Kino-Eule

GLÜCKWUNSCH Die Filmkritikerin Renate Holland-Moritz ist Ende März 70 geworden

Obwohl mich in meiner Wohnung mindestens ein Dutzend Eulen verschiedenster Gestalt und geografischer Herkunft umgeben, in Plüsch, Holz und Keramik bis hin zum echten ausgestopften Exemplar in einem Glaskasten, wüsste ich nicht zu sagen, ob nun Uhus, Käuzchen oder was es sonst noch an Varianten dieses von den Griechen ihrer Göttin Athene zugeordneten sympathischen Vogels gibt. Nur von einem Unikat der Spezies weiß ich es akkurat zu sagen: die Kino-Eule wurde am 29. März siebzig Jahre alt. Leser aus der verblichenen DDR wissen, dass diese ornithologische Rarität den menschlichen Namen Renate Holland-Moritz trägt. Zur Einmaligkeit der Jubilarin gehört, dass es sich wahrscheinlich um die an Berufsjahren älteste noch aktive Filmkritikerin handelt. Vorher war sie Gerichtsreporterin. Danach richtete sie selbst und machte so ihr Hobby zum Beruf. Eigener Aussage zufolge habe sie schon als Zehnjährige vier Filme pro Wochenende geschaut.

Von 1960 bis heute schreibt Renate Holland-Moritz, abgesehen von einer mehr oder weniger unfreiwilligen Pause 1964/65, ununterbrochen Rezensionen für den Eulenspiegel, die Satire-Zeitschrift der DDR, die glücklicherweise die Wende überlebt hat. Dieses publizistische Forum prägte den Stil ihrer Texte, die nicht immer cineastischen Kriterien standhielten, aber sich stets amüsant lesen ließen, was der Kino-Eule zu ihrer Popularität verhalf. Die Zustimmung war keineswegs ungeteilt. Während Leser B. W. (Erfurt) Renate Holland-Moritz "wegen ihrer optimistischen, zutiefst volksverbundenen Meinung" schätzte, teilte ihr J. W. (Dresden) mit: "Jedesmal, wenn ich ein Brechmittel brauche, lese ich Ihre Filmkritiken."

Um sich selbst eine Meinung über die Meinung der Kino-Eule zu bilden, muss man nicht in alten Eulenspiegel-Jahrgängen blättern. Renate Holland-Moritz hat ihr 20. Buch veröffentlicht: Die Eule im Kino - Filmkritiken 1991 bis 2005 (Karl Dietz Verlag, Berlin). Schon 1981 und 1994 war eine Auswahl ihrer filmischen Eindrücke erschienen. Die neueste vereint 189 Kritiken, bei denen der Blick auf deutsche Eigengewächse und US-Importe mit 93 beziehungsweise 72 Beispielen dominiert. Bei der Lektüre entdeckte ich viel Übereinstimmung, während ich zu DDR-Zeiten bei der Beurteilung von Defa-Novitäten mit ihr häufig im Clinch lag: Was ich lobte, verriss sie.

Wessis hätten damals beim Lesen genau wie bei manchen Kabarett-Besuchen jenseits der Mauer erstaunt gefragt: Dürfen die denn das? Für die Wortkünstlerin Holland-Moritz galt, schon bevor es ausgesprochen war, das Honecker-Wort, dass, "wenn man von festen Positionen des Sozialismus ausgeht, es auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben" könne - ein Versprechen, das nicht lange hielt. Die Eule hackte nicht nur auf Produkten der Defa herum, was sie in Babelsberg - euphemistisch ausgedrückt - nicht gerade beliebt machte: sie steckte auch den "Planern und Leitern" des Filmwesens manch unbequeme Wahrheiten hinter den Spiegel. Das ambivalente Verhältnis der Autorin zur Defa hinderte die DDR-Filmgesellschaft nicht, ihr Buch Graffunda räumt auf als Vorlage für ein erfolgreiches Lustspiel zu nutzen (Der Mann, der nach der Oma kam) zu nutzen. Renate Holland-Moritz scheute sich nicht, heimischen Filmemachern Hollywood als Vorbild zu empfehlen oder West-Importe, die es verdienten, über den grünen Klee zu loben, andere, aus der entgegengesetzten Himmelsrichtung, aber wiederum gnadenlos auseinander zu nehmen. Freilich war bei dem Satire-Blatt manches erlaubt war, was in der Tagespresse nicht möglich war.

Die Autorin steht zu ihrer Vorliebe für "altmodisches" Erzählkino; Vorstöße in kinematografisches Neuland, Stilisierung und Ästhetisierung, gar Experimentelles (wie etwa Egon Günthers Film Die Schlüssel) sind ihre Sache nicht. Da lassen die Unkenrufe manchmal die Eulen nachgesagte Weisheit vermissen. Kalkulierbar sind Lob und Tadel bei Renate Holland-Moritz jedoch nicht. Stets engagiert sie sich, die von Brecht geforderte Zuschaukunst zu entwickeln. In der DDR wies sie immer wieder auf vom Verleih an den Rand gedrückte sowjetische Filmkunstwerke hin, und heute gehört sie zu den wenigen KollegInnen, für die Filmkritik zugleich Ideologiekritik ist.

Aus Winfried Junges Vorwort zu ihrer jüngsten Kritikensammlung habe ich gelernt, dass Eulen "den Kopf mühelos um 180 Grad drehen" können, eine Flexibilität, von der die Kino-Eule keinen Gebrauch mache. In der Tat outet sich Renate Holland-Moritz auch in ihren Nachwende-Kritiken immer wieder als bekennende Ostdeutsche - ein weiterer Beweis, dass es sich bei der Kino-Eule um ein seltenes Exemplar handelt, das man unter Artenschutz stellen sollte.


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