Partisanen sans amour

14. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus Alte und neue Kriege als Gegenstand des Kinos

Als das Festival eröffnet wurde, wählte gerade Amerika. Auf der Bühne des Cottbuser Theaters begrüßte ein Schwejk-Imitator die Gäste, passend zum diesjährigen Länderfokus Tschechien. Im Zeichen der EU-Erweiterung stellte man drei Dokumentarfilme namhafter Regisseure aus den Beitrittsstaaten vor, die überkommene Denkmäler ihrer Heimatländer in ein neues Licht setzten. Als auf der Leinwand die Sprengung des Prager Stalin-Monuments gezeigt wurde, konnte man noch hoffen, dass auch jenseits des Atlantik ein Idol vom Sockel gestürzt würde und dachte an die schönen Verse aus Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg: "Am Grunde der Moldau wandern die Steine/Es liegen drei Kaiser begraben in Prag/Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine./Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag."

Der nächste Festivaltag enttäuschte allerdings solche Hoffnungen. Im Westen nichts Neues. Zumindest kinematografisch blieb als Trost "Ex oriente lux". Der traditionelle Länderfokus erinnerte daran, dass schon Kafka sein eigenes Amerika-Bild hatte. Vladimír Micháleks Adaption des Autors Romanfragment Amerika übt deutliche Kapitalismuskritik und zeigt die Kehrseite des American Dream.

Das Licht aus dem Osten wirft auch viele Schatten auf die eigene Gegenwart. Ta Divna Splitska Nóc (Eine wunderbare Nacht in Split) von Arsen Anton Ostojic´ lässt die dalmatinische Hafenstadt fernab aller Touristenattraktionen in düsterem Schwarz-Weiß erscheinen. Drei ineinander verwobene Episoden haben gemeinsam, dass in ihnen Drogen eine Hauptrolle spielen und jeweils einer der Protagonisten die Silvesternacht nicht überlebt. Der Heroinschmuggler, der die ihn liebende Kriegswitwe verlässt, um für einen Dealerboss Ware nach München zu bringen, wird in dem Gassengewirr erschossen, nachdem er festgestellt hat, dass man ihn hereingelegt hatte. Der afroamerikanische Matrose, für den sich eine Fixerin prostituieren will, um Geld für einen neuen Schuss zu bekommen, jagt sich, statt mit ihr Sex zu haben, in der Absteige eine Kugel in den Kopf, weil er die Frau daheim, die ihn verlassen hat, nicht vergessen kann. Und der Freund eines Mädchens, das keinesfalls als Jungfrau ins neue Jahr gehen möchte, stürzt sich im LSD-Rausch vom Dach in die Arena, von wo aus ihn eine von Rockrhythmen angetörnte jugendliche Masse immer wieder zum Fliegen aufgefordert hatte. Der meisterhafte Film noir aus Kroatien erhielt den Spezialpreis für eine künstlerisch herausragende Einzelleistung, womit die Jury besonders die Kameraarbeit von Mirko Pivcevic´ würdigen wollte.

Die episodische Erzählstruktur fand sich in mehreren Filmen und scheint überhaupt osteuropäischen Regisseuren ein geeignetes Mittel, die Komplexität postkommunistischer Realität zu erfassen. Was die lonely loser in Zrinko Ogrestas Tu verbindet, einem kroatischen Film, der von Bosnien und Herzegowina mitproduziert wurde, ist der über ihnen liegende Schatten des nicht lange vergangenen Krieges.

Länger zurück liegt der Zweite Weltkrieg, der für Filmemacher unverändert Thema bleibt. Andrej Rudinenko wagte sich dabei mit dem Abstand einer jungen Regie-Generation an eine Demontage des Partisanenmythos. Drei für sich stehende Episoden seines Langfilmdebüts Okkupazija. Misterii rücken die bisher stets als Helden Gefeierten in kein günstiges Licht, was die heimische Zensur prompt wegen "negativen Einflusses auf die Erziehung der heranwachsenden Jugend" zur Lizenzverweigerung für diese erste unabhängige Produktion Belorusslands veranlasste. Ein heikles Thema war bisher die Kollaboration. Differenziert behandelt es Dimitrij Meshkin in Svoi Aus einem langen Zug russischer Kriegsgefangener können drei entkommen, finden Unterschlupf auf dem Hof des Vaters eines der ihren, doch der ist als ehemaliger Kulak von den Deutschen als Bürgermeister eingesetzt. Daraus erwächst die bis zuletzt durchgehaltene Spannung dieses Films, der - schon mehrfach ausgezeichnet beim Moskauer Festival - in Cottbus den Dialog-Preis für die Verständigung zwischen den Kulturen erhielt.

Für solche Verständigung wirbt ein anderer Film mit einem Weltkriegsstoff, I Dashur Armik (Lieber Feind) von Gjergj Xhuvani aus Albanien, der vor drei Jahren in Cottbus mit Slogans den Hauptpreis gewann. Beim Einmarsch der Deutschen in das kleine Land können sich ein Widerstandskämpfer, ein italienischer Deserteur und ein jüdischer Uhrmacher bei einem albanischen Geschäftsmann verstecken, der aber zum tragikomischen Schluss nach Abzug der Wehrmacht als Kollaborateur verhaftet wird. Künstlerisch schwerer wog mit poetischen Bildern der estnische Film Somnambuul von Sulev Keedus, der im Kriegsjahr 1944 spielt, als Tausende seiner Landsleute vor den Russen über die Ostsee nach Schweden flohen. Zurückgeblieben sind ein alter Leuchtturmwärter und seine Tochter, die sich in Phantasien aus der klaustrophoben Enge wegträumt. Die Jury würdigte das verstörende Psychodrama mit dem Spezialpreis für die beste Regie.

Eine ebenso pessimistische, aber phantasmagorische Vision russischer Gegenwart zauberte Ilya Khrzhanowski in 4 auf die Leinwand. Deutlich ist die Handschrift des Autors Vladimir Sorokin erkennbar, der mit seinen Büchern schon für mehrere Skandale gesorgt hat. Zum Begräbnis ihrer Schwester kehrt eine junge Frau zurück in ein Dorf, wo nur noch alte Weiber wohnen, die nach der Trauer am Grabe ein orgiastisches Totenmahl feiern - eine böse Umkehrung tradierter Filmmuster von fröhlichen Gelagen mit Wodka und Gesang. Die Frauen leben von einer atavistischen Puppenherstellung, womit das anfangs eingeführte Motiv des Klonens wieder aufgenommen wird. In diese alptraumartige, unwirkliche Welt schieben sich als Wirklichkeitspartikel Bilder von Straflagerhäftlingen und Rekruten, die auf ein Flugzeug zu marschieren, das sie in den Tschetschenienkrieg transportieren wird.

Der kurz vor Schluss als Überraschung eingesetzte Film rundete wie die Zombie-Komödie Choking Hazard des Tschechen Marek Dobes ein Programm ab, das die vielfältigen Facetten osteuropäischer Kinematografie vorführte, der in unserer Kinolandschaft immer noch kein gebührender Platz eingeräumt wird. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens der kasachische Film Schiza der jungen Regisseurin Gulshad Omarova als Gemeinschaftsproduktion Russlands, Frankreichs und Deutschlands bei uns seine Chance erhält. Im Mittelpunkt steht ein 15-Jähriger, dem ein Freund der Mutter einen Job als Anwerber für illegale Boxkämpfe vermittelt. Ein bei diesen regellosen Spektakeln tödlich Verletzter übergibt ihm das verdiente Geld mit der Bitte, es seiner Frau zu bringen. Zwischen ihr und dem Jungen entspinnt sich allmählich eine sensibel erzählte Beziehung. Der Film, der auf anrührende und unsentimentale Weise den Blick auf eine entfernte Welt ermöglicht, erhielt den Hauptpreis des Festivals. Vielleicht ebnet ihm die Auszeichnung den Weg zu einem größeren Publikum.


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