Das Leben kann schön sein, wenn man nicht fernsehen muss, sondern dem Rauschen des Mittelmeeres in Djerba, Tunesien, lauschen darf, wie es endlos Wellen an den Strand wirft und wieder zurückfordert, seit Jahrtausenden. Schon den Mannen Odysseus´, die hier Station machten und honigsüße Jasminblüten kauten, gefiel es ausnehmend gut und sie weigerten sich, die Insel wieder zu verlassen. Den antiken Mythos beschwörend wird Jean-François Boyer, frisch gekürter Direktor eines erstmalig hier stattfindenden Fernsehfestivals, nicht müde, den Zauber der Insel Djerba zu beschwören: "Seit Odysseus ist Djerba ein Ort des Dialogs, hier treffen Kulturen und Religionen aufeinander."
Als Ort der Begegnung zwischen Okzident und Orient, zwischen europäischer und arabischer Fernsehkultur will sich das TV-Festival positionieren. Warum man dazu allerdings die eigentlich nur Billigtouristen bekannte All-Inclusive-Insel auswählte, blieb etwas unklar. Dass die mehrheitlich aus französischem Fernseh-Adel bestehenden Festivalgäste hier ihrem Zielpublikum, der urlaubenden europäischen Mittelklasse, besonders tief in die Augen blicken können, dürfte ein sehr frommer Gedanke sein.
Man muss in Rechnung stellen, dass das Festival in Djerba und sein vierzig Sendungen umfassendes Programm binnen bloß zwei Monaten auf die Beine gestellt worden sind. So erklärt sich auch der gewitzte Auftritt Claudia Cardinales, 1938 in Tunesien geboren, die darauf hinwies, dass die Kultur nur allzu oft missbraucht würde, "um zu flicken, was in der Politik schief gegangen ist". Ziemlich treffend ist damit der etwas hybride Anspruch des Fernsehfestivals umschrieben, welches zu gleichen Teilen vom französischen Außenministerium und vom tunesischen Tourismusministerium unterstützt worden ist: Die einen wollen ihre Programme in dem vor zwei Jahren privatisierten Fernsehmarkt Tunesiens lancieren, die anderen versprechen sich von den weit gereisten Medienleuten ein gutes Urlaubsmarketing.
Der Erfolg einer von offizieller Seite angekündigten gesamt-mediterranen Fernsehkultur dürfte indessen maßgeblich vom Festivalprogramm selbst abhängen, das in seiner ersten Ausgabe mehrheitlich von französischer Konfektionsware geprägt war: Serien, TV-Movies und Dokumentationen. Vom Credo der EU-Medienkommissarin Viviane Redding, die einmal angeregt hatte, vermehrt europäische Programme im arabischen Sprachraum unterzubringen, um auf diese Weise die entsprechende Werte in die islamische Welt einzuschleusen, ist jedenfalls wenig zu spüren gewesen. Oder hatte Frau Redding etwa an das TV-Event Hannibal gedacht, einem schon handwerklich unsäglichen Euro-Machwerk, an dem France 2, BBC, Prosieben und der Discovery Channel beteiligt sind? Auch eine harmlose französische Familienserie wie Turbulence eignet sich kaum zur geheimen Infiltration, zumal das kleine Maghreb-Land Tunesien dergleichen selbst besser kann, wie die von einem Psychoanalytiker und seiner Familie handelnde Serie Chouf-Li-Hall unter Beweis stellte.
Ohnehin scheint es in Tunesien wenig fernsehkulturellen Nachholbedarf zu geben. Seit der Marköffnung 2004 hat sich der erste terrestrische Privatkanal, Hanibal TV, erfolgreich einen Marktanteil von 25 Prozent sichern können. Bloß die Werbegelder fließen nicht entsprechend, weil sie vom Satellitenfernsehen absorbiert werden, das ein jährliches Wachstum von 85 Prozent aufweist. Dort ist, wie überall auf der Welt, das Immergleiche in endloser Folge zu sehen. Auf über 200 Kanälen, die den panarabischen Raum bedienen, drängen sich Spielshows, Telenovelas, Musikvideos und Nachrichten. 41 Prozent der täglichen Sehdauer von über drei Stunden geht in Tunesien beispielsweise für Spielshows drauf, an erster Stelle die Endemol-Produktion Deal or not Deal, 25 Prozent für Sport, und die Binnenserie Chouf-Li-Hall kommt auf stolze zwanzig Prozent. Leicht ersichtlich ist, dass für andere Sendungen wenig Raum und Zeit bleibt.
Bei einer Diskussion über den "Fernsehfrühling in der arabischen Welt" beklagte sich der unabhängige tunesische Produzent Mourad Cheikh darüber, dass solche Zahlen "das Programm pervertieren, bevor es überhaupt entsteht. Die arabische Welt kennt den Markt nicht gut genug, um ihn wirklich zu beeinflussen". Die Hoffnung etwa, mit dem Privatfernsehen könne sich die vom Staatsfernsehen kontrollierte politische Berichterstattung ändern, sei durchweg enttäuscht worden - über die Flüchtlingsströme in der spanischen Enklave Ceuta wurde auch auf Hanibal TV kaum berichtet. Darüber hinaus drückt sich darin die ebenso berechtigte wie geläufige Furcht vor einer westlichen Hegemonialkultur aus, die sich mit den Mitteln der Television breiten Raum verschafft, und zwar auf wirtschaftlichem Terrain.
So verbirgt sich hinter den Stehpartys und Gourmet-Häppchen, dem allabendlichen Tourismusprogramm samt Animation, der nicht geringe Appetit eines global agierenden Massenmediums, dem es nicht um kulturelle Differenzen, sondern möglichste effiziente Distribution geht. Für eine libanesische Produzentin wie Najat Rizk, die eine anspruchsvolle Doku-Serie über die fünfzehn Religionen in ihrem Land präsentierte, bleibt kaum etwas anderes übrig, als auf europäische Koproduktionspartner zu hoffen. Hier könnte sich das Festival in Djerba tatsächlich profilieren, indem man im nächsten Jahr wenigstens für ein Gleichgewicht zwischen europäischen und arabischen Teilnehmern sorgt. "Die Gelegenheit war da", so Rizk, "doch sie wurde nicht genutzt".
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