Brennt Paris? Ja, Paris brennt. Aber die positive Antwort auf Hitlers insistierende Nachfrage vom August 1944 kam 40 Jahre zu spät und aus einer Ecke, aus der er sie sicher nicht erwartet hätte. "Paris is burning" hieß es auf dem Plakat zu einem jener legendären Bälle der schwulen, schwarzen Subkultur in Brooklyn, die in Jennie Livingstones gleichnamigem Film von 1991 porträtiert wurde. Dieser Titel geht auf René Clements Film Is Paris burning? von 1965 zurück, der mit einem ungeheuren Aufgebot an Stars (Orson Welles, Kirk Douglas, Jean-Paul Belmondo u.v.a.) das Drama um die Befreiung von Paris erzählte. Bedrängt von der Resistance und den nahenden alliierten Truppen weigerte sich der deutsche Kommandeur von Paris, General Dietrich von Choltitz (Gert Fröbe) dennoch, Hitlers Befehl, Paris in Brand zu setzen nachzukommen. Er wollte nicht mehr sinnlos enorme Kulturgüter zerstören. Das Plakat zum Film zeigt einen deutschen Soldaten neben dem von Flammen umzüngelten Eifelturm. Das Plakat aus Brooklyn lässt den Soldaten weg und präsentiert - eine hübsche Obszönität - einen brennenden, stark phallischen Eifelturm, dessen Flammen, die wie Tropfen aussehen, von einer Tunte entfacht werden. Daran lassen sich gut - wie wir sehen werden - einige post-freudianische Spekulationen festmachen. Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. In der Kritik an Livingstones Film spinnt die amerikanische Theoretikerin bell hooks, die in ihrem Buch Black Looks den Abgründen rassistischer und exotisierender Darstellungen in der Populärkultur nachgeht, die Metapher weiter:
"Als ich zuerst von diesem neuen Dokumentarfilm über schwarze, schwule Männer, drag queens und deren Bälle hörte, war ich vom Titel fasziniert. Er evozierte Bilder des echten Paris in Flammen, Bilder von Tod und Zerstörung der dominanten weißen, westlichen Zivilisation und Kultur, des Endes von Eurozentrismus und weißer Vorherrschaft."
Der Titel weckte Erwartungen, die der Film dann nicht einlösen konnte. Doch mit der Phantasie, die westliche, bürgerliche Kultur in Brand zu stecken steht bell hooks nicht allein. Flaming Classics verspricht etwa Alexander Doty in seinem neuen Buch, in dem er den Kanon der Filmgeschichte einer "queeren" Lesart unterzieht. Was also haben drag queens aus Brooklyn mit Freud, bell hooks mit Hitler und die queer studies mit dem Futurismus zu tun? Zugegebenermaßen wenig, außer dass sie alle genussvoll Kultur in Flammen aufgehen lassen.
Feuer-Motive
Was lässt sich daran, über die Kuriosität der Verknüpfung hinaus, Interessantes ableiten? In jedem Fall ist Feuer eine komplexe und durchaus zentrale kulturelle Metapher der Moderne, die sich stets dort gut benutzen lässt, wo politische Rhetoriken, avantgardistische Gesten oder subkulturelle Codes einander kreuzen. Kaum eine Beschwörung revolutionärer Veränderung kommt ohne Flammen aus, aber auch das intimste Begehren repräsentiert sich gerne feurig. Am besten scheint die Metapher bei einer engen Verknüpfung privater und politischer Aspekte zu funktionieren, etwa in der Darstellung verzehrender Leidenschaften.
In Fritz Langs erstem in Amerika gedrehten Film Fury von 1936 ist sehr schön zu sehen, wie sich angepasste Kleinbürger in einen kollektiven Wahnwitz hineinsteigern und lustvoll das lokale Gefängnis in Brand setzen, um einen unschuldigen Mann zu töten. In der Masse verschmelzen die intimen und die politischen Leidenschaften, und gleichzeitig gelingt es Lang auf der metaphorischen Ebene, einen Zusammenhang herzustellen zwischen den amerikanischen Traditionen von Selbstjustiz und Lynchmord auf der einen Seite und dem nationalsozialistischen Terror auf der anderen.
In kulturkonservativer Perspektive hat die, für die Betrachtenden angeblich nur distanzlos wahrnehmbare Intensität der Feuer-Motive dazu geführt, die Vielfältigkeit und Verschränktheit des Motivkomplexes zu vernachlässigen zugunsten der Beschwörung seiner archaischen "Mächtigkeit" als Bild. Doch am modernen Gebrauch von Feuerbildern ist nichts archaisches. Besser lassen sie sich als kulturelle und soziale Metaphern begreifen, die situativ mit unterschiedlichsten Bedeutungen aufgeladen werden können. Ein Bild transportiert Bedeutungen daher nur, weil es stets in vielschichtige metaphorische Konstrukte eingebettet ist; es ist gewissermaßen der konkrete Teil, der aber erst durch den abstrakten, spekulativen, ja prozessualen Zusatz zur Metapher wird. Denn eine Sache durch eine andere zu erklären ist ein nicht abschließbarer Vorgang, stets bleiben Ungereimtheiten. Und da die Metaphern immer erst im Kopf entstehen, können sie auch nicht kontrolliert werden - ein künstlerisches oder literarisches Bild kann bestimmte Assoziationen nahe legen, ob diese auch ankommen ist eine andere Sache.
Dieser spezifische Charakter von Metaphern, dass sie die eigene Bedingtheit ihrer Entstehung zugleich spiegeln und überschreiten, und dass die Rezeption das eigentlich Produktive an ihnen ist, lässt sie zu einem wichtigen Medium werden, über die Transfers populärer Motive, die Verschiebungen der Kontexte und Überblendungen der Diskurse nachzudenken. Metaphern eröffnen ungeahnte Beziehungsgeflechte und Denkmöglichkeiten, können aber auch zum Stolperstein der Argumentation werden; erhellend und verwirrend zugleich ist es ihr spezifischer historischer Eigensinn, der es ermöglicht, an ihnen die Verschränkungen und Widersprüchlichkeiten der Diskurse zwischen Ästhetik und Politik festzumachen.
Explodierende Closets
Hitlers Rhetorik von "verbrannter Erde" wohnte immer noch ein futuristischer Rest aus der Zeit der Bücherverbrennungen inne, nämlich durch einen pragma-symbolischen Akt der "Reinigung" eines imaginären Sündenbabels das nationale Kollektiv in seinem Abwehrkampf zusammen zu schweißen. Doch es war bereits ein Pop-Hitler, der in den 80er Jahren in Brooklyn rezipiert wurde. Der Witz der Adaption in Paris is burning liegt deshalb nicht in einer wie immer gearteten "Identifikation mit dem Aggressor", sondern gerade darin, dass es ein solches "Sündenbabel" ist, das zum Sturm auf Paris - nun als imaginiertes Zentrum von Haute Couture und repressiv-dominanter Hochkultur zugleich - ansetzt. Willi Ninja, der Organisator des Paris is burning-Balls, hat die Metapher zu einem spezifischen Code zugespitzt, der sich einer langen Tradition des Flaming in schwulen Subkulturen und im Avantgardefilm sicher sein konnte. Kenneth Angers Fireworks (1947) und Jack Smith´ Flaming Creatures von 1963 hatten in den Jahren vor Stonewall auf eindrucksvolle Weise gegen die heterosexuellen Normen filmischer Repräsentation revoltiert. Susan Sontags legendäre Interpretation dieser Filme als eine Art regressive, polymorph-perverse "Unschuld" ging ziemlich an der Sache vorbei.
Michael Moon stellte dem in seinem Nachruf auf Jack Smith, der unter dem Titel Flaming Closets 1989 erschien, eine wesentlich politischere Lesart gegenüber: "Der Regisseur von Flaming Creatures wusste nur zu gut, ein kulturelles Produkt so zu positionieren, dass es jene Schränke (Closets) explodieren ließ, in denen Schwule ihre sexuellen Neigungen verbergen mussten. ... Und er war sich klar darüber, dass das in Brand stecken der Closets nicht einfach ein befreiender Akt ist: unvermeidlich würden sich Leute daran verbrennen, insbesondere die Brandstifter selbst." Aber es ginge nicht darum, absichtlich Leute zu verletzen, sondern als "ein ernsthaftes und gefährliches Projekt" die Heimlichkeiten beiseite zu schieben und die gesellschaftliche Institution des "Schranks" selbst anzugreifen.
Was im Brooklyn der 80er Jahre verhandelt wurde war eine ebensolche Revolte gegen das kanalisierte, normierte Begehren, aber in einem anderen politischen Kontext - soziale und rassistische Ausgrenzung prägen nun massiv den Horizont der Begehrensrevolte. Livingstones Film zeigt sehr schön die Spannung zwischen der sozialen Deklassierung - der schier aussichtslosen Armut der meisten Protagonisten, ihren verheerenden Familiengeschichten, aber auch den realen Leidensgeschichten der meisten Transsexuellen - und der unglaublichen Extravaganz des Stils und der Ausgefeiltheit der Wettbewerbe in den verschiedenen, durchaus nicht immer transvestitischen Kleiderordnungen. Meist geht es darum, besonders real zu sein: die Welt der Schönen und Reichen, aber auch die alltägliche Hetero-Welt zwischen Büro, Militär und dem Machismo der Straßengangs perfekt zu verkörpern Going in statt coming out, heißt die Devise. Insbesondere das Vogueing, die rituelle Umsetzung alltäglich erlebter homophober und rassistischer Diskriminierung in eine kollektive und sehr kommunikative Form von "breakdance", bei dem gleichzeitig Posen aus der Modewelt imitiert werden, hat in der Tat etwas Faszinierendes.
"Ich möchte das Vogueing nicht nur in den Film Paris is burning tragen", sagt Willi Ninja, "sondern in das wirkliche Paris, und ich will dieses echte Paris in Flammen setzen. Das ist es, was ich will, und nicht nur dort.... Ich möchte ein großer Star sein, der überall in der Welt bekannt ist, vielleicht als Choreograf, als Tänzer oder als Sänger." Obwohl er, wie das Ende des Films zeigt, durchaus erfolgreich sich im "realen" Leben behaupten kann, ist es das sublime Moment dieser Subkultur, die eigenen Begrenzungen hinter sich zu lassen, sich in eine andere Welt zu beamen, und diese dabei gleichzeitig zu verändern. Das Illusorische der angestrebeten Staridentität wird dann eher von den älteren Mitgliedern der Szene, Dorian Carey oder Pepper Labeija, vertreten.
Im Unterschied zu Kenneth Anger und Jack Smith blickt Jennie Livingstone allerdings von außen auf das Objekt ihrer Darstellung, die Brooklyner Szene. Dieser klassische Dokumentarfilm-Ansatz ist es auch, der bell hooks in ihrer Kritik sichtlich auf die Palme bringt, nämlich der Anspruch, verborgene soziale Phänomene sichtbar zu machen und dabei gleichzeitig die eigene Position als (weiße und lesbische) Filmemacherin im Unsichtbaren zu belassen. Im Kino ist sie entsetzt über die Reaktionen des vornehmlich weißen Publikums, das ständig an den falschen Stellen lacht und offensichtlich etwas genießt, das die eigene Privilegiertheit stützt anstatt diese in Frage zu stellen. Deshalb sei der Film nichts anderes als eine Art ethnografischer Bericht über ein neues "Herz der Finsternis", und die inneren, subversiven Rituale der Szene werden zum nach außen gestülpten Spektakel für den Mainstream. Nichts Widerständiges sei an dem Film, und obendrein seien die Bälle selbst zwar durchaus als Infragestellung traditioneller Geschlechterrollen zu begreifen, aber nur um den Preis der Anbetung großbürgerlicher und weißer Vorstellungen von Weiblichkeit. Gerade dieses Moment - dass die sozial Deklassierten und rassistisch Ausgegrenzten auch noch die Ideale ihrer Unterdrücker imitierten - werde vom weißen Publikum so genossen.
Einverleibter Exotismus
So berechtigt diese Kritik auch ist - angesichts der langen Geschichte westlicher Kultur zwischen symbolischer Einverleibung des "Anderen" und dessen realer Vernichtung - der Exotismus-Vorwurf verdient eine gewisse Differenzierung. Im Gegensatz zu Pop-Größen wie Madonna oder Britney Spears, die unverhohlen den Fundus schwarzer Kultur plündern, eignet sich Livingstone die "fremde" Erfahrung keineswegs plump an, und gibt den handelnden Personen viel Platz zur eigenen kulturellen Inszenierung und politischen Selbstermächtigung. Transfers symbolischer Kapitalien sind aber auch dabei nicht auszuschließen. Gerade die Zurückhaltung hinsichtlich der eigenen Autorschaft in bestimmten Traditionen des Dokumentarfilms, und die damit verbundene Fiktion, die Leute einfach für sich selbst sprechen zu lassen, sitzt leicht dem Mythos des Authentischen auf, der wiederum zum strukturellen Kern exotisierender Darstellungen gehört.
Doch immerhin macht der Film meiner Meinung nach deutlich, was bell hooks explizit nicht anerkennen will, wie marginalisierte Gruppen sich Aspekte der dominanten Kultur aneignen und gegen diese wenden. Gerade die Imitation der heterosexuellen Normkultur kann sehr subversiv sein - im Sinne von Judith Butlers "parodistischer Subversion", in der sich die prinzipielle "Performativität von Geschlecht" zeigt. Der Film verweist aber auch auf die Abgründe, die solch "aushöhlenden" oder überaffirmativen Strategien zugrunde liegen - speziell an der Stelle, wo eine junge Transsexuelle, ein echter Star innerhalb der Szene, ziemlich verloren bei einem "normalen" Model-Casting herumläuft, und die subkulturelle Phantasie am Prüfstand der dominanten Realität scheitert. Butler beschwört geradezu die "schmerzlichen Freuden des Erotisierens und Nachahmens", und bescheinigt dem Film doch, "keine Aneignung der herrschenden Kultur, um ihren Bestimmungen untergeordnet zu bleiben, sondern eine Aneignung, die die Bestimmungen der Beherrschung umgestalten will."
Der brennende Eifelturm als ejakulierender Phallus
Dass der brennende Eifelturm auf dem Brooklyner Plakat sich zugleich als ejakulierender Phallus lesen lässt, hat sicherlich mit den Visionen eines brennenden Phallus bei Kenneth Anger und Jack Smith zu tun. Es lässt sich daran aber auch ein Stolperstein innerhalb psychoanalytischer Theoriebildung festmachen, der Freud - gegen seine geläufige Lesart als Garant der ödipalen, heterosexuell zentrierten Ordnung - zum Kronzeugen der queer studies machen könnte. In dem kurzen Aufsatz Zur Gewinnung des Feuers von 1932 geht Freud von einer Analyse des Prometheus-Mythos aus. Dass Prometheus den Menschen das Feuer versteckt in einem Rohr bringt, könne in psychoanalytischer, umkehrender Lesart nur heißen, dass es sich um Wasser im Rohr, also um den Urin handle, und dass Prometheus den Menschen beigebracht habe, nicht in die heiße Asche zu urinieren, das heißt das Feuer nicht zu löschen und es damit kulturbringend zu bewahren.
Da der damit verbundene Triebverzicht die homoerotisch aufgeladene Rivalität der Männer untereinander beim Urinieren in die Asche betrifft, kann Prometheus als jener mythische Heros angesehen werden, der die heterosexuelle Ordnung (Freud nennt diese Kultur) etabliert hat. Der "Groll des Triebmenschen" (Freud) war ihm gewiss und hat Ausdruck gefunden im Bild der Bestrafung des Prometheus durch Zeus, der ihn an einen Felsen kettete und ihm täglich einen Adler vorbeisandte, der seine Leber fraß, die allerdings über Nacht wieder nachwuchs.
Dies könne nach Freud als Bild des Begehrens gelesen werden, das jeden Tag neu entflammt und wieder gelöscht werden will (wobei wir wieder bei dem Brooklyner Plakat wären). Um welches Begehren handelt es sich hier? Freud lässt sich darüber nicht aus, aber es ist eindeutig der Groll der homosexuellen "Bruderhorde" (vor dem Hintergrund von Freuds Urhordentheorie aus "Totem und Tabu"), das zu dem ambivalenten Bild von Strafe und Begehren führt (das wiederum Kenneth Anger so eindrucksvoll in Fireworks in Szene gesetzt hat). Der Verzicht auf homosexuelle Befriedung bringt nach Freud die (heterosexuelle) Kultur erst hervor, erzeugt aber gleichzeitig einen omnipräsenten Groll gegen diese Kultur: ein spezifisch sadistisches Begehren und ein rachsüchtiges Aufbegehren. Mit anderen Worten: es gibt keine heterosexuellen und homosexuellen Menschen, sondern alle sind potentiell queer, schwule Triebmenschen, die unter dem Joch der prometheischen Kultur leben.
"Jeder Text ist immer schon potentiell queer" sagt auch Alexander Doty in Flaming Classics. Es gehe nicht darum, bestimmte Texte oder Filme als queer zu rekrutieren, sondern schwule, lesbische, bisexuelle oder transsexuelle Seh- oder Leseweisen als zumindest genauso legitim auszuweisen wie normativ-heterosexuelle. Das Problem liege darin, dass die normalisierende Sicht der Dinge meist vorausgesetzt wird, auch wenn diese gar nicht explizit ausgesprochen wird. Unter den herrschenden Bedingungen ist das auch gar nicht nötig, was wiederum Räume für Anspielungen und Andeutungen öffnet. Queerness drücke sich meist und absichtlich auf subtilen Wegen aus und könne von der Selbstgewissheit heterosexistischer Repräsentationen profitieren. Es gehe nicht darum, dem Mainstream-Kanon der Filmgeschichte (von Caligari bis Psycho) einen queeren Kanon gegenüberzustellen, sondern den Mainstream selbst als wesentlich queer zu behaupten.
Helmut Draxler lehrt Kultur- und Medientheorie an der Merz-Akademie, Hochschule für Gestaltung in Stuttgart. Der vollständige Aufsatz erscheint demnächst in einem Sammelband der Bundeskunsthalle in Bonn zum Thema: "Feuer".
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