Heimat DEFA

Glückwunsch Egon Günther zum Achtzigsten

Vom sonst so auf Jubiläen fixierten Fernsehen hätte man eigentlich erwarten können, dass es die zum Thema Flucht und Vertreibung passende, ganz unlarmoyante Verfilmung des Romans Heimatmuseum von Siegfried Lenz (1987) noch einmal programmieren würde. Es wäre eine fällige Hommage an deren Regisseur Egon Günther zu seinem 80. Geburtstag gewesen.

Auf der Suche nach einer Würdigung eines der wichtigsten deutschen Filmemacher wurde man wenigstens beim MDR fündig. Dort lief am 26. März Günthers Adaption von Gottfried Kellers Novelle Ursula (1978). Die Koproduktion von DDR- und Schweizer Fernsehen war bei der Ausstrahlung damals totgeschwiegen worden. Stein des Anstoßes waren die sexuellen Freizügigkeiten der Sekte der Wiedertäufer und wohl auch, was an DDR-Parallelen bei einem Dialog mit dem asketischen Reformationseiferer Zwingli herauszuhören war. Nach vielen vorangegangenen Konflikten mit den Beckmessern der Kulturbürokratie gab dies den letzten Anlass für den Regisseur, künftig nur noch für die ARD zu arbeiten.

Im Westen war er mit einem Film bekannt geworden, der vom RBB am 2. April noch einmal ausgestrahlt wird: Der Dritte, 1972 ein filmischer Hoffnungsträger. Möglich gemacht durch Honeckers bald gebrochenes Antrittsversprechen, für den Künstler, der fest auf dem Boden des Sozialismus stehe, dürfe es keine Tabus geben. Dass die Heldin (Jutta Hoffmann) mit den ein bekanntes FDJ-Lied parodierenden Worten "Man muss doch ein Ziel vor Augen haben!" ihren keineswegs fortschrittlichen Lehrer ins Bett lockt, einen Abtreibungsversuch mit heißem Sitzbad und Rotwein unternimmt und später mit einer Freundin Zärtlichkeiten austauscht, waren damals echte Tabubrüche.

Günthers Vorliebe für sich emanzipierende Frauengestalten hatte sich schon bei Lots Weib (1965) gezeigt, dem Regiedebüt des an Brecht geschulten vormaligen DEFA-Drehbuchautors. Als er die in diesem Film geübte Polemik gegen Lüge und Heuchelei zum Hauptthema seiner Märchenkomödie Wenn du groß bist, lieber Adam machte, geriet er auf die Verbotsliste der nach dem berüchtigten 11. SED-ZK-Plenum vom Dezember 1965 inkriminierten DEFA-Produktionen. Ins Abseits gestellt wurden auch seine eigenwillig stilisierte Verfilmung des autobiografischen Johannes-R.-Becher-Romans Abschied (1968) und Die Schlüssel (1974), die tragisch endende Geschichte des Polen-Urlaubs eines jungen Paares.

Die hier an einem Gegenwartsstoff erprobte Mischung fiktiver und dokumentarischer Elemente erhob schon Günthers zweite Fernsehadaption des Arnold-Zweig-Romans, Erziehung vor Verdun (1973), weit über televisionäres Mittelmaß und festigte seinen Ruf als Avantgardist des DDR-Films. Aber auch im historischen Gewande meinte er stets Gegenwärtiges. Lotte in Weimar (1975) ließ Kritik an Provinzialismus und Personenkult erkennen, Die Leiden des jungen Werther (1976) plädierten gegen Mittelmaß und Anpassung. Sechs Filme des Regisseurs beschäftigten sich mit Goethe, zuletzt Lenz (1992) und Die Braut (1999).

Zuvor war Günther noch einmal an seine langjährige, immer als "Heimat" empfundene Wirkungsstätte zurückgekehrt. In Babelsberg drehte er einen der letzten DEFA-Filme, Stein (1991), Abschied von und Abrechnung mit der DDR. Diese Geschichte eines alternden Schauspielers, der sich in eine innere Emigration zurückgezogen hat und noch eine letzte Liebe erlebt, ist sicher Egon Günthers persönlichster Film. Am Schicksal der Titelfigur (Rolf Ludwig) wird deutlich, dass es keine absolute Trennung von Privatem und Politischem gibt.

Die gab es in den Arbeiten Egon Günthers nie, und daran scheiterten manche seiner Projekte - nicht nur im Osten, auch im Westen. Weder für seine Absicht, Bölls Frauen vor Flusslandschaft und Christa Wolfs Kassandra zu verfilmen, fand er Gegenliebe - "Geldgeber kann man schwer überlisten, bei Funktionären konnte man das."

Der am 30. März 1927 als Sohn eines Maschinenschlossers im erzgebirgischen Schneeberg geborene Egon Günther, als Kriegsheimkehrer zunächst Neulehrer, dann Student bei Hermann August Korff, Hans Mayer und Ernst Bloch in Leipzig, hat einmal zwei Gründe genannt, warum er Filme mache. "Mir geht es um die Kunst als ein Mittel, die Menschen menschlicher zu machen." Eine Utopie in einer Zeit, die sich von Utopien verabschiedet hat. Aber: "Vielleicht macht man auch Film, also versucht Abbilder von der Welt, um ihr den Schrecken zu nehmen, für sich selbst, vielleicht hilft es sogar."


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