All die feinen Unterschiede

Medientagebuch Die Sendung "Karambolage" zeigt, wie häufig Kulturklischees zutreffen und dennoch überraschen

Haben Sie schon jemals über einen Tropfenfänger nachgedacht? Jener kleine Schaumstoffring, der Kaffee- und Teekannen vom Nachtropfen abhalten und so das Tischtuch schonen soll. Erstaunlich, wie viele unterschiedliche Ausführungen es noch heute in deutschen Kaufhäusern gibt. Franzosen, denen dieses Kleinod deutscher Biederkeit unbekannt ist, dürften darüber leicht entsetzt schmunzeln. Dass man in französischen Kneipen hingegen einfach auf den Boden ascht, wo schon Sägespäne und Erdnussschalen liegen, erscheint uns wiederum gewöhnungsbedürftig. Eine Freundin zärtlich "canard", Ente zu nennen - naja, das wäre nicht geschickt. Und unbedingt einmal nachzuprüfen wäre, ob Vögel in Frankreich wirklich ein "cui-cui" von sich geben statt "piep".

Seit Anfang letzten Jahres macht eine Sendung auf Arte mit den Sitten und Verhältnissen im jeweiligen Nachbarland vertraut - jenen kleinen Merkwürdigkeiten, die dadurch, dass sie mit fremden Augen angeblickt werden, auf einmal seltsam erscheinen. Gegenstände, Begebenheiten, Wörter und Rituale werden bei Karambolage aufgespießt, unter die Lupe genommen und mit manchmal launischen Kommentaren versehen. Trotz des etwas wuchtig klingenden Namens Karambolage lässt die Sendung keinerlei Geschmackskulturen aufeinanderprallen, sondern inszeniert die feinen Unterschiede. Der Zuschauer kommt mit einem Stups davon, wird allenfalls sanft auf seine eigene Ignoranz gestoßen, auf seine Unbildung.

Das fängt schon bei den Wörtern an, die in einer eigenen Rubrik gewürdigt werden. So existiert etwa "Schadenfreude" in der französischen Sprache nicht als fester Begriff. Dabei dürfte das Gefühl, über kleinere Missgeschicke von Anderen insgeheim zu lachen, kein genuin teutonisches sein. Vielleicht sollten unsere Nachbarn das Wort einfach übernehmen, so wie die deutsche Sprache viele Begriffe aus dem Französischen übernommen hat, nicht zuletzt die "carambolage". Doch Obacht vor "falschen Freunden", ähnlich klingenden Wörtern mit ganz anderer Bedeutung: In Frankreich wäre es reichlich unangemessen, "salope" im deutschen Sinne zu benutzen, da es dort eine "Schlampe" bezeichnet und keineswegs eine sportliche Erscheinung.

Eine weitere Rubrik befasst sich mit Gegenständen und dem, was sie über eine Nation verraten. Hüben wie drüben gibt es zum Beispiel Zigarettenpapier der Marke OCB. In Frankreich fällt es etwas dünner aus als in Deutschland und bringt die Selbstgedrehten häufiger zum Erlöschen. Eigentlich unpraktisch und warum das so ist, weiß niemand. Eine Restanzeige, das grüne Blättchen, das sich anzünden lässt und leicht davonschwebt, ist im Nachbarland unbekannt. Deutsche erleben eben nicht gerne Überraschungen. Davon zeugen auch die umhäkelten Klopapierrollen auf den Hutablagen hiesiger Automobile, die zwar einen Sinn fürs Praktische erkennen lassen, doch eben wenig Eleganz. Nicht bloß in den Augen von Franzosen.

Standesdenken und Etikette spielen in Frankreich eine offenbar viel größere Rolle. Das zeigt sich beispielhaft anhand von Büros und ihrem Repräsentationsanspruch. Während die Räumlichkeiten des deutschen Finanzministers Hans Eichel einer kahlen Mönchzelle gleichen und vor Funktionalität nur so starren - allenfalls eine Sparschweinchen-Sammlung deutet möglicherweise auf Ironie hin -, residiert der französische Kulturminister Jean-Jacques Aillagon in einem barocken Gemach, vollgestellt mit verspieltem Designermobiliar. Darin einen silbrigen Gymnastikball vorzufinden, wie er hinter der Eingangstür zum Büro von Justizministerin Brigitte Zypries auf die tägliche Rückenschule wartet, wäre wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Auf die Insignien der Macht zu verzichten und das eigene Prestige zu kaschieren, ist indes eine nicht zu verkennende Gemeinsamkeit beider Nationen und ihrer Ministerbüros.

In den als fremd wahrgenommenen Unterschieden drückt sich bisweilen auch eine Unsicherheit aus. Wie oft haben sich nun Freunde bei der Begrüßung auf die Wange zu küssen, fragt eine Zuschauerin anlässlich der 50. Sendung, die am 1. Mai ausgestrahlt wird. Das wussten schon Adenauer und de Gaulle nicht so genau, als sie 1963 den Elysée-Vertrag unterzeichneten. Der deutsche Bundeskanzler musste erst von seinem Protokollchef in die offenen Arme de Gaulles hineingeschoben werden, da seinem stocksteifen Charakter derartige Intimität befremdlich vorkam. Schröder hingegen versank regelrecht in den Armen Jacques Chiracs und ließ nicht mehr von ihm los, als er im letzten Juni als erster deutscher Repräsentant zu den Feierlichkeiten in die Normandie eingeladen worden war.

Im Tonfall humorvoll und verspielt kommt die Sendung visuell eher minimalistisch daher. Das von Claire Doutriaux konzipierte und betreute Magazin operiert vornehmlich mit Videografiken und am Computer entstandenen Animationen, die stets eine sehr innovative Handschrift tragen. Augenscheinlich kommt der Sendung die große Comic-Tradition Frankreichs entgegen, wo Zeichner schon an den Kunsthochschulen zu sehr individuellen stilistischen Ausdrucksformen finden. Jeder Karambolage-Beitrag ist anders gestaltet und einige sind so überreich an Bildeinfällen, dass die Gelegenheit, sie sich im Internet, wo alle Sendungen zur Verfügung stehen, noch einmal anzuschauen, nur zu begrüßen ist.

Am Ende jeder Sendung steht ein Rätsel. Die Aufgabe besteht darin, in einer Fotografie ein Indiz zu entdecken, das darüber Aufschluss gibt, ob das Bild in Frankreich oder Deutschland aufgenommen wurde. So wie dieses Rätsel die gesamte Sendung und ihre Intention auf den Punkt bringt, bildet Karambolage eine Miniatur des Senders Arte: Karambolage zeigt das Kleine als Symbol des Großen, die Alltäglichkeit als Gestus des Allgemeinen und die Differenz als Ausdruck des Speziellen. Das ist nicht immer schmeichelhaft für beide Nationen, und hoch anzurechnen ist der Pariser Redaktion, dass sie dem Zuckerguss der üblichen Frankophilie ein bisweilen sarkastisches Bild entgegensetzt.

Karambolage, immer sonntags 20 Uhr auf Arte


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