Deus ex Machinima

Kreative Ballerspiele "Machinima" macht aus blutrünstigen Ego-Shootern Animationsfilme zum allgemeinen Vergnügen der Netzgemeinde

Zwei verfeindete Soldatencamps liegen im Dauerclinch. Mit Ferngläsern beobachten sich die Schützen gegenseitig und analysieren wortreich die Lage, die im Großen und Ganzen aus lethargischem Nichtstun besteht. Aussichtslos scheint die Situation keineswegs. Das Gelände ist weitläufig und übersichtlich, und dennoch können die Krieger sich nicht orientieren und schießen ständig daneben. In Red vs. Blue, einer inzwischen auf 57 Folgen angewachsenen Serie von Machinima-Filmen, steht die Kriegswelt Kopf: als Parodie auf die sogenannten Ego-Shooter-Computerspiele erzählen die Kurzfilme vom grotesken Soldatenleben.

Auf der Basis des Computerspiels Halo hat eine texanische Gruppe von Spielern, beziehungsweise Gamern, wie sich die Computerspielfans nennen, die Animationsfilme realisiert. Machinima sei Dank. Seitdem es 1996 dem Leipziger Programmierer Uwe Girlich gelungen ist, Demo-Dateien des Computerspiels Quake, mit denen Gamer ihre besten Spielverläufe abspeichern, zu cracken, war eine neue Form der Amateur-Filmproduktion geboren. Girlich wandelte die Dateien in Textcode um und konnte nun die Bewegungen der Spielfiguren beliebig verändern. Daraus ist eine weltweite Szene von Do-it-yourself-Regisseuren geworden, die nicht viel mehr benötigen als eine gute Idee, ein bisschen Geduld und einen gebräuchlichen PC.

Formiert hat sich die Machinima-Szene, als im Jahr 2000 der Schotte Hugh Hancock das Filmportal Machinima.com eröffnete. Dort lagern viele der inzwischen weit über tausend, meist sehr skurrilen Trickfilme. Hancock gilt als Galionsfigur der Szene, nicht zuletzt, weil er den Geist von Machinima eloquent zu beschwören versteht, wie er zuletzt auf einer Berliner Tagung über das Zusammenspiel von Film und Computer unter Beweis stellte. "Make ›The Matrix‹ at home", lautet sein Credo.

Als Grundlage von Machinima-Streifen dienen Computerspiele, vor allem "Ballerspiele" wie Half Life, Doom, Quake und Unreal Tournament. Deren game engine, mit denen die grafische Innenwelten und die Figuren im Spiel gesteuert werden, benutzen Filmamateure für eigene Geschichten. Da Ego-Shooter mit mehreren Kameras operieren und sowohl eine Ich-Perspektive als auch eine unabhängige Sicht erlauben, bieten sie sich besonders gut für die Filmproduktion am heimischen Herd an. So erstaunt es wenig, dass der Science-Fiction-Klassiker Matrix, den es auch als Spieleversion gibt, für unzählige Remakes und Parodien herhalten musste.

Wie weit sich Machinima bereits in der Popkultur etablieren konnte, zeigt das Musikvideo zum Song In the Waiting Line der britischen Band Zero 7. Komplett mit Machinima-Software hergestellt, rotierte der Clip 2003 auf MTV. Zu sehen ist, wie ein Roboter häusliche Arbeiten zum melancholischen Songtext verrichtet, bis er einen Nervenzusammenbruch erleidet.

Ohnehin scheinen die Stärken von Machinima-Filmen im Musikvideobereich und im "visuellen Storytelling", im assoziativen Gestalten von atmosphärischen Szenen zu liegen. Der Stuttgarter Multimediakünstler Friedrich Kirschner, zugleich Herausgeber des Weblogs Machinimag.com, fordert die "Abstraktion vom Fotorealismus als kreative Chance" zu begreifen. Seinen coolen, urbanen Clip Person 2184, in dem ein Mann zu loungiger Musik durch verlassene Straßenschluchten wandelt, ist mit Hilfe selbst entwickelter Tools auf der Basis des Spiels Unreal Tournament entstanden. Anschaulich weist der Film die geforderte Abstraktion auf: Das zu Grunde liegende Computerspiel ist nicht mehr zu erkennen. Künstlerisch verfremdet, löst sich die 3D-Kulisse in eine grafisch anmutende, schwarz-weiße Schattenwelt auf.

Die Computerspieleindustrie hat das Potenzial des "Puppenspiels für das 21. Jahrhundert", wie Hugh Hancock die Machinima-Technik nennt, längst erkannt und drückt gewöhnlich beide Augen zu. Oder sie liefert die Programmtools, mit denen sich Games verändern lassen, gleich mit. In der Urheberrechtserklärung vieler amerikanischer Spiele ist häufig ein fair use-Passus zu finden, der Modifikationen ausdrücklich erlaubt - solange die Marke nicht beschädigt und kein Geld damit verdient wird.


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