Mit Tempo in die Nivea-Politik

Tagung "Politik als Marke" Spitzenpolitiker werden von Spin-Doctors wie ein Produkt aufgebaut und auf dem Markt lanciert

In Mode gekommen ist es, anthropologische und soziale Erscheinungen mit Metaphern aus Wirtschaft und Technologie zu belegen. So soll das Gehirn einem Computer gleichen, der seine Umwelt fortwährend berechnet. Einen Staat erklärt man zur Aktiengesellschaft und seine Institutionen werden marktwirtschaftlich "verschlankt". Warum also nicht die prominenten Akteure mit einem Label aus der Werbetheorie belegen und sie als Marken fassen? "Politik als Marke" lautete der folgerechte Titel einer Berliner Tagung, organisiert von Studenten der Politikwissenschaft an der Freien Universität.

Die hatten bereits zur letzten Bundestagswahl mit dem "Wahlomat" im Internet auf sich aufmerksam gemacht und die Gunst von Talkshow-Queen Sandra Maischberger gewonnen. Deren wohl klingendem Namen und beträchtlichem Einfluss ist es zu verdanken, dass Rädels- und Meinungsführer aus Politik, Medien und Beratung sich ein Stelldichein gaben.

Ist Sandra Maischberger eigentlich bereits eine Marke - ein Produkt, das gleich bleibende Assoziationen in den Köpfen anderer hervorruft? Sie selbst, sagte sie, kann sich beim besten Willen nicht als solche betrachten. Das ist verständlich. Dennoch verbindet sich mit ihr und ihren Talk-Sendungen ein Image, ein festes Vorstellungsbild ihrer Art zu moderieren und mit den Gästen umzugehen. Maischberger wird als kompetent und sympathisch wahrgenommen. Politiker und Promis lassen sich nicht erst lange in die Sendung bitten. "Der Drang zur politischen Selbstdarstellung", glaubt Maischberger, "ist gewachsen".

Doch ist es nicht eher umgekehrt, ein Zwang? Zumindest für Günter Bentele, Professor für Public Relations in Leipzig, ist unsere Gesellschaft und somit auch das politische System zunehmend vom Prozess einer durchgreifenden Medialisierung gekennzeichnet: "Die politische Kommunikation richtet sich immer mehr nach den Regeln des Mediensystems aus."

Man möchte fast aufatmen. Dann sonnt sich die Politkaste gar nicht freiwillig jeden Sonntag im Studioscheinwerferlicht bei Sabine Christiansen? Die müssen dorthin, um von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden! Und taxiert! Wie macht sich unsere Angela Merkel im direkten Vergleich mit Hillary Clinton? Warum trägt Michel Friedman seine Haare jetzt so tuffig? Und steckt hinter dem "Kanzlerdarsteller", wie Gerhard Schröder oft bezeichnet wurde, nicht doch auch nur ein Mensch?

So mögen die Fragen lauten, die das Publikum vor die Bildschirme treibt. Der Slogan des Boulevards, "Bild dir deine Meinung", gilt nämlich auch hier. Eine ganze Riege von Politikberatern trägt dafür Sorge, dass ihre Klientel ansprechend und telegen rüberkommt. Sie schmieden am Image, überwachen Erscheinung und Ausdruck und feilen an den Inhalten und an der Art ihrer Vermittlung. Sind es also die Berater, die für die Inszenierung der Politik sorgen und aus Politikern Marken machen?

Michael Spreng, Leiter des Stoiber-Teams im Wahlkampf 2002, und Matthias Machnig, ehemaliger Kampa-Chef und so genannter "Kanzlermacher", sehen das anders, nämlich ihren Einfluss begrenzt. "Es gibt keine inszenierten Politiker", behauptet Spreng. "Die Botschaft eines Politikers ist zentral, er muss eine Mission und im besten Fall eine Überzeugung haben." Matthias Machnig setzt noch eins drauf, wenn er deklamiert: "Es gibt keinen Widerspruch zwischen themen- und personenbezogenem Wahlkampf". Themen seien von den Personen unablösbar. Dass das nun einfach nicht stimmt, zeigt schon die gängige Rotation in den Ressorts - jeder kann anscheinend für alles zuständig sein. Auch die grassierende Aneignung von Themen des politischen Feindes bis zur vollkommenen Profillosigkeit der Parteien ist ein Indiz. Kein Wunder, dass niemand mehr weiß, wen er wählen soll - was nicht zuletzt den Beratern den Schweiß auf die Stirn treibt.

Marken brauchen Websites

Politikberater werden im amerikanischen Sprachgebrauch "Spin-Doctor" genannt. Sie gelten als PR-Agenten, die negative Schlagzeilen ihres Schützlings vermeiden und ein positives Image um ihn herum aufspulen, also eine Deutungshoheit über dessen Worte und Taten beanspruchen. Ihren Berufsstand gibt es noch nicht lange. Erstmalig umgab sich Ronald Reagan 1984 mit externen Beratern, die seiner für politische Verhältnisse nicht lupenreinen Vita einen neuen Anstrich verliehen. Seitdem ist es im angelsächsischen Raum gang und gäbe, für professionelle Beratungsleistungen einiges Geld auszugeben. Matthias Machnig berichtete, dass er einmal spontan mit Tony Blair zweieinhalb Stunden zusammen gesessen sei, während sein Kunde Gerhard Schröder niemals so viel Zeit für ihn zu opfern bereit gewesen wäre.

Dass die Politik in dieser Hinsicht, wie in manch anderer auch, der Wirtschaft gefolgt ist, ist genauso offenkundig wie der bisweilen sich nicht einstellen wollende Erfolg solcher Dienstleistungen. Die "Aktion 18" der FPD etwa ist das schlagende Beispiel für ein fehlgeleitetes Coaching: Die "Spaßpartei" fuhr im "Guidomobil" direkt gegen die Wand. Fritz Goergen, verantwortlicher Kommunikationsberater von Westerwelle und Möllemann im Wahlkampf 2002, will heute davon nichts mehr wissen: "Ich bin aus der Partei ausgetreten."

Vielleicht ist es diese enge Identifikation, die es nur im Bereich der Politikberatung gibt und die einer gewissen Betriebsblindheit Vorschub leistet - und damit dem Misserfolg. Vielleicht ist es aber auch ein prinzipieller Trugschluss, der wie ein Mantra von allen Beteiligten auf der Tagung heruntergebetet wurde: Politiker müssten authentisch sein.

Sei es Eberhard Diepgen, Christian Ströbele, Silvana Koch-Mehrin oder die bereits erwähnten Politakteure - sie alle beanspruchen für sich größte "Authentizität", flankiert von ihren Beratern, die auf die vorhandene persönliche Glaubwürdigkeit der von ihnen betreuten Politiker aufzusatteln behaupten. In Wahrheit produzieren sie erst deren "Echtheit", denn Authentizität ist ein Effekt medialer Darstellung und keine Wesenheit der Protagonisten. Inwieweit sich "Echtheit" gestalten lässt, zeigte sich gut am Beispiel der "Kanzlerduelle", auch wenn das dahinter stehende Coaching nicht allein wahlentscheidend gewesen sein mag.

Am wenigsten scheint sich Brigitte Zypries über die Inszenierung der Politik Illusionen zu machen. Die Bundesjustizministerin hatte eine Beamtenkarriere eingeschlagen und plante nie eine Spitzenposition: "In der zweiten Reihe verbietet sich die Inszenierung von selbst", weiß sie. Die ist nämlich den "Marken" in der ersten vorbehalten und die haben alle eine eigene Website.


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