Süßer Horror Jugend

Im Kino Stilsicher bis in den knöchrigen Ringfinger - "Tim Burton´s Corpse Bride"

Eine romantische Schwärmerei verbindet Tim Burton mit dem Makabren. Seit seinen frühen Anfängen hat der amerikanische Regisseur ein Faible für das Morbide entwickelt. Schon im Erstling Vincent, eine 1982 entstandene Hommage an die Horrorfilm-Ikone Vincent Price, halluziniert ein kleiner Junge von einer Schattenwelt, in die er sich Zuflucht wünscht aus Verdruss über die irdischen Gegebenheiten. Immer wieder zeigen Burtons zurückgezogen lebenden Gestalten sich fasziniert vom morbiden Charme des Jenseits, wo es stets viel bunter und lebhafter zugeht als im tristen Hier und Jetzt. So auch im neuen Film Corpse Bride, einem Puppentrickfilm, mit dem Tim Burton einmal mehr seinen stilsicheren Umgang mit der Ikonografie des Horrors unter Beweis stellt.

Der Film basiert in Auszügen auf einem alten russischen Märchen. Der junge Victor (im anzuratendem Original von Johnny Depp gesprochen), Spross einer neureichen Fabrikantenfamilie, ist der Tochter der adligen, aber verarmten Everglots versprochen. Von der Zwangsheirat erhoffen sich beide Familien Vorteile - die einen soziales Prestige, die anderen sanierte Finanzen. Wider Erwarten finden Victor und Emily (gesprochen von Emily Watson) aneinander Gefallen, doch bei den Proben zum Trauungszeremoniell verhaspelt sich der schüchterne Liebhaber. Er zieht sich zurück in einen Spukwald, um das Gelübde zu üben. Als er dabei den Hochzeitsring an einen Ast steckt, verwandelt dieser sich in einen knöchrigen Finger, der zum Skelett einer wiedererweckten Untoten gehört, Emily (gesprochen von Helena Bonham Carter), die sich mit Victor nun vermählt glaubt und ihn mit ins Totenreich hinabnimmt.

Ein idealer Stoff für Tim Burton, der bereits mit The Nightmare before Christmas einen künstlerisch überragenden Animationsfilm schuf. Auch der visuelle Stil von Corpse Bride stellt vieles, was man sich unter einem Puppentrickfilm vorstellt, in den Schatten. Burton hat es verstanden, einen charmanten Kontrast zu schaffen zwischen den düsteren Farben der viktorianischen Oberwelt, einer von gotischer Enge geprägten Kleinstadt, und der Unterwelt, wo es viel schillernder und ausgelassener zugeht als unter den Lebenden. Bevölkert wird dieses Pandämonium von einem bizarren Figurenarsenal aus Skeletten und versehrten Gestalten, die einem bereits aus anderen Burton-Filmen, beispielsweise aus Beetlejuice, vertraut vorkommen. Die gesamte Anmutung von Corpse Bride lässt sich als ironisch grundierter Horror beschreiben.

Horror trägt in Burtons Filmen immer den lieblichen Touch der Ironie. Im Amerikanischen ist für diese Art Humor der Begriff "tongue in cheek" geprägt worden, der sich mangels uns bekannter mimischer Entsprechung am Besten mit Augenzwinkern übersetzen lässt. Den gesamten Film durchziehen eine erfrischende Naivität und romantische Ironie. Der bläulich-blässlichen Emily, die sich grämt, von Victor nicht geliebt zu werden, wird geraten: "Don´t feel blue" (sei nicht traurig). In einem tanzenden Hundeskelett erkennt Victor seinen verstorbenen Vierbeiner und meint: "Du hättest ihn mit Fell erleben sollen." In der Oberstadt läuft aufgeregt ein Bote, dessen Körper die ausladenden Formen einer Kirchturmglocke aufweisen, mit einem Glöckchen durch die Straßen.

Wie schon in Nightmare before Christmas arbeitet Burton in Corpse Bride mit musicalhaften Gesangsnummern, die eher noch als die etwas dürftige Geschichte voranzutreiben ein Plateau für visuelle Einfälle bieten. Zur heiteren Stimmung, die der Film trotz aller ausgestellten Düsternis anschlägt, trägt in besonderer Weise die Filmmusik von Danny Elfman bei, Burtons Stammkomponist. Der oscarprämierte Musiker steht für satten Orchestersound, zartes Glockenspiel und dräuende Chöre. Hier allerdings übernimmt die Musik noch eine weitere Funktion, als nur Stimmung zu transportieren: Sie vereint die für Burton typischen, nur lose von einer Story zusammen gehaltenen visuellen Plateaus. Wie aus einem Guss verschmelzen die akustische und visuelle Tonalität zu einer etwas pompösen emotionalen Sinfonie.

Kein Zweifel, Tim Burton ist im Mainstream-Kino angekommen. Der jahrelang als Geheimtipp gehandelte Regisseur, der 1989 mit Batman einen kommerziellen Megaerfolg, aber künstlerischen Offenbarungseid gelandet hatte, befindet sich inzwischen in der glücklichen Situation, seine aus dem Rahmen fallende Liebhaberei ungezügelt ausleben zu können. Sein an popkulturellen Referenzen nicht gerade armes Werk speist sich aus einer intensiven Mediensozialisation in jungen Jahren - Pulp-Storys, Fernsehserien und Horrorfilme -, aus denen er eine sehr individuelle künstlerische Handschrift amalgamiert hat. Die Quellen seiner Inspiration hat Burton dabei - oftmals in Form der Hommage - stets verraten. Im Falle von Corpse Bride liegen Anleihen beim Werk von Trickspezialist Ray Harryhausen auf der Hand. Dessen zur Vollendung gebrachte und heute von der Computeranimation verdrängte Stop-Motion-Technik hat Burton mit Corpse Bride wieder aufleben lassen.


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