Der europäische Waffen-, Luft- und Raumfahrtkonzern EADS hofft, dass es wieder bergauf geht. Gerade wurde an Singapore Airlines der erste Airbus des Typs A 380 ausgeliefert und kräftig gefeiert. Erst war EADS wegen korrupter französischer Manager in die Schlagzeilen geraten, dann wegen der "Täuschung seiner Aktionäre". Schließlich kam es zu einer schweren "Krise", weil beim A 380 die Auslieferung der ersten Maschinen um fast zwei Jahre verschoben werden musste.
In Deutschland formierte sich zudem Widerstand der mehr als 2.000 Beschäftigten in den drei - gemäß eines EADS-Sanierungsplans - zum Verkauf stehenden Airbus-Werken Nordenham, Varel und Laupheim. Im Juli forderte die IG Metall Kanzlerin Merkel gar auf, "Airbus zur Chefsache zu erklären".
Arbeitsplätze gegen Äpfel
Zu Erinnerung: Für das bisher größte in Serienfertigung produzierte Passagierflugzeug und die Frachtversion des A 380 mussten das Werk in Hamburg-Finkenwerder wie auch die dortige Start- und Landebahn erweitert werden. Dazu wurde das naturgeschützte Süßwasserwatt Mühlenberger Loch teilweise zugeschüttet, außerdem vom Hamburger Senat eine "Lex Airbus" erlassen, um das Obstanbaugebiet Rosengarten im Alten Land enteignen zu können - bis kurz vor die barocke St. Pankratiuskirche von Neuenfelde. Denn die Stadt hatte sich in einem Vertrag mit Airbus verpflichtet, die Voraussetzungen für eine längere Startbahn zu schaffen - koste es, was es wolle.
230 Obstbauern und Sympathisanten organisierten sich daraufhin in einer Klägergemeinschaft. Für ihre Gegner - vom EADS-Konzern über den Hamburger Senat bis zur IG Metall - ging es in diesem Streit schon bald um mehr: Viel Prestige stand für sie alle im Alten Land auf dem Spiel. Angefüttert wurde ihr hoher Ton mit dem Argument von der "wachsenden Stadt" und dem dafür nötigen "Sprung über die Elbe". CDU-Bürgermeister Ole von Beust teilte mit, dies bringe "mehr Qualität", die wiederum in "mehr Quantität" umschlage, und das wiederum bedeute - noch "mehr Hamburger". Das hanseatische Oberverwaltungsgericht verbot ihm dann aber - zunächst jedenfalls - solch dialektischen Unsinn. Die Obstbauern atmeten auf! Ihre Ländereien durften nicht enteignet werden.
Die Freude über das Urteil währte indes nur kurz, denn nun wurde die hanseatische Springer-Presse aktiv, indem sie einen Obstbauern nach dem anderen als reichen, egoistischen Forschrittsfeind vorführte. Zugleich bot die Stadt diesen Feinden immer mehr Geld pro Quadratmeter. Wer es ablehnte, den nahm sich die Presse vor, bis hin zur Ausbreitung von Ehekrisen. Der Airbus-Konzern ging sogar so weit, die Belegschaft zusammen mit der Gewerkschaft zu einer "Protestdemonstration" auf einer Wiese am Obstbaugebiet zu formieren: Arbeitsplätze gegen Äpfel! Dergestalt von allen Seiten angegriffen, verkauften einige Obstbauern dann doch.
Am Nordrand des "Rosengartens" wurden daraufhin eiligst die ersten Häuser platt gemacht. Es waren dafür regelrechte "Knebelverträge" zustande gekommen, in denen bei einem Verkäufer beispielsweise gleich noch das Grundstück der Tochter einbezogen wurde.
Ende 2004 verkaufte ausgerechnet der Obstbauer Cord Quast sein großes Feld im Rosengarten. Die Bild-Zeitung jubelte: Aus Freude trage nun jeder Hamburger ein Cord-Quast-Hütchen. Quast war zuvor einer der engagiertesten Neuenfelder Obstbauern gewesen, der die hansestädtischen Journalisten eigenhändig von seinem Hof gescheucht hatte. Seine plötzliche Wandlung vom Kläger zum Verhandler erklärten sich die Sprecherin der Klägergemeinschaft, der ehemalige Neuenfelder Pastor und der Leiter des Obstbau-Versuchs- und -Beratungszentrum in Jork mit dem großen Druck, dem er ausgesetzt war. Nicht zuletzt auch in seiner Familie, wobei alle versicherten, dass Cord Quast auch nach dem Verkauf seiner Flächen im Rosengarten noch einen existenzfähigen Hof besitze und im Übrigen als Vorsitzender des "Sommerdeichverbandes Rosengarten" weiter eine Rolle im Geschehen spiele.
Etwa 20 Hektar reichen derzeit für eine auskömmliche Hofstelle im Alten Land, Hamburgs Landwirtschaftskammer geht aber bereits von zukünftig 40 Hektar aus. Da es keine Expansion, sondern nur noch eine Schrumpfung der Anbauflächen für Obst an der Elbe geben könne, bedeute dies: Konzentration auf immer weniger Obstbauern im Alten Land.
Im Juli 2006 zogen die Altenländer von Neuenfelde mit 150 Treckern bis vor das Hamburger Rathaus: Sie prophezeiten den Tod ihrer ganzen Region, denn das Alte Land wird von zwei Autobahnen, wuchernden Industrieansiedlungen und der Airbus-Landebahn geradezu eingeschnürt. "Bäume blühen nicht auf Beton" und "Angst hinterm Deich" stand ebenso auf den Plakaten wie "Der Senat zerstört, was uns gehört".
Springer gegen Technikfeinde
Alle Proteste und Klagen waren insofern nicht ganz erfolglos, als die projektierte Start- und Landebahn nur in einer verkürzten Version gebaut wurde: Mitte Juli 2007 konnte der Wirtschaftssenator von Hamburg offiziell die auf insgesamt fast 3,3 Kilometer verlängerte Piste im Stadtteil Finkenwerder an Airbus Deutschland übergeben. Die zusätzlichen 589 Meter Beton kosteten die Stadt 38 Millionen Euro - einige Tage später startete bereits die erste Maschine, um nach Toulouse zu fliegen, wo noch einige Systemtests anstanden, bevor man den A 380 an Singapore Airlines ausliefern konnte.
"Ein weiterer Meilenstein für uns und ein tolles Gefühl", sagte die Airbus-Sprecherin nach dem Start, während einige Dutzend Airbus-Mitarbeiter um sie herum applaudierten. Der Hamburger Staatsrat Gunther Bonz erklärte: "Wir können dem Unternehmen EADS/Airbus nunmehr die notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellen, um im weltweiten Wettbewerb der Standorte die erforderliche Leistungsfähigkeit aufzuweisen." Bislang wurden nach Unternehmensangaben 159 Exemplare des "leisen Riesenvogels" bestellt, der aber wohl doch lauter als geplant starten, fliegen und landen wird.
Die Bürgerinitiative Deutscher Fluglärmdienst hatte jedenfalls nach den ersten Probeflügen Messwerte bis zu 80 Dezibel ermittelt, was vom Konzern selbstredend dementiert wurde. Das Hamburger Oberverwaltungsgericht kam EADS Anfang 2007 bei einer der Klagen der Obstbauern gegen die Landebahnerweiterung entgegen - mit einem kuriosen Urteil: Das Interesse der Allgemeinheit an der Schaffung von Arbeitsplätzen überwiege das Interesse der Obstbauern als Grundstückseigentümer erheblich. Ebenso sei es hinnehmbar, dass bei solch "mittelbar gemeinnützigen Vorhaben" (wie dem Bau von Großraumflugzeugen) die Betroffenen mehr erdulden müssen als "normal". Das gelte auch für den Fluglärm. Deren oberster Grenzwert über Wohngebieten lag bisher bei 55 Decibel, das besagte Gericht setzte ihn auf 61 bis 62 Decibel hoch. Ob dieser "überraschenden juristischen Wende" waren die Anwälte der Kläger erst einmal sprachlos. Der neue, aus dem Richterärmel geschüttelte Begriff "mittelbar gemeinnützig" signalisierte ihnen, dass die Hamburger Pfeffersäcke und ihre Wasserträger alles tun, um die Hansestadt und damit die ganze Nation nach vorn zu bringen - noch größer, noch lauter, noch dreister.
Und auch immer tiefer - in die Elbe hinein nämlich, weil die Schiffe immer größer werden und man den Güterumschlag im Hamburger Hafen in den nächsten zehn Jahren verdoppeln will. Dagegen hängen nun ebenfalls im Alten Land lauter Protestplakate: "Keine Vertiefung der Elbe!" - denn dadurch wird der Deichschutz, der bereits durch die gestreckte Landebahn beeinträchtigt ist, noch prekärer. Springers Hamburger Abendblatt mobilisierte dagegen am 8. August 2007 prompt die Volksmeinung: "Alle Gegner der Startbahnverlängerung dürften auf Grund der mittlerweile wochenlangen intensiven, durchaus differenzierten und kritischen Berichterstattung und der hohen Anzahl der Startbahnbefürworter in der Bevölkerung und nahezu der gesamten Parteienlandschaft bemerkt haben, dass die Zeit reif ist, ihre wohl eher ideologisch bedingte Haltung kontra Airbus aufzugeben. Statt dessen verharren sie im Zustand wiederkehrender Faktenverleugnung und scheinen im Grunde verirrt im fortschritts- und technologiefeindlichen Gedankengut. Hier helfen womöglich keine weiteren Diskussionen."
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