Durch die fußgängerfreundliche Innenstadt von Linz schleichen Straßenbahnen mit einem Anführungszeichen vorne und hinten am Zug. Die Schriftzeichen sind das offizielle Logo der diesjährigen Kulturhauptstadt Europas. Genau genommen handelt es sich um einfache Anführungszeichen, deren andere Hälfte aus einem Bildmotiv besteht - einem Spiegelei oder Kaffeegedeck, typografisch zurechtgebogen. Wahlweise ließe sich darin eine große Affinität zur direkten Rede erkennen oder eine ironische Haltung. Hier hat jemand viel zu sagen oder will nicht ganz ernst genommen werden - und setzt sich selbst in Anführungszeichen
Beides trifft zu. Linz platzt derzeit vor Konferenzen, Kunst und Spektakeln aus allen Nähten. Der barocke innerstädtische Hauptplatz gleicht einer Zeltstadt, wo ein digitales Basiscamp errichtet worden ist, mit Datenverbindungen in die ganze Welt. In Anlehnung an Jules Vernes’ berühmten Reiseroman können die Linzer Bürger 80 + 1 Tag lang via Glasfaser, Satellit, Telekommunikation und Internet Welterforschung betreiben – freilich ohne sich selbst zu bewegen. Per Videokonferenz kann man Taxis in Jerusalem bestellen, globale Daten zu Themen wie Verkehr, Migration und Kulturgeschichte abrufen oder ein Wasserprojekt in Mali unterstützen. Vernes’ Vermutung, dass die Welt geschrumpft sei, gehört heute zu den geläufigen Gewissheiten. Diesen Umstand greift auch die Ars Electronica auf, eines der ältesten und bedeutendsten Medienkunstfestivals, das sich dieses Jahr das Motto „Human Nature“ auf die Flagge geschrieben hat.
„Digitale Technologien sind zur zweiten Natur des Menschen geworden“, sagt Festivalleiter Gerfried Stocker. Er bezieht sich dabei auf die so genannten Life Sciences, die mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms die Machtverhältnisse zwischen Mensch und Natur scheinbar umgekehrt haben. „Noch weit davon entfernt, die Dinge zu verstehen, die damit ins Rollen geraten, gehen wir daran, ganze Genome zu verändern, neue Organismen zu konstruieren, Leben zu klonen und zu erfinden“, heißt es dazu im Festivalkatalog.
Die Ars Electronica präsentiert dazu eine Reihe von „Bio-Künstlern“, die an der Schwelle von Wissenschaft und Kunst zumeist mit kritischem Impetus operieren. Der brasilianische Künstler Eduardo Kac, einer der diesjährigen Preisträger der Goldenen Nica, hat für sein Kunstprojekt Natural History of Enigma seiner eigenen DNA ein bestimmtes Gen entnommen und in die DNA einer Petunie gepflanzt. Die nennt er nun „Edunia“. Der Hybridorganismus weist rosafarbene Blütenblätter auf mit kräftig rot scheinenden Äderchen – wie Blutadern. Diese Analogie würde Kac indes als kulturelle Metapher zurückweisen. Dass sein Experiment gelungen sei, hob er in einem Vortrag hervor, sei allein dem Umstand zu verdanken, dass es sich physikalischer Naturgesetze bedient.
In der zentralen Ausstellung sind weitere biotechnologische Fabelwesen zu sehen, wie die Unkown Creatures des australischen Künstlers Shen Shaomin. Die hybriden Tierskelette erinnern an übergroße Tausendfüssler oder vorsintflutliche Hummer. Ihre Präsentation als Fossile aus einer naturhistorischen Sammlung scheint die eigene Prähistorie vorwegnehmen zu wollen. Der Kanadier Adam Brandejs präsentiert sorgsam in Plastik verschweißte „Genpets“, biotechnologisch produzierte Massenprodukte, die Actionfiguren aus dem Spielzeugmarkt ähneln. An einem „Frischestrip“ lässt sich die Lebensdauer des Kinderspielszeugs ablesen, das in den Charakteren friedlich, heiter, dynamisch und „grün“, also biologisch abbaubar, zu haben ist.
Einen ähnlich ironischen Ton schlägt Daan van den Berg aus Holland an, der mit Merrick einen Hackercode geschaffen hat, mit dem er in den Computerserver von IKEA eingedrungen ist und eine Lampenserie des schwedischen Möbelhauses manipuliert hat. Jede Plastikleuchte weist nun einen individuellen Lampenschirm mit krebsgeschwürhaften Deformationen auf. Auch die menschlichen Körper in Michael Burtons Arbeiten Future Farm und Nanotopia sind manipuliert worden. Gesichter tragen zwanzig Zentimeter lange Wimpern und Fußsohlen sind mit einem griffigen Noppenprofil versehen. Heute mögen Menschen in unterentwickelten Ländern noch ihre eigenen Organe verkaufen. Zukünftig stellen sie ihren Körper zur Stammzellenzucht bereit.
Einen anderen Weg geht Hiroshi Ishiguro. Der japanische Informatiker von der Universität Osaka hat einen Geminoiden geschaffen, ein Ebenbild seiner selbst als Roboter. Das Modell HI-1 hat eine verblüffende äußerliche Ähnlichkeit mit seinem Schöpfer. Zwar wirken seine Bewegungen noch etwas langsam und ungelenk, doch das Ziel der perfekten Selbstkopie scheint technologisch nicht mehr allzu fern. Ishiguro und sein Team haben bei diesem humanoiden Roboter auf künstliche Intelligenz verzichtet. Per Kamera, Mikrofon und Lautsprecher kann der Automat jedoch aus der Ferne gesteuert werden.
Was Ishiguro interessiert hat, ist eine größtmögliche Ähnlichkeit zum menschlichen Verhalten zu erzielen. Aus der Distanz beobachtet er deshalb die Reaktionen der Ausstellungsbesucher im Ars Electronica Center auf seinen Homunkulus. Mit dem Begriff des „Uncanny Valley“ ist in der Robotik jener Schreckensmoment gemeint, wenn es Menschen aufgrund zu großer Ähnlichkeit vor Robotern schaudert. Dieses Tal muss erst durchschritten werden, bevor wir die künstlichen Wesen wieder akzeptieren. Herausgefunden haben Ishiguro und sein Team, dass dazu willkürliche Bewegungen notwendig sind. So absolut still wie eine Maschine können wir nicht sitzen, irgendwelche Muskeln sind ständig in Bewegung.
Vielleicht werden eines Tages solche Beeinträchtigungen überwunden und eine „Robotic Society“, wie Ishiguro sagt, etabliert sein. Die menschliche Angst vor Automaten bezeichnete Friedrich Kittler in seinem Gastvortrag, der einen weiten Bogen vom hinkenden Hephaistos bis zu Claude Shannon spannte, als „Schatten des Negativs der Macht“. Dass Maschinen Bewusstsein erlangen steht für ihn außer Frage: „Wir Menschen sind in diesem Prozess nur Geburtshelfer, damit die Natur wissend wird.“
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