Pilze sind spezielle Leute

Megatrend Sind erst einmal die Sinne geschärft, sieht man es überall und besonders in Berlin: Wissenschaft und Kunst rücken eng zusammen

Nehmen wir den Prinzessinnengarten am Moritzplatz. Die beiden Betreiber des mobilen Gemüsegartens bezeichnen sich nicht mehr als Gärtner oder Manager, sondern als „Kuratoren“; nicht nur hier werden Kunst und Ökologie enggeführt. So gibt es in Kalifornien fast nur noch „Eco-Artists“ und „Bio-Hacker“. Erstere widmen sich künstlerisch der Natur, letztere experimentieren mit dem „Leben“ anderer. Aus Kalifornien kamen Ende der achtziger Jahre auch die ersten Öko-Künstler nach Westberlin; Helen Mayer und Newton Harrison nahmen sich nichts weniger vor als die „Revitalisierung der Spree“. Sie blieben nicht die einzigen ihrer Art, wenig später zog auch die norwegische Mathematikerin Sissel Tolaas nach Westberlin, wo sie mit Geruchskunst begann. Irgendwann kam sie jedoch künstlerisch nicht mehr weiter und beschäftigte sich fortan wissenschaftlich mit Gerüchen. Heute ist Sissel Tolaas Professorin für unsichtbare Kommunikation und Rhetorik in Harvard. Derzeit arbeitet sie im Auftrag einer Geschichts-Ausstellung in Berlin am „Geruch des Zweiten Weltkriegs“ (den man ja wegen der immer strenger werdenden Umwelt-Gesetze und -Verordnungen nicht einmal mehr punktuell riechen kann).

Die Ansätze dieser Öko-Kunst lassen sich verschieden begreifen. Wenn sie nicht einfach Forschungsergebnisse visuell umsetzt, kann es sich um einen Rückgriff auf eine Ganzheitlichkeit im Geiste Goethes handeln, eine Tendenz, die sich im Mitbedenken der Umwelt eines Kunstwerks bereits andeutete; angesichts des visual turns kann es aber auch darum gehen, neue Sinne für die Kunst zu mobilisieren. Im Gegensatz zur eher stillen Geruchskünstlerin predigte der dänische Künstler Olafur Eliasson in Berlin geradezu die Notwendigkeit von Öko-Kunst.

Das wahre Zeitalter der Kunst

Hohe Aufmerksamkeit erfuhr das Thema natürlich durch die diesjährige Documenta. Unter Christov-Bakargiev wurde dort die halbe Kunst aus ihrer anthropozentrischen Verankerung gelöst und ökologisch dezentriert. Für die semi-amerikanische Postfeministin gibt es „keinen grundlegenden Unterschied zwischen Menschen und Hunden“. „Documenta-Chefin will Wahlrecht für Erdbeeren“ (ORF), „Documenta ist auf den Hund gekommen“ (Dorstener Zeitung), höhnte das Feuilleton. Obwohl derartige Ansätze also offenkundig noch Akzeptanzprobleme haben, werden sie zunehmend von Wissenssoziologen und Kulturwissenschaftlern flankiert, die sich primär die Metaphern der modernen Biologie vornehmen, gleichzeitig aber auch die Pflanzen, Pilze und Tiere selbst thematisieren – wobei sie diese aufgrund ihrer literarischen Neigungen dann oft wieder metaphorisieren.

Umgekehrt holen sich die Naturwissenschaften neuerdings gerne Künstler ins Haus. Aber auch die Zoologischen und Botanischen Gärten sowie die Naturkundemuseen setzen im Kampf um Aufmerksamkeit auf „Topevents“ mit Künstlern. Spannend kann es trotzdem sein. Seit Jahren organisiert der Schauspieler Hanns Zischler schöne Veranstaltung im Berliner Naturkundemuseum und bringt uns zum Beispiel die kleine Tiefseekrake Vampyroteuthis infernalis nah.

Thomas Macho, Professor an der Humboldt-Universität und Autor vieler Texte über Tiere sowie Kurator einer Ausstellung über Schweine, erweiterte seine animal studies mit einer Beteiligung an der neuen interdisziplinären Zeitschrift Tierstudien, deren erste Ausgabe sich mit „Animalität und Ästhetik“ befasst. Darin wird die Arbeit mit Tieren als „künstlerische Agenten“ im Theater, in der Architektur und in der bildenden Kunst thematisiert. „Es ist eine der angenehmsten Eigenschaften aller im Tierstudienheft versammelten Arbeiten, dass sie zuerst nach dem fragen, was man über das Tier weiß“, schrieb der Biologe Cord Riechelmann in seiner Rezension.

Inzwischen gibt es bereits Bienenkünstler und Hummelkünstler. Für so etwas ist auch die Kreuzberger Neue Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK) immer mal wieder gut. Eingedenk der optimistischen These des Philosophen Vilem Flusser – „Das wahre Zeitalter der Kunst beginnt mit der Gentechnik; erst mit ihr sind selbstreproduktive Werke möglich“ – beschäftigte sich eine NGBK-Künstlergruppe halbwegs kritisch mit Gen-Kunst, eine andere eher konstruktiv mit dem französischen Diktum „Tier-Werden, Mensch-Werden“.

Die Bewegung der Gentech-Heimwerker steht in Deutschland allerdings noch auf unsicheren Beinen, aber sie scharrt bereits mit den Hufen. Kürzlich wurde in Berlin die erste Bio-Hackerin – im Think-Tank „Stadtbad Wedding“ – aufgestöbert: Lisa Thalheim. Die Informatikkünstlerin beschäftigt sich laut Süddeutsche Zeitung mit dem Auslesen von DNS-Profilen. „Natürlich würde auch Genmanipulation sie reizen, aber da steht, solange ihr Labor keine Lizenz hat, das Gentechnikgesetz vor.“ Während jedoch hierzulande ein „Gen-ethisches Netzwerk“ gegründet wurde (vom ex-Tazler Benny Härlin), das gegen solch eine Lebenskunst mobilisiert, wird in den US-Universitäten auf Sommercamps seit Jahren gentechnisch experimentiert. Nicht selten wird dabei die Öko-Kunst wissenschaftlich auf den vielversprechendsten Punkt gebracht: 2011 gehörte zu den prämierten „SyntheticBiology“-Projekten laut Pressbericht „der Abbau von Pestiziden in der Zelle, die Herstellung von Biotreibstoffen, Zellen, die sich selbst umbringen, aber auch zellinterne informationsverarbeitende Netzwerke“.

Zu sehr gemenschelt

Anfang August lud die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften in Potsdam zu einer öffentlichen Disputation über Kunst und Wissenschaft ein. Diskutiert wurde am Beispiel des Schleimpilzes Neurospora crassa, der sich währenddessen dort in einem gläsernen Pavillon in etwa 30 Petrischalen munter vermehrte und von weißen Pünktchen langsam über gelb-orange in schwarze Bänder überging. Dieser eukariotische Einzeller ist weder Pflanze noch Tier und hat eine kosmopolitische Verbreitung. Er wird weltweit als Modellorganismus beforscht und ist hierzulande als Brotschimmel bekannt. Er hat zwei unterschiedliche Generationszyklen, sprich, er kann sich sowohl durch Sporen über die Luft als auch durch geschlechtliche Kreuzung vermehren.

1958 erhielten zwei Genetiker für ihre Forschung mit ihm, die in der Formel „Ein-Gen-ein-Enzym“ gipfelte, den Nobelpreis. „The Revolutionary Neurospora crassa“ ist aber nicht nur ein „Almighty Fungi“, sondern auch ein Zwangscharakter, da er exakt alle 24 Stunden eine neue Generation von (schwarzen) Sporen produziert. Auf eine Verschiebung der Zeitzone reagiert er gleich uns mit einem Jetlag, wie norwegische Chronobiologen herausfanden.

Die Berlin-Brandenburgische Akademie, die bereits mit der Akademie der Künste kooperiert, hatte zwar für ihre Potsdamer „ArtFakt“-Diskussion, die in einem „Syntopischen Salon“ stattfand, mit Michaela Rotsch eine Künstlerin eingeladen, die sich in Form von Installationen mit dem Schleimpilz beschäftigt; dazu war auch noch ein bayerischer Systembiologe angereist. Ihr Gespräch drehte sich dann aber weniger um Neurospora crassa: Nicht darum, was man zu welchem Behufe alles mit ihm anstellt und was er selbst möglicherweise davon hält, sondern eher um zentrale Fragen von Wissenschaft und Kunst: Identität, Komplementarität, Kombinatorik, Umriss, Zwischenraum ... Als das Publikum beim Begriff der Identität zu sehr ins Menscheln kam, intervenierte eine Physikerin mit dem „Satz der Identität in der Logik“ – A gleich A: „Da rauszukommen,“ das sei doch „die wirkliche Aufgabe der Kunst.“ Eine Literaturwissenschaftlerin warf lächelnd leise ein: „Ja, diese Begriffe.“ Ihr Mann, ein Kunsthistoriker, der das letzte Wort hatte, behauptete laut: „Pilze sind immer schon sehr nachdenkliche Leute.“

Leute – dieser Begriff schien sich auf das kleine Volk des Taigajägers Dersu Uzala (aus dem Film von Akira Kurosawa) und auf das Volk der Pirahã in Amazonien (erforscht von Dan Everett) zu beziehen: Beide Völker benutzen das Wort für Tiere, Pilze und Pflanzen in ihrer Umgebung, um anzudeuten, dass sie die Trennung zwischen Subjekt und Objekt, Natur und Kultur nicht mitmachen wollen und Abstraktionen abhold sind. Als Schlusswort im Syntopischen Salon war es leider nur utopisch.

Am 24. August wird die dänische Künstlerin Åsa Sonjasdotter im Synoptischen Salon über ihre „Potato Perspectives“ referieren.

Helmut Höge , geboren 1947, ist Publizist. Spatzen Gänse Pferde heißt sein letztes Buch, das mit Hunde Elefanten Schwäne Krebse fortgesetzt wird

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