Fernsehen in die Zukunft

Medientagebuch Elke Heidenreich ist vom Fernsehen ins Internet gezogen und kommt mit "Weiterlesen!" zu sich selbst

Wenn Elke Heidenreich im Stehen moderieren würde, wäre die Ähnlichkeit mit einer Verkaufsshow noch größer. Die spartanische Kulisse ihrer Sendung besteht aus zwei Stühlen, einem Warentisch, der Moderatorin samt einem Gast und zwei gefüllten Gläsern mit Kölsch. Zwei Kameras fangen das Geschehen ein, das im Wesentlichen aus einem Verkaufsmonolog besteht, vorgetragen mit gewisser Verve und in marktschreierischer Manier. Doch hier geht es ja um Bücher, die von der langgedienten Moderatorin mit unerschrockenem Urteil angepriesen werden. Die Sendung ist nicht mehr im Fernsehen zu Hause, sondern ins Internet gezogen. Dort gilt die Trennung zwischen Programm und Werbung, die im Fernsehen bisweilen nur schlecht kaschiert wird, ohnehin als aufgehoben.

Weiterlesen! ist die Fortführung der Büchersendung Lesen! mit anderen Mitteln. Nach einem Eklat bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises hatte sich Heidenreich bemüßigt gefühlt, für Marcel Reich-Ranicki in die Bresche zu springen und sich dabei verhoben. Ihrem Verdikt, man schäme sich bei einem öffentlich-rechtlichen Sender wie dem ZDF zu arbeiten, folgte der Rauswurf. Und dem Tod der ZDF-Büchersendung ihre Wiederauferstehung im Internet auf der Homepage des Kölner Literaturfestivals. Offenbar hat Heidenreich die Rechte für das Programmformat inne. Denn es haben sich Aussehen und Ablauf der Sendung kaum geändert. Keck werden sogar die Sendefolgen durchgezählt: Vergangenen Sonntag lief die 40. Folge mit Studiogast Stefan Aust.

Seit November schon ist Elke Heidenreich mit Weiterlesen! online, will statt sechs Terminen im Jahr nunmehr monatlich auf dem Computermonitor erscheinen. Und zwar "nicht mehr zu einem ungünstigen Sendeplatz mitten in der Nacht wie beim ZDF, sondern wann immer Sie wollen", verkündete sie in der Premierensendung (Folge 38). "Lauter gute Neuigkeiten" verspricht sie spitzzüngig: "Vor mir kein Gejodel, nach mir keine Kochshow, weit und breit kein Kerner." Und tatsächlich gestaltet sich die Situation im Internet etwas einsamer, als es der Quotenstar gewohnt ist.

Statt eines Millionenpublikums, das die Sendung Lesen! trotz des späten Sendeplatzes beim ZDF angezogen hat, muss sich Heidenreich im Netz nun mit ein paar Zehntausend Zuschauern begnügen. Die erste Sendung brachte dem Portalbetreiber eigenen Angaben zu Folge zwar 1,5 Millionen Klicks ein, aber nur 158.000 Zuschauer riefen das Video auf. Von diesen weiß man wiederum nicht, ob sie die halbstündige Sendung bis zum Ende angeschaut oder den Videostream mittendrin abgebrochen haben. Bei Folge zwei schauten noch 63.000 User zu. Verglichen mit dem Fernsehen ein tragischer Verlust, auch ein Machtverlust für Heidenreich am Buchmarkt. Fürs junge Internet-TV allerdings eine beachtliche Größe. "Manche werden uns nicht mehr finden", sagt sie, "dafür kommen andere hinzu."

Voraussehbarerweise bleibt dieses Verhältnis aber disproportional, und darin liegt eine Crux. Die älteren Zuschauer beim ZDF können kaum im selben Maße durch jüngere Internet-Nutzer ausgetauscht werden. Dafür ist das Format der Sendung zu altbacken, behäbig und auch viel zu lang. Vielleicht zielt sogar der heidenreichsche Imperativ am jungen Internetpublikum vorbei: Dem durchschnittlichen Nutzer wird nachgesagt, nur noch wenig zu lesen, geschweige denn Bücher.

Gleichwohl bietet Weiterlesen! einen interessanten Blick in die Zukunft des Fernsehens, das sich mehr und mehr mit dem Internet verschränken wird. Der Vorteil liegt auf der Hand: zeitliche Unabhängigkeit. Die einzelnen Folgen sind im Archiv dauerhaft abrufbar und können bei Bedarf angeschaut werden. Des Weiteren benötigt der Zuschauer weder Zettel noch Stift. Die besprochenen Bücher sind auf der Webseite aufgelistet und können direkt bei Libri.de bestellt werden. Hier lässt jedoch die Programmierung zu wünschen übrig. Man sollte weiterklicken können, ohne den Videostream zu unterbrechen. Wer mehr über ein Buch wissen möchte, muss zurzeit in einem zweiten Fenster agieren.

Dass das Videofenster so klein geworden ist, stört eigentlich kaum. Talking heads muss man nicht fortwährend zuschauen, es reicht, sie zu hören, ab und an mal reinzuschauen. Für Fernsehtraditionalisten steht eine hochauflösende Version (HD) bereit. Ist das die Seherfahrung der Zukunft? Zumindest für Informationsformate und Nachrichten reicht der Computermonitor - eine schnelle Anbindung ans Internet vorausgesetzt - vollkommen aus. Hier werden keine kleinteiligen Details gezeigt und folglich keine Bildschirmquadratmeter benötigt. Es ist durchaus vorstellbar, dass der große Schirm einmal hochauflösenden Prestigeprodukten - aufwändigen Shows, ambitionierten Serien und teuren Fernsehfilmen - vorbehalten bleibt. Der Rest wandert ins Internet.

http://litcolony.de/littv

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