Die Horrorvisionisten

Zeitungssterben Drei F.A.S.-Journalisten schreiben über die Zukunft der gedruckten Zeitung. Doch ihre Utopie lehrt uns das Gruseln. Eine Richtigstellung

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Ich gebe es zu, ich lese gerne Papierzeitung. Man kann sie eben mal in der Hand halten, wenn man auf die Bahn wartet, ohne sie mit einer ungeschickten Bewegung zu zerstören, wenn sie herunterfällt. Man kann Artikel herausreißen und dem Chef an den Spind heften oder irgendwo einkleben. Man kann herumkritzeln, stöbern, sich verleiten lassen. Man kann sie im Aufenthaltsraum liegen lassen, damit andere darauf stoßen. Man kann eine Tageszeitung zum Geburtstag verschenken, sodass das Geburtstagskind auch Jahre später schwelgen kann, welche wichtigen Dinge an diesem Tag geschahen. Als Frank Schirrmacher gestorben ist, habe ich mir einen Haufen Tages- und Wochenzeitungen gekauft, und die Nachrufe aufbewahrt. Papierzeitungen besitzen eine gewisse Ästhetik.

Diese papierne Ästhetik stirbt aus. Schon länger. Das beschreiben wortgewaltig die drei Wirtschaftsjournalisten Patrick Bernau, Rainer Hank und Winand von Petersdorff-Campen in der aktuellen F.A.S. auf neun (online) bzw. drei (ganzseitig gedruckten) Seiten. Sie beklagen, dass die jungen Leute nicht mehr genug (gedruckte) Zeitung lesen, die Eltern auch immer weniger, und überhaupt: Den drei Autoren „geht die derzeitige Krise der Zeitungen nahe“, wie sie offenherzig zugeben.

Schuld an der Krise ist nicht allein das Internet, auch das geben sie zu. Eine sehr interessante Geschichte, der Niedergang der gedruckten Zeitung, ein empfehlenswerter Artikel.

Doch gegen Ende, wie sich das für einen anständigen Artikel mit Intention zur Warnung gehört, kommen die Lösungsvorschläge. Zwei Ausblicke in die Zukunft. Und die sind wahrlich unschön. Und zwar alle beide.

Die Dystopie: In sieben Jahren ist Schluss mit der gedruckten Zeitung. Die öffentlich-rechtlichen Sender, unterwandert von den Politikern in den Aufsichtsräten, teilen sich die Nachrichtenverbreitung mit spendenunterstützten Onlinezeitungen (zum Beispiel Glenn Greenwald und Ebay-Gründer Pierre Omidyar). Außerdem: Content Marketing, also Zeitungen von Coca-Cola mit gesellschaftsrelevanten Artikeln, und bloggende Akademiker. „Nur richtig kritisch wird kein Artikel. Vor einer solchen Welt haben wir, die Autoren dieses Artikels, Angst. Aber, wie gesagt: Wir sind befangen.“

So weit, so gut: Das kann man alles unterschreiben. Klingt nicht schön. Aber jetzt kommt die Utopie der drei Journalisten. Und die ist wirklich gruselig.

„Dank Big Data bekommen die Redaktionen schnell eine Erkenntnis, was funktioniert und was nicht funktioniert. Wenn Redakteure die Quote nicht halten, werden sie schneller abgelöst als früher. … Die allgemein erwartete Boulevardisierung der Medien bleibt aus. Stattdessen funktionieren Texte, die mit dem Alltagsleben der Leute verknüpft sind: Die vergebliche Suche nach dem passenden Eigenheim im Ballungsraum und mögliche Lösungen. Warum es gefährlich ist, Salat zu essen. Wie Big Data hilft, den besten Partner fürs Leben zu finden. Solche Themen. Einige Verlage setzen explizit auf einen Journalismus, der sich nicht mehr so stark an den Institutionen wie den Parteien, der Kirche oder den Gewerkschaften abarbeitet. Vor allem wird wie wild experimentiert und getestet. … Ist das alles Wunschdenken? Ja, es ist Wunschdenken. So wünschen wir – die Autoren dieses Artikels – uns die neue Zeitungswelt.“

Das ist keine Utopie. Das ist eine Horrorvision.

Aber damit hat der Artikel endlich das Thema erreicht, um das es eigentlich gehen muss: Der Niedergang des Journalismus. Und der ist es, den wir fürchten müssen. Papier ist bloß der Informationsträger. Eigentlich muss sich der Beruf des Journalisten durch die digitale Revolution nur in diesen Punkten verändern:

  • Der Journalist tritt mit dem Leser in Kontakt und wird gezwungen, seine Position zu hinterfragen.
  • Die Artikel bekommen eine höhere Reichweite.
  • Die Nachrichten erreichen den Leser schneller. Nicht erst am nächsten Tag.

Natürlich wird man mit Nachrichten weniger Geld verdienen können. Sie sind überall kostenlos verfügbar, das kann niemand mehr rückgängig machen. Oder wie Niggemeier neulich schrieb: Wer für exklusive „Bild“-News bezahlt, ist nur zu blöd zum Googeln.

Da die Zeitungen und Verlagshäuser sich nicht zu einer gemeinsamen Lösung für ein Online-Bezahlmodell durchringen konnten, sind diese Punkte dazugekommen.

  • Die Themenauswahl verändert sich, Klickzahlen werden zum Erfolgmesser.
  • Es wird immer weniger für Reportagen recherchiert, weil Recherche zu teuer geworden ist.

Die drei Journalisten verfehlen die beiden eigentlichen Argumente. Erstens: Der Journalismus steht und fällt nicht mit dem Papierzeitungssterben. Herrschaftskritik kann auch auf Klopapier gedruckt werden, sie ist trotzdem Herrschaftskritik. Das Papier ist nicht das Problem.

Zweitens: Das Problem ist, dass sich der Beruf des Journalisten verändert. Er wird von mehreren Seiten bedroht. Es gibt immer mehr Pressesprecher, immer weniger Journalisten. Kontrollieren, Hinterfragen, Kritisieren: Das wird immer weniger.

Die Digitalisierung ist ein Problem, weil es einerseits schon Computerprogramme gibt, die einfache Artikel mit Hilfe von Algorithmen verfassen. Aber viel schlimmer ist natürlich das Finanzierungsproblem. Denn natürlich bedroht das die Existenz dieses teuren Handwerks. Aber da ist schon längst nicht mehr die Digitalisierung selbst schuld, oder dass die Leute nicht bereit wären, zu zahlen. Es mangelt auch nicht an Ideen für Bezahlmodelle. Sondern es hakt sozusagen an der letzten Instanz: an den Zeitungen und Verlagen selbst.

Es wäre zum Beispiel denkbar, eine Art Flatrate für Zeitungsartikel zu schaffen. Leser zahlen einen bestimmten monatlichen Betrag und können dafür barrierefrei und zeitungsübergreifend hochwertige Inhalte lesen. Paywalls, das hat nicht zuletzt Niggemeier sehr schön am Beispiel der BILD gezeigt, funktionieren einfach nicht. Eine Art Pflichtflattr oder Spotify für Journalismus – es könnte so einfach sein.

Doch dieser Erkenntnisse verweigern sich die Verlage bis heute. Und selbst wenn sich alle miteinander einigten, würde sich der Springer-Verlag garantiert sperren. Seine Experten suchen schon zu lange im Silicon Valley nach der perfekten, gewinngenerierenden Variante für ihre Zeitungen, um sich für ein gemeinsames Bezahlmodell mit den restlichen Zeitungen zu öffnen.

Stattdessen errichten die Zeitungen nun also Paywalls, oder sie verlangen zum Teil über zwei Euro (mittlerweile im Durchschnitt ein Euro) für einen alten Artikel, wie bei der F.A.Z. Ein unverhältnismäßiger Preis, schon für einen gedruckten Artikel. Vom Aufwand ganz zu schweigen. Jemand twitterte neulich: „Gibt es eigentlich Anmeldeprozesse, die mit mehr Hürden versehen sind als die für Digitalabos deutscher Verlage?“

Letztendlich stehen die Journalisten und Verleger ihrer eigenen Existenzsicherung im Wege – doch anstatt das anzuprangern, trauern sie den alten Zeitungen nach und errichten Utopien, die den Journalismus überflüssig machen. Solange sich das nicht ändert, ist das Aussterben der Papierzeitung unser geringstes Problem.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Helke Ellersiek

Freie Journalistin. Leipzig, Köln, Berlin.Twitter: @helkonie

Helke Ellersiek

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