In den Diskussionen um die Familienbilder der Parteien geht vollkommen unter, dass schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit meist von Frauen in und außerhalb der Parteien eine Neudefinition des Ehe- und Familienbegriffs versucht wurde. Robert G. Moeller hat es in seinem Buch Geschützte Mütter - Frauen und Familien in der westdeutschen Nachkriegspolitik knapp, aber gründlich beschrieben. Diese neue Sicht auf Familie knüpfte einerseits an Überlegungen aus der Vorkriegszeit an, andererseits versuchten einige Politikerinnen und Politiker aus der Tatsache, dass Väter tatsächlich Mangelware waren - weil tot oder in Gefangenschaft - alternative Vorstellungen vom Zusammenleben der Generationen zu entwickeln und politisch durchzusetzen. So sollten zum Beispiel die Mutter- oder gar die Mütterfamilie sowie neue Konstellationen, die sich in der Praxis bildeten, als gleichberechtigt anerkannt werden - und zwar als ständige Einrichtungen und nicht nur als vorübergehende und aus der Not geborene Ideen. Das ist hauptsächlich von den christlichen Parteien sowie den beiden Kirchen derartig heftig bekämpft worden, dass nicht einmal mehr eine kollektive Erinnerung an diese Kämpfe besteht.
Wichtig für die Familienpolitik der Nachkriegszeit war auch ihre Verknüpfung mit dem Kalten Krieg. Das erklärt weitgehend, warum die Restaurierung eines Frauenbildes, das praktisch in der Wirklichkeit kaum mehr eine Entsprechung hatte, durch die oben genannten Institutionen für deren Identität so wichtig war: Es musste ein stabiles Bollwerk gegen den Osten, gegen den Kommunismus mit der Restaurierung der Kernfamilie gebildet werden. "Gleichberechtigung" und "Kindergarten für alle" - das waren Begriffe aus dem Osten. Sie waren praktisch gleichbedeutend mit Gleichschaltung, ausschweifender Sexualität, ehelicher Untreue der Frauen, erlaubter Scheidungen, Untergang des Abendlandes. Dieser Ideologie des Kalten Kriegs ist es wesentlich zu verdanken, warum die Bundesregierung nicht wie in Frankreich das öffentliche Schulwesen hat ausbauen lassen und Kindergärten und -krippen für alle zugänglich machte und Müttern außerhäusliche Arbeit erlaubte, sondern statt dessen Gastarbeiter in die BRD holte. Frauen sollten zu Hause bleiben und den Kollektivideen aus dem Osten ein anderes Bild entgegensetzen. Wie gesagt, an diese Kämpfe und Grundsätze, die zum harten Kern des politischen Christentums gehörten, erinnert man sich kaum mehr und will es wohl auch nicht.
Frau von der Leyen nun ist für einige Herren ihrer eigenen Partei einen Schritt zu weit gegangen. Auch wenn von der CDU viele vorher unverrückbare Grundsätze zur Frauen- und Kinderfrage stillschweigend in den letzten Jahrzehnten fallen gelassen wurden - bisher ging noch keine führende Politikerin aus den eigenen Reihen so weit. Von der Leyen vertritt eine der Hauptthesen der jahrzehntelang bekämpften Gegner: Für eine größere Beteiligung der Gesamtgesellschaft an der Kindererziehung, damit Mütter wie Menschen leben können. Das stellt gleichzeitig die Frage, ob der herrschende Familienbegriff noch etwas taugt.
Im Westen hat sich seit 1968 die neu entstehende Frauenbewegung mit diesen Fragen befasst. In den siebziger Jahren rieb sie sich unter anderem genau an der Familienfrage auf - ein Streit, der von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet blieb - und wurde simpler und unpolitischer. Diese Auseinandersetzungen waren eine direkte Fortführung der Debatten der Nachkriegspolitik mit den gleichen Gegnern, dem politischen Christentum. Allerdings waren dies keine "gleichgewichtigen" Debatten. Auf der einen Seite standen die Frauen, die lernten, sich politisch eigenständig zu artikulieren, auf der anderen Seite die ideologischen Institutionen, die kraft ihrer Macht und ihres Einflusses selbst solche Zeichen des Protests verharmlosen konnten wie den groß angelegten Kindergärtnerinnenstreik in Berlin 1969.
Heute sind es hauptsächlich Einzelne, die über Alternativen zum herkömmlichen Familienbegriff nachdenken und Viele, die unter den gesetzlichen Auswirkungen der geltenden Definitionen leiden. Man kann nicht die Familie beschwören, wenn man weiß, dass täglich 1,2 Millionen der bundesrepublikanischen männlichen Bevölkerung oder Familienväter in den Puff gehen, dass der globale Mädchen- und Frauenhandel zunimmt und täglich millionenfach seine männliche Zustimmung findet. Das ist keine Frage der Weltanschauung, sondern der Statistik. Darüber könnten sich die Bischöfe vielleicht mal aufregen.
Die Menschheitsgeschichte hat viele Formen des Zusammenlebens verschiedener Geschlechter und Generationen hervorgebracht. Die meisten davon wurden durch Missionare vernichtet. Aber immer wieder versuchen Leute, einen Weg zu finden, Kindern einerseits Stabilität zu geben und gleichzeitig unstabile emotionale und sexuelle Gefühle und Tätigkeiten zuzulassen. Diese Ungleichzeitigkeiten sollte die Politik endlich mal zur Kenntnis nehmen.
Siehe auch www.helke-sander.de, Filmessay Mitten im Malestream - Richtungsstreits in der neuen Frauenbewegung; www.neuevisionen.de
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