Mütter und Väter

Wer war mein Vater? Gehörte er zu den Kriegsverbrechern des II.Weltkrieges? Fragen ohne viele Antworten

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Das Ghetto-Museum in Lodz
Das Ghetto-Museum in Lodz

Foto: Janek Skarzynski / AFP / Getty Images

War das mein Vater?

Er fiel im März 1944 in Russland den Heldentod. Für Führer, Volk und Vaterland. So steht es auf der vergilbten Todesanzeige aus dem Kriegsjahr 1944. Er wurde 38 Jahre alt. Geboren ist er am 20.04.1906 in Friedland / Tschechien. Er hatte mit dem " Führer" Geburtstag.

In Prag erlernte er das Buchdruckerhandwerk.. Dort heiratete er meine Mutter im Jahre 1931. Nach der Besetzung des Sudentengaus 1938 wurde mein Vater Polizist im III. Reich. 1940 kam er mit seinem Polizeiregiment nach Pabianice in Polen. Dort verrichtete er, innerhalb eines Polizeiregimentes, seinen Polizeidienst , bis zu seiner Einberufung an die Ostfront. Wie mir meine, inzwischen verstorbene Mutter erzählte, fiel er im Einsatz der Partisanenbekämpfung. Er starb, wenige Tage nach seinem ersten Fronterlebnis, durch eine russische Kugel. Über den Krieg und die Tätigkeit meines Vaters redete meine Mutter nicht viel. Ihre Erzählungen begannen mit der Flucht aus Polen und der späteren Vertreibung aus ihrer Heimat, dem Böhmerwald.

Natürlich sah ich die Folgen aller Holocaustfilme. Ich schaute mir die Dokumentationen über die Verbrechen der Nazis an. Die Judenverfolgung, die Verbrechen der Wehrmacht und die Liste der deutschen Kriegsverbrecher, viele diese Dokumente, Berichte, Filme und Bücher berichteten mir von den schrecklichen Taten dieser Verbrecher. So sah ich die Filme der Kinder der Täter. Jetzt frage ich mich, gehört mein Vater ebenfalls zu diesen Kriegsverbrechern? Wie ich auf diese Frage komme? In Pabianice befand sich ein Ghetto von 19440 bis Mai 1942.

Augenzeugen berichteten in einem Nachkriegsprozess, dass dort die deutsche Ordnungspolizei das Lager bewachte und 1942 räumte. Dabei sollen Kleinkinder von den dort tätigen Polizisten aus den Fenstern geworfen worden sein. Die deutsche Polizei sei sehr brutal vorgegangen. Soweit meine Quellen und Ermittlungen.

Meine Mutter zeigte mir viele Fotos meines Vaters in Uniform, unter seinen Polizeikameraden verweilend, im Sportdress sitzend, bei einer Weihnachtsfeier im Kreise der Kameraden. Kein Bild zeigt ihm direkt im Dienst. Was war dort seine Aufgabe? Beschränkte sie sich nur auf die Dienstaufgaben eines Polizisten der Ordnungspolizei, wie es im deutschen Reich üblich war? Diese Ansicht ist sicher falsch. Er war lebte nicht allein auf einer Insel. Er stand unter dem Kommando einiger Kriegsverbrecher der dortigen Polizei und SS und der Gestapo. Die Polizeiregimenter waren die ausführenden Organe des NS- Terrors im Warthegau. Konnte er Gräueltaten verneinen? Sich drücken vor den verbrecherischen Befehlen? Möglich wäre es gewesen, will mir meine Liebe zu meinem Vater vormachen. Wahrscheinlich nicht, sagt mir mein Verstand. Er war Teil dieses Terrorregimes. Vieleicht gelang es ihm tatsächlich, genau an diesen Tagen der Räumung des Ghettos, Schreibtischarbeit zu erledigen? Das wünsche ich mir so sehr, auch für den Totenfrieden dieses Mannes. Zweifel bleiben. Sie lassen mich nicht mehr los. Ich frage mich, wie hätte ich mich verhalten? Dort und unter diesen Umständen?

Wahrscheinlich setze bei meiner Mutter der gleiche Verdrängungsmechanismus ein, den viele der Mitwisser im III. Reich vorlebten. Eines Tages, ich war noch Schüler, fragte ich meine Mutter, hat sie und mein Vater die Judenverfolgung erlebt, mitbekommen, oder nur durch Hörensagen ihr Wissen erhalten. Sie berichtete mir, dass mein Vater ein KZ besichtigen musste. Er kam zurück und erzählte ihr, dass die dortigen Juden wohlgenährt, in sauberen Unterkünften leben und eine geordnete Arbeit verrichten. Ihnen ginge es dort gut.

Glaubte meine Mutter diese Berichte des Ehemanns? Hat er sie nur beruhigen wollen? Wurde er tatsächlich getäuscht? Alles Fragen, auf die ich keine echte Antwort finde. Auch hier sagt mir mein Verstand, mein erlesenes und in Filmdokumentationen erworbenes Wissen, so kann es nicht gewesen sein. Pabianice war damals eine Kleinstadt. Lodz ist nicht weit entfernt und der Polizeidienst meines Erzeugers reichte bis in diese große Stadt. Dort befand sich ein großes Judenghetto. Von dort gibt es Filme, die zeigen die Taten einzelner, deutscher Polizisten. Frech und ohne Skrupel blicken sie in die Kamera. Festgehalten durch Filmberichte der Täter.

Mein Vater war eingebunden in die Maschinerie der Vernichtung, des Terrors gegen die dortige polnische und jüdische Bevölkerung. Die Wohnung, in der meine Eltern mit uns Kindern wohnten, in der damaligen Prinz-Eugen-Straße in Pabianice, war kein Neubau. Dort lebten, vor dem Einzug der Eltern, einheimische, polnische Bewohner. Ob es Juden waren, kann ich nicht sagen. Wo sind diese früheren Bewohner geblieben? Landeten sie im Ghetto und später in den Gasöfen der SS- Schergen?

Die Generation meiner Eltern glaubte, mit dem Ende des Krieges beginnt für sie eine Zeit des Vergessens. Vergessen lässt sich das Leben nicht. Der Mensch kann Teile der Zeit verdrängen. Sie sind aufgehoben im Unterbewusstsein. Dort sitzt dieser Abschnitt ihres Lebens tief verborgen in einem dunklen Raum. Des Nachts kommen die bösen Geister der Erinnerung. Ist es so wirklich? Ich konnte meine Eltern nie danach fragen. So stellen sich jetzt für mich die Fragen. Fragen nach der Vergangenheit meines Vaters. Fragen nach dem Wissen meiner Mutter. Beide Antworten liegen bei den Gebeinen meines Vaters, verscharrt in den Weiten des russischen Landes. Eingesargt in dem bescheidenen Sarg meiner Mutter. Tief in der hessischen Erde eingegraben, für eine kommende Ewigkeit.

Eine Erwähnung muss ich mir hier gestatten. Meinen Enkelkindern ist die Nazizeit mit den folgenden 50 Jahren, so fremd wie das ferne Buschland in Neukaledonien.

Der Film Unsere Mütter, unsere Väter veranlasste mich, diese Zeilen zu schreiben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Helmut Eckert

Rentner; Umweltberater; Fachinspektor für Lebensmittel -und Ernährungshygiene; Gesundheitsaufseher; Ing. für Hygiene a. D.

Helmut Eckert

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