der Freitag: Herr Behr, verschwimmt im Moment die Grenze zwischen Terror und Amok?
Rafael Behr: Indem wir die Ereignisse als Terror interpretieren, tritt er in seinen Alltagskonsequenzen auch als solcher ein. Ob wir es Terror oder Amok nennen, ist im Einzelnen deshalb nicht entscheidend. Es macht weder für die Opfer noch für das momentane gesellschaftliche Klima einen Unterschied. Beides verbreitet Angst und führt zu irrationalem Verhalten. Der Unterschied liegt in der intendierten Botschaft.
Können Sie das erklären?
Beim Terror ist die Tat ein Bestandteil der Kommunikation mit der Gesellschaft. Mit dem Ziel, sie langfristig in Angst und Schrecken zu versetzen. Bei Amok ist die Tat der Schlusspunkt: Der Amoklauf und der meist folgende Selbstmord sind die Krönung des Schreckens. Beim Terror war früher das Erkennungsmerkmal, dass der Akteur die Folgen der Tat erleben will. Das hat sich seit der RAF geändert, beim Selbstmordanschlag sterben die Attentäter mit den Opfern. Doch sie sind oft nur Handlanger des Terrors, die glauben, mit der Tat ihrem Leben einen besonderen Sinn zu geben. Das haben sie im Übrigen mit Amoktätern gemeinsam. Die, die die verbrecherische Ideologie liefern, wollen aber die Wirkung ihres Schreckens erleben.
Zur Person
Rafael Behr, 57, ist Professor für Polizeiwissenschaft an der Akademie der Polizei in Hamburg. Er leitet dort die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit
Wird sicherheitspolitisch Terror nicht anders behandelt als ein Amoklauf?
Ja, bei den Sicherheitsbehörden ist die Unterscheidung wichtig. Die Forderung nach Inlandseinsätzen der Bundeswehr, wie sie von der Verteidigungsministerin kam, wäre bei einem von vornherein als solchem erkannten Amoklauf nicht gekommen.
Was halten Sie von Bundeswehreinsätzen im Inneren?
Fachlich ist das Unfug, wenn es über das vorhandene Maß an Unterstützung hinausginge. Es gab bisher nicht einen einzigen Anschlag, der mit militärischen Waffen verhindert worden wäre.
Reflexhaft fordern viele jetzt auch wieder mehr Polizei ...
Horst Seehofer hat eine „signifikante Aufstockung“ in Bayern angekündigt. Und der Seeheimer Kreis in der SPD fordert 20.000 neue Polizisten. Kein Mensch fordert aber 20.000 Sozialarbeiter, Psychologen oder Integrationsspezialisten. Wenn wir die einstellen würden, hätten wir wohl bessere Erfolge. Polizisten sind ja nur für die Symptombekämpfung zuständig.
Hat die Flüchtlingswanderung ein Sicherheitsproblem in Deutschland geschaffen?
Keines, mit dem wir nicht zurechtkommen würden. Vor allem sind es nicht die Flüchtlinge, die Amok laufen, sondern einzelne Menschen, die hier entwurzelt geblieben sind. Aber eins ist auch klar: Wo junge, perspektivlose Männer in großer Zahl aufwachsen, gibt es ein erhöhtes Gewaltpotenzial. Es sind ja keine Familienväter, Frauen und Kinder, die Amok laufen.
Was können wir gegen Schnellradikalisierung tun?
Wir wissen nicht einmal, was wir gegen Langsamradikalisierung unternehmen sollen. Die Anlaufstellen sind oft eher für verzweifelte Eltern als für radikalisierte Jugendliche. Viele dieser Leute tauchen kaum auf unserem Sicherheitsradar auf. Deshalb müssen wir vor allem normativ reagieren. Dabei können wir von Norwegen lernen, wie man in der Not zusammensteht. Anstatt sich zu radikalisieren, hat die Nation ein Manifest der Freiheit verfasst. Und auch die israelische Gesellschaft hat gelernt, mit Verwundbarkeit zu leben. Das steht bei uns auch an. Wir müssen lernen, mit Bedrohungen zu leben.
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