Auf der letzten Electronic Entertainment Expo (E3), einer jährlich im Mai in Los Angeles stattfindenden Fachmesse der Unterhaltungsindustrie, mehrten sich die Hinweise: Die Filmindustrie hegt ein reges Interesse an der Games-Branche, das weniger ästhetisch als kommerziell motiviert ist. Kurz darauf verleibte sich der Viacom-Konzern, im Besitz von MTV Networks und Paramount Studios, die Chicagoer Spielefirma Midway ein und liebäugelte mit Electronic Arts, dem auf 20 Milliarden Dollar geschätzten Branchenriesen. Kommen jetzt die "freundlichen Übernahmen" im Unterhaltungsbereich?
Während die Spielebranche trotz Medienkrise und Konsumflaute boomt, befindet sich die Filmindustrie im steten Abwärtstrend. Der Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland (VUD) taxiert den Gesamtumsatz des deutschen Spielemarkts im Jahr 2003 auf 1,13 Milliarden Euro. Dagegen kann die deutsche Filmindustrie im gleichen Zeitraum laut Statistik der Filmförderungsanstalt (FFA) lediglich auf 850 Millionen Euro an der Kinokasse verweisen - übrigens 110 Millionen Euro weniger als im Jahr zuvor. In Großbritannien ist der Unterschied noch größer: Auf dem weltweit drittgrößten Spielemarkt nach den USA und Japan beträgt der Umsatz im Bereich Games das Eineinhalbfache des Kino-Boxoffice, nämlich 1,8 Milliarden Dollar. Lediglich in den USA rangierte 2003 die Filmindustrie mit 9,5 Milliarden Dollar Umsatz deutlich vor der Spielebranche, 7,1 Milliarden Dollar.
"Die Wertschöpfungsketten haben sich heute erweitert", kommentierte Klaus Goldhammer, Marktforscher bei dem Institut Goldmedia, die obigen Zahlen auf der Filmkonferenz Babelsberg 2004. Längst erscheint zu jedem großen Hollywood-Film ein Computer- und Konsolenspiel, sei es Matrix oder Herr der Ringe. Fast jedes Filmgenre hat inzwischen sein Pendant im Spielebereich gefunden, wo es ebenfalls Action, Science-Fiction und Fantasy gibt, aber auch Strategiespiele und die berüchtigten Shooter. Umgekehrt sind mit Lara Croft, Resident Evil und Final Fantasy erfolgreiche Spiele zu Filmen geworden. Deshalb bilden neben DVDs, CDs, Büchern, Comics und Sammelkarten heutzutage eben auch Games einen festen Bestandteil in der Kalkulation Hollywoods. Wenn der Erfolg an der Kinokasse rückläufig ist, bekümmert dies also allenfalls die Kinobetreiber. Die großen Filmstudios machen den Verlust längst mit Merchandising und sonstiger Verwertung wett.
Aus der kommerziellen Perspektive darüber nachzudenken, ob die beiden Medien sich nicht enger miteinander verzahnen lassen, ist nahe liegend. Zugleich den Film und das Computerspiel herzustellen und zu vertreiben, müsste doch, um in der Sprache der Ökonomen zu reden, eine äußerst vielversprechende Win-Win-Situation ergeben. Schließlich sind die Produktionsverfahren beim digitalen Animationsfilm sowie bei den special effects den Herstellungsprozessen von Computerspielen ziemlich ähnlich. Von vielen Fachleuten wird ein mögliches Zusammenwachsen beider Medien aufgrund der unterschiedlichen Rezeptionsweisen stark bezweifelt. "Konvergenz ist ein Mythos", erklärte Klaus Goldhammer, "man sollte besser von Divergenz reden, weil die Endprodukte jeweils neu an die Content-Basis angeglichen werden müssen." Damit ist die verschiedenartige Ausführung einer Ursprungsidee im jeweiligen Medium gemeint.
Während ein guter Film von seiner Erzählung lebt, davon, wie Spannung aufgebaut und Emotionalität erzeugt wird, basieren Spiele auf Interaktion und dem tatsächlichen Eingriff des Spielers in die Fiktion. Zwei völlig verschiedene Rezeptionsformen treffen aufeinander: Kontemplation versus Aktion. Allenfalls Action-Stoffen wie Matrix ist es bislang gelungen, in beiden Medien zu reüssieren, da hier die Zielgruppen übereinstimmten. Viele Spielenutzer empfinden indes die auditiven Erzählstränge in Spielen wie etwa Herr der Ringe als störend, weil sie den Spielfluss unterbrechen. Umgekehrt fällt es Drehbuchautoren schwer, die eher plakativen Erzähltableaus eines Games in eine gelungene Filmhandlung zu übersetzen. Besonders die Hauptfiguren funktionieren anders: Während sich der Filmzuschauer mit ihnen identifizieren will, müssen sie in Computerspielen "eine gewisse Leerstelle bilden", wie Andreas Lange vom Computerspielmuseum in Berlin sich ausdrückt.
Kooperation wäre trotzdem denkbar: Die Filmindustrie ist etwa bei der Stoffentwicklung besser organisiert, während die Games-Branche auf Kapazitäten im Bereich digitaler Animation verweisen kann. Doch es gibt kaum Leute mit genügend Erfahrung in beiden Bereichen, von denen der Wissenstransfer ausgehen könnte. Ist die Verschmelzung von Film und Computerspielen dann eine Schimäre, eine Wunschvorstellung der Filmindustrie, die ihre Felle davonschwimmen sieht? Fast scheint es so. Denn im Grunde geht es der Filmbranche um die jüngsten Konsumenten, deren Rezeptionsgewohnheiten durch Computerspiele anders konditioniert werden, als Hollywood sich dies wünschen könnte. Passives Zuschauen erscheint ihnen angesichts der vielfältigen Aufgaben, die ein Computerspiel bietet, als zu langweilig. Zudem ist der Film für die Zehn- bis Zwanzigjährigen nicht mehr das Referenzmedium, über das auf dem Schulhof gesprochen wird. Diese Rolle haben Computerspiele übernommen, mit entsprechenden Auswirkungen für den Kinobesuch.
In den Deutschland verbindet beide Branchen - wenig überraschend - der eher mäßige Erfolg der Binnenproduktionen. Gerade einmal acht Prozent macht der Anteil deutscher Spiele am Branchenjahresumsatz aus. Beim Film sieht es aufgrund der traditionellen Dominanz Hollywoods nicht viel anders aus. Malte Behrmann, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Bundesverbands GAME, hat inzwischen eine Initiative gestartet, die eine Förderung von Spielen innerhalb der bestehenden Filmfördersysteme installieren möchte. Das Vorbild ist Frankreich, wo acht Millionen Euro an Fördergeldern zur Verfügung stehen. Zumindest die Kosten eines Spieleprototyps, die bei 200.000 Euro liegen, sollten auf diese Weise übernommen werden, da von denen Wohl und Wehe der meist kleinen Spielefirmen abhängt. In Zeiten, da sich Filmförderungen ohnehin nicht mehr als kulturelle Unterstützung verstehen, sondern als wirtschaftliche Alimentierung dem regionalen Standort verpflichtet sind, könnte man darüber vermutlich nachdenken.
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