Kühlschrank beim Bürgergeld? „Lagern Sie Ihre Lebensmittel doch draußen!“

Meinung Eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank kann man einfach beim Jobcenter beantragen? Von wegen! Helena Steinhaus von Sanktionsfrei erzählt, mit welchen absurden Argumenten Darlehen für dringend benötigte Geräte abgelehnt werden
Ein defekter Kühlschrank geht bei vielen an die Existenz
Ein defekter Kühlschrank geht bei vielen an die Existenz

Foto: Imago/agefotostock

Über Hartz IV weiß man vor allem eins: Man will es nicht! Man will nicht davon leben müssen, und man will nicht darüber reden müssen, darüber nachdenken müssen, es soll einfach weg.

Da sind wir nun: Hartz IV ist weg. Aus dem Diskurs. Aber nicht aus den Leben von 5,3 Millionen Menschen. Weil die CDU unbedingt auch die kleinsten Verbesserungen durch das Bürgergeld verhindern musste, hat sie mit einer zynischen Schmutzkampagne Desinformation verbreitet und Hetze geschürt. Das setzt sich fest. Nee, das will man nicht, Hartz IV.

Was man in der Debatte eigentlich hätte lernen können, wurde nicht gelernt. Noch immer wird angenommen, die Leistungen des Bürgergelds seien ein rundum-sorglos-Paket. Kurz vor dem Kompromiss zwischen Ampel-Koalition und CDU, nach Wochen der Debatte über Hartz IV also, sagte etwa Birgit Marschall von der Rheinischen Post in der WDR-Sendung Presseclub, dass von der Waschmaschine bis zum Kühlschrank oder dem Sportverein für die Kinder alles Mögliche übernommen werde. Leider stimmt das nicht. Obwohl Marschalls Schwerpunkt Sozialpolitik ist, tappt sie diesbezüglich offenbar im Dunkeln. Wie so viele.

Während die CDU nun lieber zurück ins Schweigen kehren würde, reden wir vom Verein Sanktionsfrei weiter – und klären auf:

Vor Hartz IV war es tatsächlich noch möglich, als Sozialhilfeempfängerin Zuschüsse für Haushaltsgeräte zu bekommen. Aber Gerhard Schröders Bataillon hat sich etwas Neues ausgedacht: Braucht man einen Kühlschrank oder eine Waschmaschine, kann man dafür ein Darlehen beantragen. Das wird dann bewilligt – oder auch mal nicht. Hat man das Glück der Bewilligung, muss man das Darlehen mit zehn Prozent aus dem Regelsatz abstottern. Das tut verdammt weh, wenn man nur maximal 449 Euro (oder bald 502 Euro) zum Leben hat.

Aber noch krasser ist, wenn das Darlehen abgelehnt wird. Da gab es beispielsweise den Fall von Doreen. Ihr wurde letzten Winter in einem offiziellen Schreiben vom Jobcenter mitgeteilt, die Witterungsbedingungen ließen es zu, die Lebensmittel draußen zu lagern. Derweil solle sie für einen neuen Kühlschrank sparen, dafür sei schließlich im Regelsatz etwas vorgesehen.

Oder Klaus, der mit seinem 19-jährigen Sohn zusammen lebt. Ihm schrieb das Jobcenter, es werde kein neuer Kühlschrank benötigt, da keine minderjährigen Kinder im Haushalt lebten. Darlehen abgelehnt.

Oder Karl, dessen Tochter gerade verstarb, weswegen er ein Darlehn für ihre Beerdigung brauchte – und danach dann das dringend benötigte Darlehen für die Stromschulden abgelehnt wurde.

Klar, das sind krasse Beispiele. Ich weiß auch, dass viele Mitarbeitenden im Jobcenter ein riesiges Herz haben und tolle Arbeit machen unter echt heftigen Bedingungen und es liegt mir fern, sie zu diskreditieren. Aber das Problem ist, dass das Machtgefälle enorm ist und vom System begünstigt wird. Es wird selten sichtbar, wenn Sachbearbeitende Fehlentscheidungen treffen, die gegen die Menschenwürde verstoßen. Welche Antwort hat das Bürgergeld darauf? Mir ist keine bekannt.

Aber gut, dass wir darüber geredet haben.

Helena Steinhaus setzt sich mit dem Verein Sanktionsfrei seit 2015 für eine sanktionsfreie und menschenwürdige Grundsicherung ein

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