Locken, abschreiben, klagen

In Ostdeutschland grosse Räder drehen Wenn sich Windenergie in windige Spekulation verwandelt

Ein Focus-Mitarbeiter belauschte angeblich am 4. März 2004 einen Spiegel-Journalisten und dessen Anwalt im "Big Moe´s", einer Kneipe in Berlin-Mitte. Das ist kein unübliches Verfahren, um an heiße "Hauptstadtthemen" heranzukommen. In diesem Fall wurde daraus ein am 5. Februar 2005 veröffentlichter Artikel über "die Herren Haudrauf Schreibdarüber", wie sie im Focus-Text genannt werden. Der Anwalt konterte sofort mit langen Schriftsätzen, der Journalist winkte jedoch ab: "Ich habe keine Lust mehr zu klagen."

Beide besitzen jeweils ein Landhaus in Ackermannshof, einem Dorf nordöstlich von Berlin. Dort begann vor zwei Jahren die Donaueschinger "EnerSys-Gesellschaft für regenerative Energien" - laut Eigenwerbung "the global leader in stored energy solutions" - mit der Planung mehrerer Windkraftanlagen (WKA). Die beiden "alten Kämpen von der Öko-Front", wie Focus sie fälschlicherweise nennt, um ihnen einen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis zu unterstellen, befürchteten die Zerstörung ihrer ländlichen Idylle, damit einhergehend einen Preisverfall ihrer Immobilien und gingen in die Offensive - mit einem Brief an die gerade neu eingerichtete Antikorruptionsabteilung des Landeskriminalamts, die nach interessanten neuen Aufgaben suchte und sofort die Ermittlungen aufnahm.

Die beiden Absender verdächtigten die Firma EnerSys, den Bürgermeister ihrer Gemeinde bestochen zu haben, damit er dem Windpark zustimmte. Im Gegenzug wandte sich der EnerSys-Geschäftsführer erbost an die Spiegel-Chefredaktion, um sich über den Journalisten zu beschweren, denn der hatte gedroht, er werde "sämtliche rechtlichen, propagandistischen und politischen Möglichkeiten ausschöpfen, um diese Planung zu Fall zu bringen. An dem nötigen know how, wie man erfolgreich politische Kampagnen führt, wird es uns dabei nicht fehlen".

Mittlerweile hat sich diese Sprachgewalt als leere Drohung erwiesen. Die Windkraftanlagen wurden errichtet und in Betrieb genommen. Dem Interessengeflecht, das hinter dem Öko-Strom stand, waren Journalist und Anwalt nicht gewachsen. Ihnen bleibt der schwache Trost, dass ihr Problem kein Einzelfall ist. Denn in Ostdeutschland boomt die Windindustrie, und diejenigen, die hier ein großes Rad drehen, sind längst nicht immer ökologisch inspiriert.

In der Prignitz, nordwestlich von Berlin, gründete sich zunächst der Verein "Energie Dezentral", und in seinem Umfeld entstanden sogar einige Kollektivbetriebe, die österreichische Windtechnik nutzen. Schon bald war die Prignitz führend in der EU - bei regenerativen Energieträgern. Selbst Steffen Gäde, ein arbeitsloser Traktorist mit Abitur, und sein ebenfalls arbeitsloser Schlosser-Kollege schafften es, sich jeweils für 650.000 Euro eine Windkraftanlage hinters Haus zu stellen, die ihnen nun via Handy mitteilt, was sie an Strom produziert und damit verdient haben. Freilich mussten sie wegen des Kredits auf eine winderfahrene Sparkasse in Nordfriesland ausweichen. "Nie hätte ich gedacht, dass die das schaffen, wo selbst ich, der ununterbrochen die Windenergie propagierte, das nie ernsthaft in Angriff genommen habe", meinte anschließend der ehemalige "Energie Dezentral"-Sprecher Gert Grosser.

Steffen Gäde studierte dann "Landeskunde und Umweltschutz" in Rostock, arbeitete bei der Firma Wind-Consult und ist nun selbstständiger Projektmanager, der im Auftrag großer Kunden Windpotenzialstudien und Ertragsprognosen erstellt. Inzwischen hat nämlich das Kapital den Braten gerochen: Nicht mehr die sympathisch-klugen Steffen Gädes der Region, sondern große Abschreibungsgesellschaften aus Bayern und Schwaben bringen jetzt die ostdeutschen Landschaften "in Schwung".

In Süden der Republik sieht man Windräder eher selten, aber von dort stammt das Geld, mit dem windige Investoren den Osten beglücken. Selbst Baden-Württembergs Ministerpräsident Teufel schimpfte: "Hier machen Anleger das große Geld, vom Staat subventioniert, vom normalen Arbeitnehmer mit seinen Steuern bezahlt". Dagegen mag man einwenden, dass es immer noch besser ist, wenn Kapital in regenerative Energieprojekte fließt als in fossile. Aber der Vorsitzende des Verbandes der Windkraftbetreiber, der friesische Landwirt Peter Ahmels, meint: "Man muss immer aufpassen, dass man die WKAs nicht gegen die Betroffenen in der Region durchsetzt".

Genau das ist längst gängige Praxis. WKA-Projektmanager wie Steffen Gäde sondieren das Terrain, anschließend bedrängen süddeutsche Geschäftemacher die jeweiligen Bürgermeister. Ihnen werden soziale Einrichtungen und Dorfplätze versprochen. Sie müssen sich nur - als kleine Gegenleistung - verpflichten, die Genehmigung von Windparks tatkräftig zu unterstützen. Das hat den Vorteil, so hören dann die Lokalpolitiker, dass diese Gebiete nicht von kleinen WKA-Betreibern sozusagen stückweise verschandelt, sondern von ihnen, den flüssigen Fachleuten, quasi flächendeckend entwickelt werden - auf einmal und aus einer Hand.

Wenn dann die geschenkte Kita dasteht, denkt der eine oder andere Bürgermeister zwar an Rückzug aus dem Vertrag - weil seine Mitbürger zu protestieren beginnen. Aber die Abschreibungsfirmen stört das nicht. Sie kennen keine Gnade und drohen mit Schadensersatz in Millionenhöhe. Gegen solche Praktiken haben die hoffnungslos überforderten Bürgermeister kaum eine Chance. Nur ein massiver Bürgerprotest könnte vielleicht noch für sorgen, dass sich künftig Windenergie nicht mehr in windige Spekulation verwandelt.


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