Was aber bleibt, dichten die Stifter

Nachlassverwaltung Historisches Sammelgebiet: Warum DEFA-Filme nicht vergessen werden sollen. Ein Literaturbericht zum 65. Geburtstag der Filmanstalt

Die DEFA ist 65 Jahre nach ihrer Gründung ein Kapitel der deutschen Filmgeschichte. Wie es endete, schildert „ein persönlicher Bericht“ von Wolfgang Gersch: Geschichte der nicht wahrgenommenen Möglichkeiten oder Wie 1990 das Ende der DEFA begann. Der Filmhistoriker erhielt Anfang Mai 1990 von der letzten DDR-Regierung das Angebot, den Filmbereich im Ministerium der Kultur zu leiten. Eine Sisyphos-Arbeit. Bei Amtsantritt im Juni sah er sich „mit überwältigendem Gebirge von Problemen, Konflikten und Schicksalen konfrontiert“.

Von bislang 63 Mitarbeitern der Hauptverwaltung Film, der acht Betriebe unterstanden, konnte er sich 14 aussuchen. 1991 waren bei der „Berliner Außenstelle des Bonner Filmreferats des Bundesinnenministeriums“ nur noch zwei Kollegen übriggeblieben. Ebenso einschneidend traf es die rund 2.300 fest angestellten Mitarbeiter des Spielfilmstudios. Im April 1990 war der Personalbestand auf 210 geschrumpft. 1991 konnten noch acht letzte DEFA-Spielfilme erscheinen. Sehen wollte sie niemand mehr. Die 500 von vormals 850 ostdeutschen Kinos spielten Hollywood. Ein Ministerratsbeschluss der DDR-Regierung über ein Filmförderungsprogramm kurz vor dem Anschluss blieb Papier. Die neuen Länder pochten nach BRD-Vorbild auf eigene Kulturhoheit.

Der Versuch, den Zerfall der DEFA zu stoppen, scheiterte. Einen Erfolg kann sich Gersch aber zuguteschreiben: die Gründung der DEFA-Stiftung. Seit 1998 erfüllt sie die ihr gestellten Aufgaben: „Erhaltung der DEFA-Filme und deren Veröffentlichung sowie aus den Erlösen der Vermarktung die Filmkunst und Filmkultur zu fördern“.

Das zeigt sich auch bei diesem Literaturbericht. Durch Unterstützung der Stiftung ist das umfangreiche Standardwerk Film in der DDR – Daten, Fakten, Strukturen von Günter Jordan entstanden. Acht Jahre hat der Filmwissenschaftler daran gearbeitet, das Buch ist „die unglaubliche Arbeit eines Einzelkämpfers“, wie Bärbel Dalichow, Leiterin des Filmmuseums Potsdam, das als Herausgeber des Bandes zeichnet, im Vorwort schreibt.

Der Kinderfilm lebt

Als Nachschlagewerk hilft das Buch, „sich in den geschichteten Labyrinthen untergegangener Administrationen zurechtzufinden“ und zu begreifen, „wie kontrollwütig und hierarchisch die Systemkonstruktion DDR auch auf diesem Gebiet war“. Freilich, „welchen Handlungsspielraum Strukturen zuließen, was Menschen daraus machten, das entzieht sich der Darstellung“, betont Jordan. Es wirkt fast wie ein Wunder, dass Filmkunst trotzdem entstehen konnte.

Betrachtet man heutige Fernsehprogramme, so ist ein DEFA-Genre lebendig geblieben: der Kinderfilm. Mehr als 160 Produktionen für das jüngste Publikum entstanden seit Gründung der DEFA bis zu ihrem Ende. Wenn auch in Osteuropa, besonders in der Sowjetunion und der CSSR, die Kinderfilmproduktion eine größere Rolle spielte als im Westen, kann außer der DDR wohl kaum ein anderes Land eine so kontinuierliche Produktion in diesem Bereich aufweisen. 25 solcher DEFA-Importe kamen auch in der Bundesrepublik der achtziger Jahre ins Kino. Darüber berichtet Klaus-Dieter Felsmann in einer Publikation der DEFA-Stiftung, Deutsche Kinderfilme aus Babelsberg, die ausführliche Gespräche mit Kinderfilmregisseuren enthält: Helmut Dziuba, Hannelore Unterberg, Rolf Losansky und Günter Meyer. Sie machen deutlich, mit wie viel Engagement und Fantasie gearbeitet wurde, auch mit Tricks auf der Höhe der Zeit. Die besten Schauspieler waren sich nicht zu schade, Rollen zu übernehmen. Zeitaufwendig und mit Sorgfalt erfolgte die Auswahl der kindlichen Protagonisten, aus denen keine Stars werden sollten; gerade hat der beliebte Berliner Filmjournalist Knut Elstermann deren Lebensgeschichten zusammengetragen (Früher war ich Filmkind – die DEFA und ihre jüngsten Darsteller).

„Vorspiel“ für Nachwelt

Bei Zweitausendeins ist ein opulenter Bildband erschienen, der sich dem populären Genre der DEFA-Märchenfilme widmet. 42 davon werden mit Plakaten, Szenenfotos und Berichten von Dreharbeiten vorgestellt, beginnend mit Paul Verhoevens Das kalte Herz (1950), dem ersten DEFA-Farbfilm, der fast 10 Millionen Zuschauer ins Kino lockte und sogar in Ghana gezeigt wurde. Es folgt Wolfgang Staudtes Geschichte vom kleinen Muck, die mit 11 Millionen Besuchern in 60 Ländern erfolgreichste DEFA-Produktion überhaupt. Der Regisseur adaptierte Hauffs Märchen 1953 anstelle seines an Brechts Einwänden gescheiterten Mutter Courage-Projekts, während an beim Dreh vor dem Außengelände Panzer nach Berlin rollten – es war der 17. Juni. 170 Tiere wirkten mit.

Schließlich erscheint noch gerade rechtzeitig zum DEFA-Jubiläum das Buch Babelsberg-Storys – Erlebnisse eines Drehbuchautors in Ost und West von Thomas Knauf. Den Titel hat der Autor, der auch für den Freitag schreibt, aus Verehrung für F. Scott Fitzgerald und dessen Buch Pat Hobby’s Hollywood-Stories gewählt.

Von Babelsberg ist bei Knauf nicht so viel die Rede – mehr dagegen von dessen nach dem Mauerfall unternommenen Weltreisen und seinen Begegnungen mit Filmleuten. Von Knauf stammen die Bücher zu Vorspiel (1987), Treffen in Travers (1989) und Die Architekten (1990), die alle zu meinen DEFA-Lieblingen zählen. Am Ende bilanziert er, „dass bei allen Misserfolgen etwas mich überleben wird – meine DEFA-Filme aus einem Land, das als abgeschlossenes Sammelgebiet für Kinoliebhaber und Soziologen noch eine Zukunft hat“.



Heinz Kersten ist der einzige noch aktive Filmkritiker, der im Gründungsjahr der DEFA schon schreibend aktiv war. Seine gesammelten DEFA-Kritiken (So viele Träume, vergriffen) sowie die Ost-Berliner Theaterrezensionen Mehr als Theater sind im Vistas-Verlag erschienen

Babelsberg-Storys, Thomas Knauf, Alexander Verlag, 300 S. mit 98 S/W-Abb., 19,90

Geschichte der nicht wahrgenommenen Möglichkeiten oder Wie 1990 das Ende der DEFA begann Wolfgang Gersch, DEFA-Stiftung, 153 S., 7

Film in der DDRGünter Jordan, Filmmuseum Potsdam, 480 S., 45

Deutsche Kinderfilme aus Babelsberg Klaus-Dieter Felsmann/Bernd Sahling, 172 S., 12,50

Die DEFA-MärchenfilmeDEFA-Stiftung (Hg.), 288 S., 800 Bilder, 29,90

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