Europa schaut in die Röhre

Medientagebuch Der Prix Europa will den Kontinent medial sich selbst näher bringen, ist aber weitgehend unbekannt

Europa ist nicht gerade das, was man ein heißes Medienthema nennt. Kaum eine Zeitung hält eine regelmäßige Berichterstattung über die EU für nötig, ganz zu schweigen von eigenen Europa-Seiten. Im Fernsehen lassen sich die Sendungen, die europäische Themen behandeln, an einer Hand abzählen. In der Hauptsache laufen sie bei länderübergreifenden Rundfunkanstalten, wie Arte und Euronews. Es kann daher nicht erstaunen, dass der Prix Europa, ein vom Europarat und der Europäischen Kommission sowie mehreren Medienförderungen und Rundfunksendern unterstützter Preis für die jährlich besten Fernseh-, Radio- und Internet-Produktionen, in den Medien kaum präsent ist und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird.

Seit 1987 existiert der Medienpreis, der sich anfangs Prix Futura nannte und dessen Verleihung alljährlich im Berliner Haus des Rundfunks stattfindet. "Gerade in den Medien kennt sich Europa untereinander nicht", sagt die Verantwortliche Susanne Hoffmann. Nur in Ausnahmefällen passieren nationale Fernseh- oder Radioproduktionen die Landesgrenzen. Hermetisch riegelt sich eine Medienkultur von der des Nachbarlandes ab. Thomas Gottschalk kennt in Finnland niemand und umgekehrt können wir hier zu Lande über die etwas schwermütigen finnischen Soap Operas nicht lachen.

Die Überwindung von Kultur- und Sprachbarrieren hat sich der Prix Europa auf die Fahnen geschrieben, will fremde Blicke auf vertraute Themen werfen, das Gemeinsame im europäischen Nebeneinander entdecken. Der Medienpreis möchte einen Beitrag leisten für die Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit und der europäischen Integration qua Medien auf die Beine helfen. Alljährlich reichen Rundfunkstationen aus ganz Europa, nicht nur aus der EU, ihre besten Jahresproduktionen ein, um sie von einer Fachjury begutachten zu lassen. In der Branche genießt der Preis ein hohes Ansehen. Die prämierten Werke zeugen von handwerklicher wie inhaltlicher Qualität, ihren Machern verspricht er zu Hause Renommee. Auf diese Weise wird eine Art Qualitätssicherung betrieben und Mut gemacht, anspruchsvolle Standards im eigenen Sender zu setzen. Eine "Rückbesinnung auf Qualität" hat Susanne Hoffmann im Laufe der Jahre beobachten können. Fernsehfilme und lange Dokumentationen sind wieder en vogue.

Gemessen an seinen eigenen Ansprüchen ist bereits die Zusammenkunft von Medienschaffenden aus ganz Europa ein Ereignis. Eine Woche lang herrscht im Berliner Haus des Rundfunks eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Jurymitglieder aus allen europäischen Ländern kämpfen sich durch endlose Stunden Fernsehfilme, TV-Dokumentationen, Radiofeatures, Funkdramen und Internet-Präsentationen. Manchmal sitzen fünfzig Personen schweigend vor riesigen Lautsprechern und folgen dem auf englisch übersetzten Manuskript einer ukrainischen Radio-Dokumentation. Dem schließen sich viele weitere Hörbeiträge an, bevor am späten Nachmittag die versammelte Runde zur Diskussion zusammenkommt und die einzelnen Einreichungen einer genauen Analyse und Bewertung unterzieht. Für die angereisten Macher ist das häufig das einzige professionelle Feedback, das ihre Arbeit erhält, aus unterschiedlichen Blickwinkeln dazu.

740 Produktionen wurden in diesem Jahr eingereicht, daraus 246 Arbeiten vorausgewählt. Bei der Preisvergabe am vergangenen Sonnabend, bei der insgesamt 13 Auszeichnungen verliehen wurden, erhielt in der Kategorie TV-Fiction der schwedische Mehrteiler The Soloist den Hauptpreis, eine Geschichte über das autistische Verhalten eines jungen Mädchens und die gesellschaftlichen Definitionen von Normalität. In der Kategorie "Non-Fiction" wurde Sight (without seeing) prämiert, eine französische Dokumentation über den Alltag von Blinden. In der Sektion "Current Affairs", also unter den aktuellen Stoffen, siegte The Origin of AIDS aus Frankreich. Als bestes Radiofeature wurde Work of the Devil aus Norwegen und als bestes Hörspiel The Wire aus Großbritannien ausgezeichnet. Den Preis für die beste Website bekam die niederländische Musikplattform 3 voor 12.

Ob die Öffentlichkeit allerdings die prämierten Arbeiten zu Gesicht bekommen wird, hängt vom guten Willen der Sendeanstalten ab und von den Lizenzkosten. Die Hauptpreisträger aus dem Fernsehbereich verkaufen sich in der Regel gut. Manchmal sogar im Vorfeld, wie beim letztjährigen Sieger, Das Stockholm Syndrom, den das ZDF bereits im April 2003 ausgestrahlt hatte. Das beim Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) ansässige Organisationsbüro des Prix Europa stellt jeweils ein Jahrbuch zusammen, das an alle teilnehmenden Sendeanstalten verschickt wird. Im Radiobereich, ohnehin nur wenig von der Medienberichterstattung berücksichtigt, sieht das anders aus. Hier würden schon die Synchronisationskosten eines fremdsprachigen Features an die Produktionskosten heranreichen. Dem Internet mit seiner weltweiten Zugriffsmöglichkeit geht es da besser, da viele Websites mehrsprachig sind.

Wunderlich erscheinen indessen die Aufnahmekriterien bei den Fernsehpreisen: Da konkurriert doch tatsächlich eine 10.000 Euro teure Produktionen aus Bosnien mit der zweiteilige französische Mammutproduktion Princess Marie, für die sechs Millionen Euro zur Verfügung standen.


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