Christo sprach noch in diesem Februar in der „Wir“-Form von sich und Jeanne-Claude, seiner Lebensbegleiterin, seiner künstlerischen Mitstreiterin. So, als sei sie trotz ihres Todes vor elf Jahren weiter an seiner Seite. Mit dem Elan eines ewig Junggebliebenen erzählte der 84-Jährige in seinem Haus in Manhattan, wie es zu der Ausstellung Christo et Jeanne-Claude. Paris! im Centre Pompidou kam, die noch bis zum 19. Oktober zu sehen ist. Ebenso von der wegen der Corona-Krise auf nächstes Jahr verschobenen Verhüllung des Arc de Triomphe. Angesichts des langen Schlauchs, den er hinter sich herzog und durch den er mit Sauerstoff versorgt wurde, war klar, dass das Pariser Projekt seine letzte Hinterlassenschaft sein würde.
der Freitag: Mr Christo, wie ist die Schau im Pompidou aufgebaut?
Christo: Sie besteht aus zwei Teilen. Der erste umfasst rund 80 Werke von 1958, dem Jahr, in dem Jeanne-Claude und ich uns kennenlernten, bis 1964, als wir nach New York umsiedelten. Der zweite Teil, der mir besonders am Herzen liegt, zeichnet den langen Prozess von 1975 bis 1985 nach, der zur Verhüllung der Pont Neuf führte. Zudem wird der von Albert und David Maysles zu dem Projekt gedrehte Dokumentarfilm vorgeführt, der die gesamte Geschichte nacherleben lässt.
Und wie kam es zu dem Arc-de-Triomphe-Projekt?
2017 schlug Bernard Blistène, der Direktor des Pompidou, ein Projekt parallel zur Ausstellung vor dem Gebäude vor und kam dabei auf das Atelier von Brancusi rechts von dem Gebäude zu sprechen. Ihn anlächelnd sagte ich, wenn ich in Paris etwas machen wolle, dann kein neues, sondern ein bisher in Paris unrealisiertes Projekt. Als mich Laure Martin deswegen im Juni 2017 in New York aufsuchte, fragte sie, ob ich nicht die Statue von Ludwig XIII. auf dem Place des Vosges verhüllen wolle. „Nein“, sagte ich, „es gibt nur ein Projekt, das mich wirklich reizt, und das ist die Verpackung des Arc de Triomphe. Frankreich hat einen jungen, intelligenten und wagemutigen Präsidenten, der wird ein solches Projekt verstehen und begrüßen. Das ist immer noch ein großer Traum.“ Dem hartnäckigen Beharren von Blistène und der großen Unterstützung durch Monsieur Philippe Bélaval, den Präsidenten des Centre des monuments nationaux, und Serge Lasvignes, den Präsidenten des Centre Pompidou, ist es zu verdanken, dass der Traum nun realisiert wurde.
Wieso ist es ein so großer Traum?
Wie Sie wissen, bin ich 1956 während der ungarischen Revolution in Budapest ohne Geld in der Tasche über Prag in den Westen geflohen. Als Flüchtling war ich staatenlos. Damals sprach ich nur Russisch und Ungarisch. Mein ersehntes Ziel war Paris, die damalige Metropole der Kunst. Zunächst landete ich in Wien, das damals der Stützpunkt der Flüchtlinge war. Dort kam ich in Kontakt mit Vertretern der Vereinten Nationen, die ich porträtierte, weil ich Geld benötigte, um nach Genf zu gelangen, dem Hauptsitz der UNO. In Genf wiederum verbrachte ich sechs Monate bis zum Erhalt der für Paris nötigen Papiere, zu denen mir ein Offizier der Vereinten Nationen verholfen hatte. In Genf lernte ich auch den Franzosen Jean de Cabarousse kennen, dessen Frau und Kind ich ebenfalls porträtierte. Monsieur de Cabarousse bot mir an, ich könne in Paris für die erste Zeit von seinem Großvater ein chambre de bonne mieten. Zwar hätte es weder fließendes Wasser noch eine Toilette, aber zum Schlafen wäre es für den Anfang sicherlich nicht schlecht. Ich wusste nicht, dass ein chambre de bonne die Bezeichnung für das Zimmer eines Dienstmädchens ist.
Wie war die Ankunft in Paris?
Ich kam mit dem Zug an, zwei Koffer in der Hand, und nahm ein Taxi. Da ich in Genf ein bisschen Französisch gelernt hatte, konnte ich mich mit dem Fahrer verständigen. Als wir die Champs-Élysées erreichten, bekam ich es mit der Angst zu tun. Vor meinen Augen plötzlich überall Panzer. Ich dachte, ein Krieg stünde bevor. Meine Ankunft traf genau auf den Tag, an dem die Franzosen General de Gaulle dazu aufforderten, die Macht zu übernehmen. Denn in Algerien war es am 13. Mai 1958 zum „Putsch d’Alger“ gekommen, dem Staatsstreich französischer Militärs, der sich gegen die neugebildete Regierung in Paris unter Premierminister Pierre Pflimlin richtete. An diesem Tag sah ich den Arc de Triomphe zum ersten Mal mit eigenen Augen.
Damals hatten Sie noch keine Gebäude verhüllt.
Erst 1961, drei Jahre nach meiner ersten Begegnung mit Jeanne-Claude in Paris, begannen wir mit Kunstwerken im öffentlichen Raum, und eine Idee war die Verhüllung eines öffentlichen Gebäudes. In dem Mansardenzimmer, das ich in der Nähe des Arc de Triomphe bewohnte, fertigte ich 1962 eine Fotomontage des verhüllten Triumphbogens an. Weitere Studien entstanden 1989.
Das Projekt blieb, wie andere auch, bis heute unrealisiert.
Ja, von insgesamt 47 angedachten Projekten wurden in den letzten 50 Jahren 23 verwirklicht. Manche hätten wir gerne umgesetzt, andere gaben wir auf. Für einige erhielten wir zwar die Genehmigung, doch wir hatten die Lust daran verloren. Hingegen blieb die Verhüllung des Arc de Triomphe ein Traum, der nun endlich in Erfüllung gehen wird. Mit 25.000 Quadratmetern recycelbarem Polypropylengewebe in Silberblau und 7.000 Metern rotem Seil wird der Bogen umwickelt werden. Napoleon hatte ihn 1806 in Auftrag gegeben, weil er zu Ehren der Revolutionsheere ein monumentales Denkmal errichten wollte. Die Ironie will es, dass dort die Beerdigungszeremonie von Victor Hugo stattfand. 2,5 Millionen Menschen wohnten ihr bei – die größte, die Paris jemals erlebt hat.
Zur Person

Foto: Getty Images
Christo Wladimirow Jawaschew kurz Christo, wurde 1935 in Gabrowo, Bulgarien, geboren. Er starb am 31. Mai 2020 in New York City. In Übereinstimmung mit seinem Willen soll der Arc de Triomphe im September 2021 verhüllt werden
Haben Sie in dem Moment, da Sie Ihren Wunsch vortrugen, an dessen Erfüllbarkeit geglaubt?
Überhaupt nicht. Aber die gute Erinnerung an die verhüllte Pont Neuf, die bei allen, die sie gesehen hatten, einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, hatte wohl Einfluss auf die Entscheidung.
Bis zur Genehmigung einiger Projekte vergingen viele Jahre.
Ja, das Reichtags-Projekt wurde dreimal, das Projekt The Gates im New Yorker Central Park zweimal abgelehnt. Bis zur Verhüllung des Reichstags vergingen 25 Jahre. Bis zur Umsetzung der Idee zu The Gates 26 Jahre. Nicht anders erging es uns bei dem Projekt der Pont Neuf. Wie Sie wissen, ist eines unserer unerschütterlichen Prinzipien, die Projekte ohne Fremdhilfe zu finanzieren. Der Verkauf von Zeichnungen zum Arc de Triomphe, deren erste ich 2017 machte, dient dazu, die Kosten für die Realisierung zu decken.
Ihre aufwendigen Projekte, auch das kommende, existieren nie länger als drei Wochen. Warum?
Erst einmal: Diese Arbeiten sind etwas absolut Irrationales. Niemand brauchte Valley Curtain, The Surrounded Islands, Wrapped Reichstag oder Pont Neuf Wrapped. All diese Projekte sind unnötig und sinnlos, jeder kann ohne sie leben. Gleichwohl existierten sie in einem begrenzten Zeitraum. Nur ich und Jeanne-Claude brauchen sie. Sie sind von vornherein so angelegt, dass sie temporär da sind, schon allein aufgrund des verwendeten Gewebes, das nomadisch ist. Mir kommt es vor allem darauf an, dass etwas zu einer bestimmten Zeit in meinem Leben passiert. Und das kann weder bewahrt noch verkauft, auch nicht gebraucht werden, es lässt sich auch nicht aneignen. Eine solche Arbeit ist frei, und kein Sammler soll sie physisch besitzen.
Als würden Sie sich mit jedem Projekt ein flüchtiges Zuhause in einem anderen Land schaffen ...
Was ich baue, ist kein Heim, sondern bestimmt für eine physische Erfahrung. Bei allen Projekten geht es um das Reale. Das unterscheidet sich vollkommen von Video oder Film. Die drei Kilometer auf dem Wasser schwimmender Stege bei The Floating Piers waren mit Stoff bedeckte Gehwege, auf denen die Besucher wirklich gingen. Sie sahen sich mit echtem Wasser, echtem Wind und einer echten Gefahr konfrontiert und erlebten echte Trockenheit und echte Feuchtigkeit. Kein Fake, keine Simulation.
Was ist Ihnen an all den Projekten wichtig?
Deren Dauer. All diese Projekte haben eine Software- und Hardware-Phase. Die Software-Phase ist die weniger intensive, in der wir uns um die Erlaubnis kümmern. 1972, als uns die Idee kam, den Reichstag zu verpacken, wäre ich außerstande gewesen, Ihnen zu sagen, was dieser Reichstag ist. Erst im Laufe der 25 Jahre, die der Realisierung vorausgingen, habe ich begriffen, was die Verhüllung bedeutet. Jedes Projekt entwickelte seine Identität in dem Zeitraum, der seiner Transformierung ins Reale vorausging.
Was heißt „Identität“?
Auf der Welt gibt es nicht einen Quadratmeter, der nicht jemandem gehört. Am Anfang steht darum die Frage: Wem gehört der Ort? Bei wem oder wo müssen wir die Genehmigung einholen? Bis zum Gelingen eines Projektes kann ständig etwas Unvorhersehbares passieren.
Verstehen Sie die Projekte vor ihrer Verwirklichung als Utopien?
Auf keinen Fall, denn die Projekte sind machbar. Sie werden wahr. Utopie steht in Beziehung zu etwas Unmöglichem. Die Projekte, die wir machen, sind hingegen banal, geradezu primitiv und haben nichts mit dem Wunder der Technologie zu tun. Darauf, dass sie extrem einfach sind, lege ich großen Wert, weil die Welt bereits voll mit komplizierten Dingen und voller Komplikationen ist. Die Erlaubnis zu bekommen, ist eine andere Geschichte und schon eher etwas Unmögliches. Niemand glaubte daran, dass der Reichstag eines Tages verhüllt sein würde. Wir mussten Kanzler Kohl besiegen. Das macht ein solches Projekt so aufregend.
Erlauben Sie mir eine Frage: Sie verströmen die Energie eines jungen Mannes, obwohl Sie wissen, dass Ihre Lebenszeit schwindet. Denken Sie nie an den Tod?
Nein, ich werde im Juni 85 Jahre alt und habe jeden Augenblick in meinem Leben genossen, und es gab so unglaubliche Momente wie das Sprechen vor 459 Japanern, die ich, ohne einen Übersetzer an meiner Seite, zum Lachen brachte.
Was löst der Gedanke an den Tod bei Ihnen aus?
Ich bin nicht religiös, auch Jeanne-Claude war es nicht. Wichtig war mir, dass sie nicht litt, als sie an einem Aneurysma starb, und auch ich möchte nicht leiden. Eher würde ich Selbstmord begehen.
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