In den Startlöchern

Piraten "Die Medien" ordnen die Piraten mittlerweile gern in die Rubrik "Was macht eigentlich...?" ein. Da gehören sie aber nicht hin

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Die Themen Politikverdrossenheit, Transparenz und Partizipation hatten die Piraten bis vor einem Jahr gebucht. Die bürgerliche Mitte erhob sich gegen Stuttgart 21, Occupy hatte die Unterstützung von 80-90% in der Bevölkerung. Die Leute wollten Partizipation, die Piraten schossen auf 15 % und zogen in die Landtage ein. Nun dümpeln sie bei 4% vor sich hin. Doch weder sind die Themen vom Tisch, noch hat sich Liquid Feedback delegitimiert.

Die Piraten haben in den vergangenen Monaten dazugelernt. Sie haben sich nicht nur von der Ideologie der Ideologiefreiheit gelöst, sondern auch von einigen ihrer exzentrischsten "Köpfe", wie Bernd Schlömer es gern formulierte, und auf die er setzen wollte. Sie verbessern stetig Liquid Feedback und stellen dringend nötige Anfragen in den Landtagen, aktuell besonders zum Thema PRISM. Ihr Wahlprogramm zeigt deutlich, dass sie alles andere als eine monothematische Nerdpartei sein wollen. Man kann es wohl sozialliberal nennen. Aber wo bleibt das Lob der Presse?

Eine absurde Geschichte ereignete sich vor einigen Wochen in der Piratenpartei, die sich als Symbol für die mediale Entwicklung der Parteipräsenz der letzten Monate eignet. Daniel Schwerd widmete der Presse einen ziemlich deutlichen Blogkommentar. Zu Beginn des PRISM-Skandals konnte man in der Medienlandschaft einige Artikel finden, die die Abwesenheit der Piraten in der ganzen Geschichte kommentierten. Vermeindliche Abwesenheit, wie man es eigentlich formulieren müsste.


"Am vergangenen Mittoch haben wir im Landtag (zum Thema PRISM) eine Pressekonferenz gegeben, zu der Sie, liebe Presse, persönlich eingeladen wurden. Gekommen ist – ein – Journalist. Selbstverständlich wurden vorher Einladungen und nachher Pressemitteilungen dazu verschickt.

Ich habe unsere Anträge auch verschiedenen Redaktionen direkt geschickt, man möge doch darüber im Thema Prism und Tempora berichten. Von den meisten kam gar keine Rückmeldung. Von einer kam die interessante Antwort “Haben wir schon reichlich. Aber wie wäre es mit einem Kommentar, weshalb man von den Piraten gerade jetzt so wenig sieht?”

Nach dieser Anekdote muss man diese Frage vielleicht gar nicht mehr beantworten.

Aber was ist nun, ein Jahr später, aus dem „Wutbürger“ und seiner Idee der weiterentwickelten Demokratie geworden? Was haben die anderen Parteien aus dem Erfolg der Piraten gelernt?

Nichts. Zumindest erweckten die Aussagen des Geschäftsführers der CDU Köln, Volker Meertz, diesen Eindruck. Er antwortete auf die Frage, ob eine reformierte Demokratie in Richtung Bürgerentscheid zur Ergänzung der repräsentativen Demokratie die sinkende Wahlbeteiligung aufhalten könnte, weil die Bürger das Gefühl hätten, mehr gehört zu werden – vielleicht auch in Richtung Liquid Democracy, wie es die Piratenpartei vorgeschlagen hat: „Wer sind die Piraten?“

Weiter sagte er: „Demokratie ist mehr als ein EDV-System. Man muss sich grundsätzlich entscheiden: Will man eine direkte oder eine repräsentative Demokratie? Sie können die Demokratie nicht retten, indem Sie jedes halbe Jahr die Leute an die Urne trommeln wollen. Die meisten Volksentscheide in der Schweiz scheitern ja daran, dass sie die Unterschriften nicht zusammenkriegen.“ Auch als Zukunftsmodell bezweifelt er die Nützlichkeit. „Wenn das in den kommunalen Bürgerentscheiden schon nicht klappt, wie soll das denn dann in der nächsthöheren Ebene funktionieren? Die Folge wäre dann, dass wir uns nur noch im Wahlkampf befinden, und ich glaube nicht, dass die Bürger das politische System dann mehr schätzen. Man muss damit leben, dass bestimmte Leute aus verschiedenen Gründen nicht zur Wahl gehen. In England ist die Demokratie schon ein bisschen älter, und da ist sie auch noch nicht untergegangen.“

Das spricht auf eine frustrierende Weise für sich.

Eine ganz andere Antwort kam von den Grünen: Arndt Klocke, Landtagsabgeordneter und verkehrspolitischer Sprecher der Grünen NRW antwortete mit einem klaren Ja auf die Frage, ob seine Partei vom Erfolg der Piraten gelernt habe. „Diese Form von Internetbeteiligung, dass wir jetzt ein Voting zu den 9 Programmschwerpunkten für die Bundestagswahl und die Frage der Entscheidung der Spitzenkandidaten durchgeführt haben, hat aus meiner Sicht klar was mit dem Erfolg der Piraten zu tun.“ Er ist davon überzeugt, dass das auch eine Möglichkeit ist, jüngere Wähler zu gewinnen, die die Grünen als etablierte, ältere Partei wahrnehmen. „Eine grundsätzliche Offenheit, was Mitsprache angeht, hat es bei den Grünen aber auch immer gegeben.“

Lena Rohrbach, Listenkandidatin für die Piratenpartei in Friedrichshain-Kreuzberg, sagte etwas gewissermaßen ähnliches: "Im Grunde ist das hier ja auch so eine Art historische Lehre, die wir aus den Grünen gezogen haben. Die Grünen haben ja als basisdemokratische Partei angefangen, und dann relativ schnell festgestellt, dass quasi nur die Leute mit Zeit und Geld zu den Treffen kamen, weil die anderen so viel Zeit gar nicht in die Partei stecken konnten. Dann haben sie ja begonnen, Delegiertensysteme zu entwickeln, weil sie gesagt haben, dass gewählte Delegierte immer noch demokratischer sind als die Leute, die nur auftauchen, weil sie Zeit und Geld haben, und alleinerziehende Mütter beispielsweise, wenn, nur zu den wichtigsten Parteitagen kommen. Und das ist es tatsächlich, wovon wir glauben, dass man es mit Liquid Feedback lösen kann. Dass wir glauben, dass man durch den technologischen Wandel das erste Mal die Chance hat, eine größere basisdemokratisch arbeitende Gruppe zu haben, mit der man eben nicht nur einmal im Jahr auf Parteitagen arbeiten kann." Auch Andreas Pittrich, ebenfalls Listenkandidat für die Piraten in Friedrichshain-Kreuzberg, hat bemerkt: "Wir erleben tatsächlich, dass die jungen Grünen sehr offen für so etwas sind. Es dauert deshalb bestimmt ein paar Jahre, bis das auch bei denen durchsickert. Die Grünen haben das gerade gemacht: „Wir lassen die Basis über die Themen für das Wahlprogramm abstimmen!“ Das geht zwar schon in die richtige Richtung, aber einfach nur bestimmte Themen festzulegen ist ja weit von dem entfernt, was wir machen."

Tatsächlich erinnert die Initiative an den Versuch der Lesereinbindung - immerhin auch ein Bereich, der von den neuen Partizipationsmöglichkeiten betroffen ist - der taz mit ihren Leserkommentaren, die im Voraus auf ein bestimmtes Thema festgelegt und auf ca. 900-1000 Zeichen begrenzt, ausgeschrieben werden: Irgendwie ein netter Versuch.

Zurück zu den Piraten: Was ist eigentlich aus Liquid Feedback als Partizipationswerkzeug geworden? Ist das Programm an der Praxis gescheitert und hat sich so delegitimiert – oder ist die Debatte einfach bloß eingeschlafen, nachdem sich die Piraten in mit der Zeit ermüdender Form um Kopf und Kragen geredet haben?

Nein, antworten Rohrbach und Pittrich, Liquid Feedback sei sogar regierungsfähig. Die ihnen häufig gestellten Fragen "Wäre eine Beteiligung an der Regierung einer Partei, die Liquid Feedback benutzt, nicht viel zu unbeständig?“ oder „Können wir uns überhaupt darauf verlassen, dass ihr bestimmte Dinge und Positionen in der Politik überhaupt durchhalten werdet, wenn man bei Liquid Feedback eigentlich jeden Tag etwas anderes bestimmen könnte?“ beantworten sie sehr optimistisch. „Tatsächlich glaube ich, dass wir gerade wegen Liquid Feedback eine viel beständigere Politik als andere Parteien machen. Denn in einer großen Partei mit vielen tausend Leuten gehen die Wechsel viel langsamer vonstatten, weil der Meinungsbildungsprozess viel mehr Leute betrifft. Während in einer Partei, in der letztlich nur ein paar Leute an der Spitze entscheiden, die Politik ziemlich schnell umkippen kann.“

Dass daran etwas Richtiges ist, sieht man, wenn man sich die Richtungswechsel der großen Parteien ansieht: Ob die Agenda 2010 bei der SPD oder die Energiewende der CDU: Die jeweiligen Regierungen haben ohne Weiteres aufgrund von Meinungsumfragen ihre bisherige Linie komplett verlassen.

Trotzdem kritisieren viele das Liquid-Feedback-Konzept. Auf die meisten Kritikpunkte haben die Piraten nicht nur Antworten, sondern schon Verbesserungen in das System eingebracht. Dafür gibt es ein spezielles Tool, in dem man Initiativen für das System Liquid Feedback an sich aufgeben kann.

Auch für das Problem der geringen Beteiligung, die sich eben nicht immer mit der lokalen Akzeptanz der Software von Bundesland zu Bundesland erklären lässt, haben sie konkrete Ideen: „Wenn man das etablieren will, muss man sich Themen heraussuchen, die den Leuten unter den Nägeln brennen. Dann dafür sorgen, dass es eine einfache Möglichkeit gibt, sich zu beteiligen, und von Anfang an sagen: Das, was ihr abstimmt, ist das Ergebnis, was am Ende auch verwirklicht wird. Solange es den Willen dazu nicht gibt, wird nichts passieren. Häufig kommt man in dieses Dilemma hinein: „Wir wollen erst einmal ein Tool haben, an dem sich genug Leute beteiligen, und dann machen wir es verbindlich“. Aber das ist genau falsch. Man muss sagen, dass es verbindlich ist. Dann machen die Leute mit“, meint Pittrich.

Das klingt nach einem Plan.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Helke Ellersiek

Freie Journalistin. Leipzig, Köln, Berlin.Twitter: @helkonie

Helke Ellersiek

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