Filmaktivs", das die Keimzelle der ersten neugegründeten deutschen Filmgesellschaft bildete, der DEFA. Neben Klering und Lindemann saß Maetzig auch in deren erstem Direktorium nach der Lizenzerteilung durch die sowjetische Besatzungsmacht.

Schon vorher hatte er die Wochenschau Der Augenzeuge aufgebaut, die anfangs unter dem Motto stand "Sie sehen selbst, Sie hören selbst - urteilen Sie selbst!" - so wie Maetzig später auch in Zeiten der Bevormundung für den mündigen Zuschauer plädierte. 1946 drehte er den ersten DEFA-Dokumentarfilm Berlin baut auf, ein Jahr später seinen ersten Spielfilm Ehe im Schatten. Der half, Schutt in den Köpfen wegzuräumen. Als durch sein Elternhaus Betroffener - die jüdische Mutter hatte Selbstmord begangen - erzählte Maetzig die Tragödie einer "arisch-jüdischen Mischehe" im "Dritten Reich" - der des Schauspielers Joachim Gottschalk nachgestaltet. Die ästhetischen Mittel waren noch die der alten UFA, aber das erleichterte wohl auch den Weg zu einem Zehn-Millionen-Publikum in ganz Deutschland. Mit seinem nächsten Film Die Buntkarierten (1949) begründete Maetzig schon eine neue Tradition mit: Aufarbeitung deutscher Geschichte aus der Sicht von "unten". Neue formale Wege in der erstmaligen Mischung von Fiktivem und Dokumentarischem beschritt er mit seinem Film Rat der Götter (1950), in Zusammenarbeit mit dem aus Moskauer Exil heimgekehrten Friedrich Wolf und dem aus Hollywood kommenden Hanns Eisler. Die Fakten zu dieser Abrechnung mit der Rolle der Industrie in der Nazizeit lieferte das Buch des amerikanischen Publizisten R. Sassauly über die I.G. Farben.

Im Werk Maetzigs spiegelt sich wie sonst bei keinem anderen Regisseur auch die Entwicklung der DEFA - Irrtümer eingeschlossen. Selbst sie gewinnen aber noch Wert als Zeitzeugnisse: Wo kann man mehr und subjektiv Authentischeres über Berlin im Kalten Krieg erfahren als im Roman einer jungen Ehe (1951) und in Septemberliebe (1960)? Maetzigs beide Thälmann-Filme (1954/55) - seine einzigen Auftragsarbeiten - stehen exemplarisch für den Stil des damaligen Sozialistischen Realismus. Schlösser und Katen (1956) war dann der erste Schritt zu einem wirklichen Realismus. In dieser Chronik der Umwälzung auf dem Lande wurde auch zum ersten Mal der "17. Juni" enttabuisiert.

Kurt Maetzig hat in Babelsberg oft Pionierarbeit geleistet, hat sich in vielen, für die DEFA neuen Genres versucht. Von ihm stammt deren erstes Science-Fiction-Opus Der schweigende Stern, er drehte mit der neu entdeckten Eva-Maria Hagen eine der besseren DEFA-Gegenwartskomödien, Vergeßt mir meine Traudel nicht, und er griff mit seinem vorletzten Film Januskopf schon 1972 ein so aktuelles Thema wie die Problematik genetischer Forschung auf. 1975 verabschiedete sich Maetzig als Regisseur mit Mann gegen Mann, auch in diesem, seinem 21. Spielfilm noch stilistisch Neues versuchend.

Aktiv geblieben ist er aber weiter, vor allem in der Arbeit der Filmklubs, deren internationale Vereinigung ihn zu ihrem Ehrenpräsidenten wählte. Mit 79 Jahren wurde ihm noch die späte Genugtuung zuteil, seinen Film Das Kaninchen bin ich - für ihn sein bester - aus den Kellern der DEFA befreit zu sehen. 1965 war er das viel zitierte und angegriffene Exempel einer ganzen Reihe Babelsberger Produktionen, die damals auf Geheiß der SED-Führung nicht ans Licht der Leinwand durften, weil sie mit dem Impetus, die sozialistische Gesellschaft zu reformieren, stalinistische Strukturen kritisierten.

"Lernt aus meinen Fehlern", wollte Kurt Maetzig seine 1987 erschienene Biografie nennen, die nun einfach Filmarbeit heißt. Von der deutschen Vereinigung hoffte Kurt Maetzig, dass sie "mit Toleranz, Weitsicht, Würde und eben unter humanistischen Prämissen vor sich geht". Mögen sich andere Wünsche zu seinem Geburtstag besser erfüllen.

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