Strafen und Gebühren statt Musik für Millionen

Kulturkommentar Die Digitalisierung hat die Musikindustrie in die Krise gestürzt. Jetzt will sie vom Staat Hilfe haben

Seit Jahren klagt die Musikbranche über schwindende Umsätze. Als sie auf die Idee kam, Musik zum kostenpflichtigen Download anzubieten, war es zu spät. Inzwischen steigen zwar die Zuwächse ordentlich an, 2007 um 40 Prozent. Doch das goldene Zeitalter der CD ist unwiderruflich vorbei, was vor allem Vertreter der Großkonzerne nicht recht verknusen können.

Viele Musiker haben in der Digitalisierung zunächst die Chance erblickt, unabhängig von Musiklabels und deren Knebelverträgen ihre Musik im Netz direkt vertreiben. Auf Independent-Plattformen versuchen Bands, Etappen in der Wertschöpfungskette abzukürzen. Betroffen davon ist der Handel. Als Heilsbotschaft gilt die Theorie vom long tail, die Chris Anderson 2004, damals Chefredakteur der Internetplattform Wired verkündete.So soll ein Anbieter im Internet mit einer großen Zahl von wenig gefragten Produkten mehr Umsatz erzielen können als mit wenigen Bestsellern. Heute weiß man: Die Rechnung geht nicht auf. Nach einer aktuellen Studie der britischen Verwertungsgesellschaft MCPS-PRS Alliance sind 85 Prozent der digital verfügbaren Musikstücke bisher nicht ein einziges Mal verkauft worden. Zehn von 13 Millionen Songs sind digitale Ladenhüter.

Das Copyright ist faktisch abgeschafft

Ein düsteres Bild malte die Branche am vergangenen Wochenende auf dem Berliner Symposium „Audio Poverty“: Schlimmer noch als die faktische Abschaffung des Copyright durch jederzeit verfügbare Musik sei der ideelle Wertverlust. Wer seinen iPod mit 80 Gigabyte Songs vollpackt, umsonst aus dem Netz bezogen, weiß die Arbeit, die hinter der musikalischen Produktion steht, nicht mehr wertzuschätzen. Zwar bilden sich um digitale Netzmusik herum immer noch Geschmackskulturen aus. Bloß werden diese Zirkel immer kleiner und spezieller. Das gemeinschaftsstiftende Element von Musik ginge dabei verloren.

Auf dem Markt ist das längst geschehen. Während sich Vertreter jener 85 Prozent schlecht verkäuflicher Werke bereits Gedanken über eine „postökonomische Musik“ machen, die sich von allen Marktzwängen abkoppelt, schreien die immer noch gut verdienenden Hitproduzenten der verbliebenen 15 Prozent bizarrerweise nach dem Staat. Dieter Gorny, Leiter des 2007 gegründeten Bundesverbandes Musikindustrie, forderte, mit neidischem Blick auf die Filmbranche, größeres staatliches Engagement für die Musikindustrie. Obwohl Musik fester Bestandteil der Alltagskultur sei, werde sie nicht im gleichen Maße staatlich alimentiert wie der Film. „Das kommt daher, dass wir nicht konsequent den gesellschaftlichen Diskurs für die eigene Bedeutsamkeit führen“, sagte Gorny.

Wo bleibt die Kulturflatrate?

Im selben Atemzug sprach sich der ehemalige VIVA-Chef für Sanktionsmodelle gegen Raubkopierer aus, wie sie Frankreichs Präsident Sarkozy gerade gesetzlich umsetzt. Dort können bald auffälligen Software-Piraten die DSL-Leitungen gekappt werden, indem man Internet-Provider zur Daten-Denunziation zwingt. Ist dies die Antwort der Musikindustrie auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters?

Anstatt endlich konkret über eine Kultur-Flatrate nachzudenken, eine Pauschalabgabe für alle digitalen Inhalte ähnlich der GEZ-Gebühr, geht es den Musikfunktionären bloß darum, die eigene Haut zu retten. Auf diese Weise erscheint die Sache mit der „gesellschaftlichen Bedeutsamkeit“ tatsächlich nicht ganz klar.


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