Am vergangenen Samstag erschien ein Beitrag des bekannten Wirtschaftsjournalisten Nikolaus Piper in der Süddeutschen Zeitung, in dem er sich der Frage widmete, ob eine „Vermögensabgabe für Reiche“ gerecht sein kann. Seine Grundannahme ist die, dass eine solche Abgabe nur gerecht genannt werden kann, wenn sie auch wirtschaftlich richtig ist. Da er sie aber für wirtschaftlich falsch hält, kann sie seiner Ansicht nach „eben nicht gerecht sein“. Ökonomisch falsch ist sie laut Piper, weil es drei „starke ökonomische Argumente“ gäbe, die seiner Ansicht nach dagegen sprächen: Kapitalflucht, Krisenverschärfung und Konfliktträchtigkeit.
Zwar hätte es ein historisches Beispiel einer solchen Besitzumverteilungsabgabe in Deutschland gegeben, das Piper als Erfolg bezeichnen könnte – den „Lastenausgleich“ der Nachkriegszeit –, aber leider sei so etwas eben nur in – längst vergangenen – Wirtschaftswunderzeiten möglich gewesen. Überhaupt ließe sich Gerechtigkeit nicht definieren, weil der Begriff zu inflationär gebraucht würde und zu unscharf sei. Eventuell jedoch könnte – folgt man seinem Gedankengang – die Frage nach Gerechtigkeit umformuliert werden in die, ob es eine zunehmende „Kluft zwischen oben und unten“ gäbe: Eine zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen? Diese Frage wird von ihm klar verneint und als Ammenmärchen bzw. Unfug abgetan: Das Land sei im Gegenteil sogar „ein bisschen gleicher geworden“.
Wo Meinungsfreiheit herrscht, darf ein kluger Zeitgenosse wie Piper auf einer solchen Begründungsebene zum Ergebnis kommen, dass man sich in Deutschland von „den alten Mythen und von der Vorstellung, es gäbe eine große Gerechtigkeitslücke“ verabschieden sollte. Selbstverständlich darf er auch vorbringen, dass es einen „Reflex in Deutschland“ gäbe, zuerst bei Reichen abzukassieren, „auf den man sich verlassen kann“. Zudem darf er natürlich seine Mutmaßung äußern, dass bei der Linkspartei wie Teilen der SPD, insbesondere deren Vorsitzenden, gerne geglaubt würde, die Reichen seien „Feinde“ und dass der „Mythos vom Sozialabbau“ einem Narrativ entspräche, das vermeintlich Marktradikalen untergejubelt worden wäre. Und selbstredend darf er behaupten, dass ein sozialer Kahlschlag „in Wahrheit nie stattgefunden“ hätte. Ein Anrecht darauf, solche Thesen unhinterfragt und unwidersprochen unters Volk zu bringen, hat er jedoch nicht.
Viele haben so gut wie gar kein Vermögen
Pipers Argumente sind zwar durchaus diskutierbar und sollten ernst genommen werden, aber so zu tun, als wären sie Konsens bei Ökonomen und Sozialwissenschaftlern, ist unredlich. Folgt man etwa dem sozio-ökonomischen Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahre 2019, so ist die Ungleichheit der verfügbaren Haushaltseinkommen im Zeitraum von 1991 bis zumindest 2016 mit kleinen Aufs und Abs stetig größer geworden. Was die Vermögensverteilung angeht, so mag diese in den letzten Jahren auf demselben Niveau geblieben sein (nachdem sie bis 2005 deutlich zugenommen hatte), aber man sollte dazusagen, dass auf diesem Level das vermögendste Zehntel in unserem Land knapp 60 Prozent des gesamten Vermögens besitzt, dass deren Vermögensteile im Laufe der letzten Jahrzehnte deutlich gestiegen sind und vor allem dass die ärmere Hälfte der Bevölkerung – wenn man die Verbindlichkeiten gegenrechnet – in der Summe, man höre und staune, nach wie vor gar kein – ja wirklich: nahezu an null Prozent heranreichendes – Vermögen besitzt.
Piper unterstellt Menschen mit hohen Vermögen nun in einer stereotypischen Weise – etwas, das er ja gerade massiv den „Linken“ vorwirft –, dass sie nichts anderes im Sinne hätten, als bei Einführung von solchen angedachten Vermögensabgaben mit Sack und Pack aus Deutschland zu fliehen. Und dass damit die polarisierte Stimmung in der Gesellschaft verstärkt werde und sich die Krise damit verschärfte. Dies ist allerdings keineswegs ausgemacht. Könnte es nicht sein, dass sich genügend Menschen (auch) mit größerem Vermögen finden würden, die doch lieber in Deutschland bleiben würden, es sogar gut fänden, wenn der Staat den Abbau der beträchtlichen Vermögensungleichheit organisiert? Und bedeutet Demokratie nicht, dass Abgaben- und Steuerpolitik von den Repräsentanten des gesamten Volkes und nicht nur von wenigen Privilegierten gemacht wird?
Warum treibt Piper auf diese eigene Weise Reichen-Bashing? Traut er Menschen mit Geld nicht über den Weg? Sind sie in seinen Augen allesamt potentielle Steuerflüchtlinge? Vertraut er unserer demokratischen Gesellschaft nicht, einen Diskurs zu organisieren und politische Entscheidungen zu finden, die den sozialen Frieden mit Inanspruchnahme der Leistungskraft von sehr Wohlhabenden gewährleisten?
Was Piper nicht bestreitet, ist, dass die „Vermögen der Reichen und Superreichen“ auch in unserem Land in absoluten wie in relativen Zahlen massiv angewachsen sind. Es erstaunt, dass er darin keine kognitive Dissonanz gegenüber seiner These erkennen kann, dass unser Land sogar gleicher geworden wäre. Und ob das ungerecht sei? Keineswegs. Wem ist ein Vorwurf zu machen, so Piper, wenn er oder sie in der Corona-Krise in die richtigen Aktien des Technologie- und Pharmabereichs investiert hat? Niemandem. Für ihn ist das nichts anderes als „vorausschauend“. Wem soll diese Kompetenz zum Vorwurf gemacht werden? Dass der Großteil der Menschen in unserem Land weder die finanzielle Grundlage noch die Fähigkeit der spekulativen Vorausschau hat, ist für Piper einerseits egal.
Andererseits sieht er darin aber auch schon einen Teil seines Lösungspakets: Macht die Armen reicher! Unter dem Stichwort „Beteiligung am Produktivvermögen breiter streuen“ lässt er erkennen, dass es so gerecht bei uns nicht zugehen kann. Auch nicht, was die Immobilieneigentumsverhältnisse angeht: Vermögende wohnen in der eigenen Immobilie und besitzen in aller Regel die Wohnungen und Häuser, in denen die weniger Vermögenden zur Miete leben. Lasst die ärmere Bevölkerung also Aktien und Wohneigentum erwerben! Nur wie? Drastisch höhere Löhne vielleicht? Eine Verdoppelung des Mindestlohns? Kein Geringerer als Piper höchstpersönlich würde da auf die Barrikaden gehen.
Und die neuen Superreichen? Glücklicherweise haben wir Unternehmer wie Özlem Türeci und Uğur Şahin, die BioNTech gegründet haben (auf die man in der Tat stolz sein kann!): Wäre es nicht nur ungerecht, sondern geradezu „dumm“, so fragt Piper, „solche Menschen mit einer Abgabe zu belasten“? Piper versteht sein Handwerk in der Tat: Suche dir sympathische Helden unter den Unternehmern und hebe sie auf ein Silbertablett: Sehr kluger Schachzug!
Warten auf Joe Biden
Und schließlich soll es eine gute Bildung für alle richten. Wie wahr. Nur: Wer von den Bildungsaufsteigern sorgt dafür, dass die Vermögens- und Einkommensungleichheit sich reduziert? Kaum einer. Bildungsaufsteiger sind in aller Regel die Wachhunde der Oberschichten, weil niemand so nachdrücklich wie sie auf die individuelle Eigenleistung beim Aufstieg pocht und gewonnene Privilegien mit Zähnen und Klauen verteidigt. Zudem sind Bildungsaufstiege in kaum einem anderen Land so selten geworden wie in Deutschland.
Wer aber ist schuld, dass all die Lösungen, die Piper anbietet, nicht umgesetzt werden können? Ach ja. Da gibt es ja diese Facebooks, Amazons und Googles dieser Welt, die „viel zu niedrige Steuern“ bei uns bezahlen (wo er recht hat, hat er recht). Aber da könne man nun mal vorerst nicht allzu viel machen. Da müssen wir auf Joe Biden warten. Nur er könne für mehr globale Steuergerechtigkeit sorgen, die Vereinigten Staaten hätten dabei nämlich eine „Vorreiterrolle“ zu übernehmen, sonst ginge leider, leider nichts. Da werden wir lange warten müssen.
Piper findet immer wieder neue Argumente, warum große Reichtümer gerecht sind und warum man Menschen mit hohem Vermögen schonen muss. Weil sie doch mit ihrem vielen Geld so scheu sind wie Rehe am Waldesrand und weil sie es doch sind, die unseren Wohlstand erst schaffen. Da muss man es eben in Kauf nehmen, dass das Gros der Menschen weniger hat. Viel weniger. Das müsse man doch nun mal verstehen.
Es wäre naiv anzunehmen, dass Piper gegen seinen eigenen Glauben redet. Für ihn ist es Fakt, dass diese ganzen Linken und Sozialdemokraten es seien, die einem falschen „Feindbild der Reichen“ nachjagten, anstatt endlich die von ihm gewünschten Reformen umzusetzen. Er glaubt an den Segensreichtum der Marktergebnisse als gleichsam naturwüchsige Entfaltung von Gerechtigkeit: Wer es zu Reichtum schafft, muss es verdient haben. Was sonst? Eine simple Logik. Dass er linken und linksliberalen Mitmenschen dabei unterstellt, sie würden die Reichen als Feinde betrachten, ist verständlich. Offensichtlich und spiegelbildlich scheint er die Feinde links zu sehen.
Dass Piper letztlich einem Mythos nachläuft, dass Reiche ein weitgehendes Recht auf steuerliche Unbelangtheit hätten und dass eine gewachsene Ungleichheit gleichsam heilbar wäre durch die allmähliche Reichmachung der Ärmeren, ist ihm nicht übel zu nehmen. Jeder hat ein Recht, seinen Glaubensüberzeugungen zu folgen. Welche davon letztlich zu realer Politik werden, zeigt dann schließlich, wie die Macht- und Herrschaftsverhältnisse tatsächlich sind. Und es sieht so aus, als würde das Bestehende noch längere Zeit fortdauern. Denn solange man Apologeten der Großvermögen solchen Spielraum gibt, jetzt auch noch im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, können unsere wirklich reichen Mitmenschen ruhig die Nachtruhe und den Schlaf der Gerechten genießen. Wenn’s eng wird, haut Piper sie schon raus.
Aber nein, Nikolaus Piper ist kein gekaufter Büttel des Großkapitals, nein, er ist auch kein Lohnschreiber für die „Reichen“ und auch keine Marionette der Vermögenden in unserem Lande. Er ist ein Überzeugungsschreiber. Und wenn ich einmal so richtig reich werde, dann bitte ich ihn, mir meine Biographie zu schreiben. Versprochen.
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