»Jede hat irgendwo einen Zuhälter«

SCHEINEHEN UND PROSTITUTION Zur Reform der »Sittenwidrigkeit« im ausklingenden 20. Jahrhundert

Malgorzata Irek, eine Europa-Ethnologin aus Polen, die in Oxford lehrt, erforschte vier Jahre lang, von der Thyssen-Stiftung finanziert, den Schmugglerzug Warschau-Berlin-Warschau. Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Berliner Verlag »Das Arabische Buch« die Ergebnisse ihrer Feldforschung. Sie legen unter anderem nahe, daß es nicht wenige polnische Geschäftsfrauen gibt, die mit dem Geld, das sie in Berlin verdienen - oft beginnend mit einer Putzstelle - ihre Familie daheim ernähren. Während sie hier - wohl oder übel - mit einem Deutschen zusammenleben, bringen es ihr Mann und ihre Kinder in Polen gelegentlich sogar zu echtem Wohlstand.

Solche doppeleheähnlichen Verhältnisse sind auch etliche Russinnen eingegangen, die in Berlin als Prostituierte »starteten«. Für sie gibt es geradezu die Notwendigkeit, mindestens einen Scheinehemann zu finden, allein schon, um nicht im Falle einer Razzia abgeschoben zu werden. Hüben wie drüben haben sich inzwischen massenhaft Vermittlungs-Firmen gegründet, einige als Au-Pair-Agenturen getarnt. Die deutsche Polizeijournalistik bezeichnet sie gerne als »Schlepper-Mafia«.

Da die Wirtschaftsmisere in den »Transformationsgesellschaften« anhält, reißt auch der Frauenstrom nach Westen nicht ab. Die schlesische Linguistin Alice Frohnert, die in Luxemburg anschaffen geht, gesteht: »Viele Frauen finden die Männer im Westen auch geil und hoffen, daß sich einer ihrer Kunden in sie verliebt. Das hängt nicht zuletzt mit den Kitsch-Filmen wie etwa Pretty Woman zusammen, bei mir war es Belle de Jour

In der Öffentlichkeit wird immer wieder ein Zeugenbleiberecht gefordert, damit illegal eingereiste Frauen vor Gericht mindestens gegen die Mitglieder von Schlepperbanden-Organisation aussagen können, die ihnen gegen Bezahlung halfen, hierher zu kommen. Für Ljuba, eine 29jährige Ukrainerin, die in einer Schöneberger Bar arbeitet, stellt sich dieses »Problem« so dar: »Wir haben hier fast alle mit der Mafia einen Vertrag. Und wenn wir auch manchmal mit den Zahlungen in Rückstand geraten, so versuchen wir doch, den einigermaßen sauber zu erfüllen. Es bleibt uns auch gar nichts anderes übrig. Aber damit hat es sich dann. Das gilt auch für die andere Seite, die zum Beispiel darauf achtet, daß der Scheinehemann - meiner lebt in Eberswalde -, nicht vorfristig abspringt. Leider kommt es immer öfter zu Verfolgungen ausländischer Frauen durch die Polizei und Justiz - bis hin zu den deutschen Botschaften, die zum Beispiel in Kiew Frauen zwischen 17 und 30 keine Touristenvisa ausstellen, weil sie davon ausgehen, daß die Frauen nur darauf aus sind, sich in Deutschland jemanden zum Heiraten zu suchen und für immer hierzubleiben. Wenn die Polizei zusammen mit dem LKA eine Gruppe Mädchen aus einem Bordell in die Mangel nimmt, nachdem sie sie festgenommen haben, dann ist das Problem das schwächste Glied. Es nützt nichts, wenn fünf den Mund halten, aber eine redet. Dann nimmt die Polizei einige Männer hoch - und alle sechs sind anschließend die Dummen, das heißt, wir Mädchen müssen anschließend die restlichen frei herumlaufenden Mafiosi fürchten. Das ist eine regelrechte Terrorspirale. Die Russen müssen immer brutaler werden, damit die Mädchen - derart eingeschüchtert - auch wirklich das Maul halten, und die deutsche Polizei, die Erfolge im Kampf gegen das organisierte Verbrechen vorweisen will, wird auch immer brutaler, um das Schweigen der Mädchen zu brechen«.

Vicky, eine ehemalige Kollegin von Ljuba, die jetzt in einem Neuköllner Bordell arbeitet, erzählt: »Obwohl ich im Gegensatz zu Ljuba und den anderen Frauen keine Akademikerin bin, sondern eine Verkäuferin war, habe ich es ganz alleine hierher geschafft. Mit großem Glück bei der Visa-Vergabe. Aber ich habe es auch nicht leicht. Ich habe eine Tochter - in Kiew. Sie lebt bei meiner Freundin, und ich muß ihr regelmäßig Geld und Spielzeug und vor allem Anziehsachen schenken. Dafür gebe ich im Monat manchmal mehr aus als Ljuba für ihre ›Vermittlung‹ abzahlen muß: Meine Mafia ist mein Kind!«

Ein wegen Beihilfe zum Frauenhandel zu drei Jahren verurteilter polnischer Chauffeur meint: »Das ist doch ein Witz, daß die Frauen zur Prostitution gezwungen wurden. Wenn ich mich in einer polnischen Kleinstadt hinstellen und laut rufen würde: Ich fahre nach Deutschland in ein Bordell, wer kommt mit? Dann würde die Hälfte aller Frauen sofort einsteigen. Schuld daran sind nicht die Frauen oder die Schlepper, sondern die Politik, die nichts gegen die Arbeitslosigkeit hier tut. Es gibt einfach keine Arbeit mehr!«

Hierzulande bereitet die evangelische Familienministerin der rot-grünen Koalition, Frau Bergmann, gerade eine Gesetzesinitiative vor, die zwar nicht den Status der illegalen und scheinverheirateten Prostituierten in Deutschland ändern, aber immerhin die »Sittenwidrigkeit« ihres Gewerbes abschaffen will - um die »soziale und rechtliche Situation« der Frauen zu verbessern. Während die bundesdeutschen Hurenorganisationen den Vorstoß von Frau Bergmann als einen Schritt in die richtige Richtung ansehen, beklagt die CSU das »marode Werteverständnis« der ostdeutschen Ministerin. Im Endeffekt geht es darum, daß die Prostituierten mit den Bordellbesitzern (Zuhältern) ähnliche Arbeitsverträge abschließen können, wie sie zum Beispiel bei den Job-Vermittlungsagenturen (Sklavenhändlern) schon lange gang und gäbe sind. Besser wäre es jedoch, man würde das Gunstgewerbe wie den Journalismus zur Kunstausübung erklären und den Frauen damit den Zugang zur Künstlersozialversicherung erleichtern, in der die Beiträge zu einem Drittel vom Staat, zu einem weiteren Drittel von den Versicherten und zum letzten von den Zuhältern aufgebracht werden.

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