Die Amateure sind los

Zauberwort Podcasting Droht die Medienwelt durch "User Generated Content" in einen Scherbenhaufen zu zerfallen?

Ein Phantom geht um: die Rede vom baldigen Ende der klassischen Medien, die mit der fortschreitenden Digitalisierung und mit neuartigen Nutzungsformen obsolet werden könnten. Hält man sich die aufgeregte Stimmung bei einer Veranstaltung wie dem Medienforum NRW vor Augen, möchte man die anwesenden Radio- und Fernsehmenschen nur bedauern. Zum einen weil sie auf den entfachten Hype um Mobile TV, Podcasting, Video-Blogging und Internet-Fernsehen (IPTV) hereinfallen, ohne ihm irgendetwas entgegenzusetzen. Zum anderen weil ihnen nichts Besseres einfällt, als, von schöngefärbten Zahlenspielen geblendet, auf den rollenden Zug zu springen, als wäre Anno 2001 das Zerplatzen der "Dotcom-Blase" nicht laut und deutlich zu vernehmen gewesen.

Momentan lautet das Schlagwort, das alle im Munde führen, "Web 2.0" - die partizipatorische Variante des Internet wie wir es kennen. Jeder soll fortan Bloggen, Networken und Podcasten, was das Zeug hält. Fernsehglotzen ist out, aktive Teilnahme beim Medienkonsum ist gefragt. Tagebücher werden im Web geführt, Geschäftskontakte gesammelt und gepflegt, Wissens- und Mitteilungswertes aus der eigenen Privatsphäre als handliche Audio- oder Videodatei der geneigten Weltöffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Letzteres nennt sich Podcasting, ein Mischwort aus dem MP3-Abspielgerät "iPod" und "Broadcasting" (Rundfunk), und basiert auf einer Software, die es ermöglicht, im Netz hinterlegte Audio- und Videodateien automatisch auf den heimischen Computer zu laden und von dort auf einen MP3-Player. Die Vorteile liegen auf der Hand: Niemand ist mehr an das Zeitdiktat der Sender und die verstaubte Enge des eigenen Wohnzimmers gebunden.

Beispiel Radio: Seit letzten Herbst gehört Podcasting bei allen Radiostationen, die etwas auf sich halten, zum Pflichtprogramm. Im Äther verrauschte Sendungen, die das Zeitliche bereits gesegnet hatten, feiern fröhliche Wiederauferstehung mittels im Internet bereitliegender Podcasts. Selbst die Kulturwellen haben sich diesem Trend nicht verschlossen. Im Gegenteil: Ihre oft sehr aufwendig produzierten Features, Hörspiele und Diskussionssendungen eignen sich ideal zur digitalen Zweitverwertung. Verpasste Programme gehören damit der Vergangenheit an - alles ist auf alle Zeit vorhanden.

Beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) wurde Podcasting beispielsweise im Oktober 2005 eingeführt. Renommierte Sendungen der Kulturwelle WDR3, wie Zeitzeichen und Themen des Tages, liegen seitdem digital im Internet bereit. Interessant daran erscheint eine Erweiterung des klassischen Kulturbegriffs: Findet im Jugendprogramm EinsLive ein Gespräch mit einem Künstler oder Schauspieler statt, gibt es keinen Grund, dies den Hörern von WDR3 vorzuenthalten. Umgekehrt gelangen die Studiogäste von WDR3 in die Podcasts der anderen Wellen. Von solcher Querprogrammierung verspricht man sich nicht zuletzt eine jüngere Zielgruppe, denn das Durchschnittsalter der Stammhörer liegt bei 62 Jahren.

Da es nun kein Naturgesetz gibt, das den Wellen - trotz demografisch günstiger Prognosen - die Hörer automatisch in die Arme treiben würde, sobald diese das Rentenalter erreichen, halten Radiomanager bereits Ausschau nach Nachwuchs. Ob sich der via Podcasting einstellt, bleibt allerdings ungewiss. Denn der Medienbruch zwischen Internet und Radio ist eklatant. So sehr bestimmte Nutzergruppen es wertschätzen mögen, ihre Lieblingsprogramme als Podcast für die Fahrt zur Arbeit serviert zu bekommen, weil sie tagsüber keine Zeit hätten sie live zu verfolgen, gibt es wohl dennoch keine Gewähr, dass aus ihnen jemals treue Radiohörer werden. Könnte dies mittelfristig das "Ende des Radios wie wir es kennen" bedeuten, wie es schon 2004 der MTV-Moderator und frühe Podcaster Adam Curry prophezeit hatte? Die völlige Fragmentarisierung des Programms?

Beispiel Fernsehen: Nach dem Streit um technologische Standards, Abrechnungsmodelle, Verschlüsselungsszenarien und den offenen Zugang zum Mobilfernsehen, das anlässlich der Fußball-WM an den Start geht, droht weiteres Ungemach durch neuartige Medienformate wie Video-Podcasts (Vodcast), Video-Blogs und mobile Dienste, die von der Partizipation der Nutzer leben. "User Generated Content", von Nutzern hergestellter Inhalt, lautet hier das Schlagwort oder auch "Citizen Media". Nachdem sich im Internet bereits Plattformen wie Xolo.tv gegründet haben, wo nichts anderes läuft als selbst produzierte Vodcasts, kokettieren nun auch etablierte Fernsehstationen mit der Einbeziehung ihrer Zuschauer.

Vom vorvergangene Woche durch Bayern tapsenden Braunbären hat es lediglich ein von einem Privatmann geschossenes Handy-Foto gegeben, dessen sich viele Sender bedienten. Der amerikanische Sender CNN will nun sein gesamtes News-Angebot um die Dimension mobiler Nachrichenformate erweitern. Auf der Jagd nach absolut aktuellen Bildern zählt deren Qualität offenbar immer weniger. Korrespondenten, aber auch Privatleute, nunmehr "Citizen Journalist" genannt, können auf einem eigens eingerichteten Portal ihre Fotos, Videos und Töne hochladen, die der Sender gegebenenfalls in sein Programm übernimmt.

Bislang waren die Fernsehsender lediglich in Ausnahmefällen bereit, unprofessionelle Videos zu verwenden. Die hohe Authentizität von Augenzeugenmaterial indessen, wie sie sich etwa bei den Angriffen auf das World Trade Center in New York gezeigt hatte, dürfte künftig noch schwerer ins Gewicht fallen. Deutsche Sender tun sich noch etwas schwer damit. Während die BBC jüngst eine "Creative Future"-Strategie verkündet hat, die intensives Verwenden von Amateurmaterial, aber auch die offene Weitergabe der hauseigenen Produktionen an Jedermann vorsieht, plagt man sich hierzulande mit urheberrechtlichen Bedenken und ethischen Dünkel. Woher weiß man, dass der Bär in Bayern geknipst wurde und nicht in Kanada? Reichen die journalistischen Kontrollstandards für diese Art von "Content" aus?

Schon kann sich Jörg Sadrozinski, Redaktionsleiter bei tagesschau.de, den Zerfall der eigenen Sendung vorstellen, welche längst auch als Video-Podcast verfügbar ist: "Wenn wir über Zeiträume von zehn bis fünfzehn Jahren reden, wird es das Lagerfeuer um 20 Uhr vielleicht nicht mehr geben". Weil alle Menschen nur noch zeitunabhängig fernsehen oder gar am Ende die Nachrichten selbst produzieren?

Ganz offensichtlich herrscht hier ein Missverständnis vor. Bloß weil sich die 13-19-Jährigen gelangweilt vom Fernsehen abwenden und sich lieber mit Computerspielen vergnügen, muss nicht die gesamte eingespielte Mediennutzung über Bord geworfen werden. Freilich kann sich niemand einer Ökonomie der Aufmerksamkeit entziehen, die sich künftig auf immer mehr Medien verteilen wird. Der Anteil am Kuchen wird dementsprechend kleiner. Nun in Hysterie auszubrechen und sich vom Motto "Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?" leiten zu lassen, von dem - wie so viele Veranstaltungen auf diesem Terrain - auch das Medienforum NRW gekennzeichnet war, wäre ganz falsch.


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