Appelbaums nacktes Überleben

Überwachung Angela Richter hat in Köln den bisher letzten Teil ihrer "Überleben unter Überwachung"-Reihe inszeniert. Ein sehr persönlicher Abend mit Jacob Appelbaum.

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Appelbaums nacktes Überleben

Foto: Angela Richter

"Wir haben uns entschieden, den dritten Teil dieser Reihe etwas persönlicher zu gestalten", kündigt Angela Richter, die Regisseurin, in ihrer Begrüßung an, "er ist eine ziemlich persönliche, fragile Angelegenheit für Jacob Appelbaum und Allegra Searle-LeBel".

Es beginnt damit, dass eine junge Frau (Allegra Searle-LeBel) sich mit Kreide ein Bett auf den Boden malt, um sich hineinzulegen. Mit nacktem Oberkörper, zugedeckt mit ihrer eigenen Kleidung. Neben ihr sind auf der Bühne nur eine schwarze Matte, ein Rednerpult mit Licht und eine große, beleuchtete Schattenleinwand - neben der sich fünf oder sechs Securitys aufgebaut haben.

Zwei weitere Securitys kommen energisch hereingestampft, eine Frau, ein Mann. Sie nehmen der jungen Frau die Kleidung weg, um sie eingehend zu betrachten. Im ersten Moment wirkt sie aufgeschreckt, beruhigt sich dann aber wieder, und legt sich, nur in Unterhose, wieder hin. Die Sicherheitsleute machen sich mit strengem Blick Notizen und verschwinden dann genau so energisch.

Jacob Appelbaum steht am Rednerpult. Auf seinem T-Shirt steht "FUCK THE NSA".

"Tonight we're here to talk about surveillance", leitet er ein, "and to understand, that it's no courious story about one Edward Snowden, or one Julian Assange, or one journalist, working on one specific issue."

In seiner folgenden Rede (die er, wie die Regieassistenz mir später erzählt, erst am Nachmittag verfasst hat) geht er auf die Irrtümer ein, die im Laufe der NSA-Affäre aufgetaucht sind. Dass es sich nur um den Krieg gegen den Terror handle, dass Verschlüsselung die alleinige Lösung sein kann, das Überwachungsproblem zu lösen, dass das Speichern von Methadaten relativ unproblematisch sein könnte. Und auf den naiven Lieblingssatz in der NSA-Debatte.


"Die Vorstellung, dass wir nichts zu verbergen haben, basiert darauf, dass wir von Datenschutz im Sinne von Geheimhaltung sprechen. Aber es geht darum, die Wahl zu haben. Und es geht um Würde. Eigene Entscheidungen über das eigene Leben zu treffen, und diese Entscheidung in ihrem ganzen Zusammenhang zu verstehen.

Und leider ist nicht ganz klar, was zu tun ist. Deutschland zum Beispiel hat einen Pfad eingeschlagen, der mich überrascht hat. Den Pfad, dass es sich wünscht, ein großer Waffenhändler zu werden, um sich gegen die gefährliche Welt zu verteidigen, die es selbst mitgeschaffen hat. Und die USA tun exakt dasselbe."

Er kann danach nicht viel mehr sagen, denn die Sicherheitsleute kommen. Sie packen ihn, ringen ihn nieder, ziehen ihn nackt aus und schleifen ihn fort. Seine Füße scheuern über den Boden. Das Geräusch verursacht Gänsehaut.

Die Junge Frau beginnt zu sprechen, warnt uns, dass wir alle, die gekommen sind, weil wir uns für dieses Thema interessieren, um hier zu sitzen und interessante Gedanken zu haben, auf einer Liste interessanter Leute stehen, die uns vielleicht in ein paar Jahren nackt in einer kalten Zelle liegen lässt, wenn wir weiter solche Veranstaltungen besuchen. Weggebracht, vielleicht von der CIA oder dem BND, die einfach ihren Job getan haben, weil wir auf dieser Liste stehen. Und sie bittet uns, darüber nachzudenken, zu gehen, bevor es dazu kommt.

Nach ein paar Minuten, in denen sie aufzählt, was bei der Datensammlung passiert, warum sie Angst hat, Datenspuren zu hinterlassen, ob als Fingerabdruck auf einem Wasserglas oder digital, fordert sie das Publikum auf, die letzten freien Momente wie diesen zu genießen, und mit ihr zu tanzen. "Hat jemand ein Handy?" fragt sie, und ich melde mich automatisch. "Lass uns ein Selfie machen. Du kannst es danach auf Facebook hochladen."

Später treffe ich die Schauspielerin im Restaurant. Sie erkennt mich, wir reden miteinander, und ich sage ihr, dass ich es natürlich nicht hochladen werde. Sie strahlt und widerspricht, sie sei zwar nicht bei Facebook, aber bei Twitter, und schreibt mir ihren Twitterkontakt auf.

Es ist nur einer von vielen Momenten im Stück, der mir wirklich unangenehm ist. Ich bin bei Facebook, Twitter, habe ein Smartphone und eine Hotmail-Adresse. Wenn ich nach meinem Handy gefragt werde, antworte ich automatisch. Es sind Leute wie ich, die das Stück auch kritisiert. Diese Form von Sorglosigkeit mit meinen Daten, obwohl ich doch um die NSA weiß. Mein Handy ist angeschaltet, und ich habe es in weniger als drei Sekunden griffbereit. Auch im Theater.
Ob wir nun mittanzen, fünf Namen von Leuten, die uns wichtig sind, sagen sollen oder zum Schluss "aus Sicherheitsgründen" den Raum zu verlassen haben, ich fühle mich permanent, als würde ich einen Test mitmachen, den ich auch noch unter keinen Umständen bestehen werde. Ich bin nicht die einzige. Nachdem Appelbaum ein zweites Mal nackt auf der Bühne steht, um seine Rede fortzusetzen, und die Sicherheitsleute ihn ein zweites Mal packen und knebeln, geht das Licht an und die Securitys und Theatermitarbeiter fordern uns auf, den Saal zu verlassen, das hier sei nicht Teil der Show. Ich schwanke ein paar Sekunden, nachdem ich während des Stücks permanent überlegt habe, ob es überhaupt eine Chance gibt, richtig zu reagieren. (Mittanzen? Die Thematik ist zu ernst, und sie kritisiert doch unsere Sorglosigkeit und Naivität. Nicht mittanzen? Typisch deutsch. Fünf uns persönlich wichtige Leute nennen? Sagt sie dann, dass wir uns zu leicht auf Befehl das Privateste entlocken lassen? Nicht antworten? Lassen wir sie dann hängen?)

Ich stehe auf und gehe raus, aber meine Mutter bleibt sitzen, mit ein paar anderen, von denen einer aussieht wie Christopher Lauer und schon letztes Mal da war. Während die hilflosen Saalmitarbeiter und die teils schon wütenden (und übrigens echten) Securitys die Hartnäckigen Sitzstreikler zum Gehen zu bewegen versuchen, frage ich einen der Theaterleute, ob das eigentlich Christopher Lauer sei. Er grinst mich an und schüttelt spöttisch den Kopf. Offensichtlich nicht.
Ich kann die Reaktion der Leute verstehen. Vielleicht geht das Stück ja danach weiter, und die, die gehen, werden damit als Horde Schafe enttarnt, die wie eh und je bloß die "Gründe der Sicherheit" brauchen, um ihre Unterwerfung zu rechtfertigen?
Als ich draußen vor der Tür stehe und mich mit den Kölner Kryptopartyleuten unterhalte, kommt dann auch meine Mutter mit den letzten Besuchern hinaus. Einer von ihnen ruft: "Es geht weiter!". Einige lachen.

Angela Richter ließ uns mit unseren Fragen allein. Sie verließ den Saal, kurz nachdem das Licht anging.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Helke Ellersiek

Freie Journalistin. Leipzig, Köln, Berlin.Twitter: @helkonie

Helke Ellersiek

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