Wer Arbeitslose und Rentner belastet, erhält viel Lob von den Unternehmerverbänden. Ob Rot-Grün nun auch beim Bündnis für Arbeit mit mehr Kooperation »der Wirtschaft« rechnen darf, wird sich am kommenden Dienstag zeigen. Die Gewerkschaften haben dagegen allen Grund, skeptisch in die Gespräche zu gehen. Neben dem einseitigen Sparverhalten der Regierung sind es vor allem zwei Themen, die den Unmut der Gewerkschaften begründen: Der von Kanzleramt und Arbeitgebern ins Spiel gebrachte neue Niedriglohnbereich reizt die Gewerkschaften, weil sie Gefahren für das gesamte Tarifgefüge sehen. Und was öffentlich wenig beachtet wird: Die Gewerkschaften drängen auf die Einhaltung des SPD-Wahlversprechens, den »Antistreikparagraphen« 116 des Arbeitsförderungsgesetzes wieder abzuschaffen.
Die Regierung Kohl hatte 1986 beschlossen, daß unbeteiligte Arbeitnehmer, die durch Fernwirkung von Streik oder Aussperrung vorübergehend ohne Arbeit sind, kein Kurzarbeitergeld mehr erhalten. Diese »kalte Aussperrung« haben die Gewerkschaften immer wieder als Verletzung der »Waffengleichheit« der Tarifpartner kritisiert.
Mit der Wahl von Gerhard Schröder zum Bundeskanzler hofften die Gewerkschaften auf eine Revision des mittlerweile in das Sozialgesetzbuch integrierten Anti-Streik-Paragraphen. Die Arbeitgeber haben bereits wissen lassen, daß sie eine Wiederherstellung des alten Zustands als Kampfansage auffassen würden, die nicht ohne Folgen für die Bündnisgespräche bliebe. Seit der letzten Tarifrunde haben die Spitzenverbände der Unternehmer sowieso die Linie ausgegeben, Streiks seien angesichts der globalisierten Wirtschaft die pure Erpressung, da andere Firmen die Situation sofort ausnützen könnten.
Der ehemalige IG-Metall-Vize und jetzige Arbeitsminister Walter Riester wäre für eine Gesetzesnovelle zuständig. Auf ihn richten sich die Blicke seiner früheren Gewerkschaftskollegen, doch das Arbeitsministerium mauert. Es würden demnächst »behutsame Gespräche zwischen Regierung und den Tarifparteien« über die komplizierte Materie geführt werden, erklärte Riesters Pressesprecherin Franziska Vitting gegenüber dieser Zeitung. Doch die Geduld der Gewerkschaften neigt sich dem Ende entgegen. Der sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adi Ostertag - auch er ein früherer IG-Metall-Funktionär - mußte bereits im Mai gegenüber dem Monatsmagazin »Metall« beschwichtigen: »Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, die Chancengleichheit der Tarifparteien zu sichern... Wir wollen aber das Arbeitsförderungsgesetz bis zum Jahre 2001 grundlegend reformieren.« Das sei dann die Gelegenheit, den »Anti-Streik-Paragraphen« zu beseitigen.
Zumindest die IG Metall ist mit dieser langen Frist nicht einverstanden und will im September dieses Jahres eine Konferenz zum Thema veranstalten. Mit Erleichterung wird in der Bundesregierung registriert, daß es »nur« eine Konferenz und nicht gleich eine Großdemonstration ist. Das zeige, daß auch die IG Metall noch »Gesprächsbedarf« sehe. Im Klartext: Mit Rücksicht auf die Bündnisgespräche soll das Thema angestrengt klein gehalten werden.
Der Unmut gerade in der IG Metall ist aber so groß, daß er kaum mehr zu kanalisieren ist. Noch stellt sich IGM-Chef Klaus Zwickel vor seinen ehemaligen »Zweiten«: »Walter Riester und die gesamte Regierung können schließlich nicht in wenigen Monaten alles korrigieren, was die Regierung Kohl in sechzehn Jahren zementiert hat«, sagte er dem Info-Dienst »direkt«. Über den Erfolg des Bündnisses für Arbeit werde »nicht nach einem halben Jahr entschieden, sondern zur Mitte der Legislaturperiode.« Doch ob es so lange noch dauern wird, ist mehr als fraglich. Im DGB-Bundesvorstand habe sich Zwickel drastischer geäußert, kolportiert die Frankfurter Rundschau. Danach habe Zwickel die Befürchtung geäußert, daß alles »für die Katz sein könnte.«
Den wichtigsten Grund dafür, daß das Bündnis auf der Stelle tritt und noch nicht einmal atmosphärische Verbesserungen eingetreten sind, sehen die Gewerkschaften in der unklaren Haltung der Bundesregierung und speziell des Bundeskanzleramtes. Denen ginge es vor allem darum »die Herren bei Tisch zu halten«, soll Zwickel, der »Erfinder« des Bündnisses, gegrollt haben. Die Lage der Arbeitgeber ist in der Tat günstig. Die Bundesregierung scheut die Konfrontation mit ihnen, denn Kanzler Schröder hat die Bündnis-Veranstaltung zu seinem Renommierprojekt erklärt. Ein Auseinanderbrechen der Runde kann er sich politisch nicht leisten. Die Unternehmerverbände können somit gelassen zusehen, wie sich die Gewerkschaften jetzt mit der Bundesregierung anlegen.
Gegen den Plan, mehr Arbeitsplätze durch einen subventionierten Niedriglohnbereich zu schaffen, fahren die Gewerkschaften jetzt grobes Geschütz auf. »Beschäftigungspolitisch ungeeignet, sozialpolitisch fragwürdig und finanzpolitisch nicht vertretbar« meinte der DGB-Bundesvorstand. Vor allem die Befreiung gering entlohnter Beschäftigungsverhältnisse von Sozialversicherungsabgaben geht nach Meinung der IG Metall »konsequent in die falsche Richtung«. Die Subventionierung aus Steuermitteln sei »eine gigantische Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer«, wie es in einer Musterrede für Funktionäre heißt. Denn die Arbeitnehmer trügen jetzt schon weit über die Hälfte des Steueraufkommens, während Sozialabgaben zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgebracht werden müssen.
Alles in allem bestreiten die Gewerkschaften, daß mit einem subventionierten Niedriglohnbereich überhaupt in nennenswertem Umfang neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Vielmehr sei zu befürchten, daß jetzt noch versicherungspflichtige Jobs, insbesondere in den unteren Lohngruppen, umgewidmet werden, um die Subventionen mitzunehmen. Das ganze Tarifgefüge könne so ausgehebelt werden. Das wollen und können die Gewerkschaften nicht mittragen.
Einen Hoffnungsschimmer, aus dieser Zwickmühle zumindest vorläufig herauszukommen, sehen die Gewerkschafter beim Thema Ausbildung. Sie wollen sich auf der Sitzung des Bündnisses am 6. Juli vornehmlich dieser Frage zuwenden. Der bisherige Verlauf des Programms, das 100.000 Jugendlichen einen Ausbildungsplatz garantieren soll, ist positiv, und Arbeitsminister Riester darf dafür laut gelobt werden. Die Gewerkschaften wollen die Fortsetzung des Programms und hoffen, daß die Unternehmer auf den Zug aufspringen und mehr Lehrstellen anbieten. Aber selbst im besten Fall wäre das kaum mehr als eine Atempause.
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