In aller Öffentlichkeit privat

Technikfixiert und realitätssüchtig Das Medienkunstfestival Transmediale beschäftigte sich mit der Technikdominanz in unserer Gesellschaft und den Strategien sie zu unterlaufen

Dieses Jahr beginnt es mit einem lautstarken Mikrofonsturz auf der Bühne. Elektrische Spannung knistert bedrohlich. Wie von Geisterhand tasten Suchscheinwerfer den Bühnen- und Zuschauerraum ab, verharren an einigen Stellen, um dann weiterzusuchen nach etwas Unbestimmtem. Ein allseitig beweglicher Licht-Roboter tritt auf den Plan und kommuniziert mit Filmprojektor und Nebelmaschine. Augenscheinlich kommt das Bühnengeschehen ganz ohne menschliche Akteure aus, und man muss sich schon zwicken und vergewissern, ob man im Klappsessel nicht eingenickt ist. Denn gewöhnlich ereignen sich solche "Toy Storys" nur im Schlaf oder in Abwesenheit von Publikum.

Das geheime Eigenleben der technischen Dinge, wie es die Performance von Mikko Hyninnen zeigt, die sich allein der vorgefundenen Infrastruktur am Festivalort, der Berliner Akademie der Künste, bedient, ist ein kongenialer Auftakt für die diesjährige Transmediale. Deren Thema lautet Reality Addicts (was sowohl "Realität macht süchtig" als auch "Realitätssüchtige" meint) und handelt von der Technikdominanz in unserer Gesellschaft und von den künstlerischen Strategien, "die das technologische Wirklichkeitsparadigma unterlaufen" (Programmheft). Technologie ist grundlegend für unsere Gesellschaft, und nach den Jahren einer gewissen Affirmation, wo die Medienkunst sich gerne am technologisch Machbaren delektierte, ist nun offenbar die Zeit der Selbstironie angebrochen. Die Begleitausstellung Smile Machines (Lächelmaschinen) widmet sich explizit dem Zusammenspiel von Technologie, Kunst und Humor, vom Fluxus bis in die Gegenwart.

Der Ausstellungstitel bezieht sich auf ein Werk von George Maciunas aus dem Jahre 1971: eine Mundspange mit Spiralfeder. Wem sie verpasst wird, ist zu ewigem Dauerlächeln verdammt. Solchen gesellschaftlichen Lachzwang greift auch Cheese, eine zeitgenössische Arbeit von Christian Möller, auf. Sechs Schauspielerinnen wurden beauftragt, vor einer Videokamera so lange wie möglich zu lachen. Wann immer sie zu Entspannungsübungen ansetzten, wies sie ein "Emotionserkennungssystem" an, doch bitte ihren Job ernster zu nehmen. Auf Monitoren kann man ihnen bei ihrer mühevollen Arbeit zusehen. Ein Lichtbalken zeigt die jeweilige "Echtheit" der Emotionen an. Die Videos dauern zwischen fünfzig und achtzig Minuten und vermitteln einen guten Eindruck über den großen Druck zum Dauerlächeln, der auf Personen des öffentlichen und medialen Lebens lastet.

Low-Tec lautet die Devise der Smile Machines. Keine aufwendigen Medienkunstinstallationen sind errichtet werden, sondern Arbeiten, die sich auf manchmal radikale, manchmal subtile Weise mit Humor beschäftigten oder humorvoll an Medienkunst herantreten. Wie zum Beispiel Petit Mal von Simon Penny, ein auf zwei Rädern angebrachter interaktiver Roboter, der keine nutzvollen Dinge verrichtet, sondern lediglich in einer kleinen Arena herumkurvt und auf hinzutretende Besucher reagiert. Offenbar leidet Petit Mal jedoch an Sehschwäche, denn er hantiert übervorsichtig. Bevor er sich zu nah an einen Mitspieler heranwagt, sucht er lieber das Weite. Für die französische Kuratorin, Anne-Marie Duguet, ist das Thema Humor ein idealer Zugang, um zeitgenössische Fragen an Gesellschaft und Kunst zu stellen. "In allen Arbeiten findet man eine Distanz", so Duguet, "die Werke sind nicht nur sarkastisch, humorvoll oder witzig, sondern sie stellen auch Fragen nach dem Umgang mit Technologie an die Gesellschaft."

Der Transmediale vorausgegangen war ein erneuter Standortwechsel. Nach dem Podewil und dem Haus der Kulturen der Welt zog das Festival jetzt in die alten Räumlichkeiten der Akademie der Künste am Hanseatenweg. Die altehrwürdige Institution hat sich ja einen gläsernen Prachtbau am Pariser Platz geleistet, ist jedoch zurzeit derart in Interna verstrickt ist, dass sie Gefahr läuft, im kulturellen Leben der Hauptstadt keine Rolle mehr zu spielen. Ein von der Bundeskulturstiftung als "Leuchtturm" gefördertes Projekt wie die Transmediale wird den grauen Eminenzen von der Akademie genügend Strahlkraft verheißen haben, um den alten Standort am Hansaplatz wieder in Erinnerung zu rufen und ins Licht einer nicht nur medialen Öffentlichkeit zu rücken.

Eine weitere Neuerung betrifft den Untertitel der Veranstaltung, die nicht mehr international media art festival genannt werden möchte, sondern festival for art and digital culture. Reklamiert werden damit eine Abkehr von reiner Medienkunst und die Öffnung hin zum Spannungsfeld von Kunst, Technologie und digitalem Lifestyle. Das auf den ersten Blick wie ein Verlegenheitsthema wirkende Motto Reality Addicts, das unter anderem Titel auch die vorherigen Festivals beherrschte, könnte indessen als Subvertierung derjenigen Marketing-Strategien verstanden werden, die ebenfalls einen digitalen Lifestyle ausrufen, ihn jedoch allein durch Konsum begründen. Die Transmediale will hier freilich andere Wege gehen und präsentiert eine vornehmlich politisch auftretende Medienkunst, die sich mit Industriediskursen auseinandersetzt, um sie zu durchkreuzen - ohne freilich darauf zu verzichten, dem kritisch gesinnten Zeitgenossen ihrerseits genügend identifikatorische Angebote zu machen.

Das Video Fünf bis zehn Millionen von Stefan Panhans macht dies deutlich: Ein pelzbemützter junger Mann deklamiert mit wahnwitzigem Tempo seine gesammelten Einsichten beim Kauf eines technologischen Produkts. Die Warenwelt ist ja so verwirrend: Zuerst müssen Produktinformationen eingeholt, Testberichte gelesen und umfängliche Vergleiche angestellt werden. Dann geht´s in die Kaufhäuser, wo man sich mit ahnungslosem Personal herumschlägt, um die Geräte mal in der Hand zu halten. Ständig beschleicht einen das Gefühl, im entscheidenden Moment etwas zu vergessen und über den Tisch gezogen zu werden. "Irgendwie muss man brutal aufpassen und sich völlig konzentrieren, sonst wird man verarscht. Scheiße!" Letztlich, resümiert er atemlos seine eigene Überdeterminiertheit, entscheide das Bauchgefühl. Wer kennt dieses paranoide Einkaufsdilemma nicht?

Um eine Positionsbestimmung, was das Verhältnis von Medientechnologie, Konsum und Realität anbelangt, waren verschiedene Podiumskonferenzen auf der Transmediale bemüht. Medien spielen eine immer größere Rolle im Alltag und beim Erfahren von Wirklichkeit. Unsere medial durchtränkte Umwelt ist derart komplex, dass Realität und Medialität ein unentwirrbares Bündnis eingehen. Ob Medien dabei unseren Alltag kolonisieren, war beispielsweise Leitfrage einer Studie des britischen Medienwissenschaftlers Michael Bull, der mehr als tausend Leute im Durchschnittsalter von 35 Jahren über ihren Gebrauch des iPods interviewte.

Die "erste urbane Ikone des 21. Jahrhunderts", wie Bull das kleine Kult- und Statusobjekt bezeichnete, hat dazu geführt, dass bedeutend mehr Musik gehört wird als je zuvor. iPods werden benutzt, um sich selbst zu fokussieren und um die eigene Beziehung zu anderen zu definieren. An der Kontrolle über die Umwelt, der bewussten sozialen Isolierung und der Personalisierung von Musik war den Teilnehmern besonders gelegen. Sie knipsen den iPod an, um sich in einer eigenen, von Sounds getragenen Welt zu bewegen, in der Musik nicht mehr anmoderiert, zerhackstückt und von Werbung unterbrochen wird wie im Formatradio. Bull erkennt hierin das Bedürfnis nach "öffentlicher Privatheit" und nach Kontrolle über den "mediatisierten Raum".

Die Leute wollen sich nicht mehr einfach nur etwas vorsetzen lassen, sondern Medien aktiv und kreativ den eigenen Bedürfnissen anpassen - so der Tenor der Transmediale insgesamt. Reality Addicts gestalten ihre Wirklichkeit durch gezielte Mediennutzung selbst. Nicht immer entspricht dies den Vorstellungen der Industrie. Die spanische Burn Station, eine mobile Kopierstation für freie Musik- und Audiodaten, rollt im Tourbus durch Europa und bringt "Netzkultur auf die Straße". 100 Prozent lizenzfrei und mit dem "Copyleft"-Label versehen, will die rollende MP3-Disko das Distributionsmonopol von iTunes und Co unterwandern. Vielleicht ein belächelnswerter Versuch - doch es soll Leute geben, die gar keine Lizenzmusik mehr hören.

Smile Machines, 3.2.-19.3.2006, Akademie der Künste, Hanseatenweg.


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