Haben Sie schon einmal von der „Europeana“ gehört? So nennt sich „die“ europäische Universalbibliothek, in der kulturell bedeutsame Bücher, Texte, Fotos, Videos und Töne digital zusammengeführt und mit ihren Ursprungsorten in den unzähligen Archiven Europas verlinkt werden. Sucht man etwa nach Franz Kafka, gerät man an einige Bilder aus der österreichischen Nationalbibliothek, an ganze 19 Texte aus Universitäten in Slowenien und Ungarn sowie an sieben Videoausschnitte aus dem französischen Institut national de l’Audiovisuel.
4,6 Millionen „digitale Objekte“ sollen in der Datenbank bereits verknüpft sein. Davon Gebrauch macht kaum jemand, was sowohl an der mangelnden Publizität des Projekts liegt als auch an der schlechten Aufbereitung der Daten. Viele Links laufen in die Irre, sobald ein Archiv etwas an der Internet-Adresse ändert. Die „Europeana“ ist typisch europäischer Murks – gut gemeint und schlecht gemacht.
Die Google Büchersuche dagegen funktioniert ziemlich gut. Beim Stichwort Kafka listet sie knapp 15.000 Suchergebnisse auf. Unter den vorderen Treffern befinden sich gescannte Kopien der Originalwerke Kafkas, deren Urheberrecht abgelaufen ist und die nun in Auszügen online gelesen werden können. Andere Treffer beziehen sich auf Sekundärliteratur, wo Textstellen mit dem Begriff „Kafka“ gelb markiert worden sind und mit der Seitenangabe versehen. Hinweise auf den Erwerb der Schriften bei Online-Buchhändlern wie Amazon und Barnes Noble sind am linken Bildrand untergebracht.
Seit Dezember 2004, als Google mit einigen amerikanischen Universitätsbibliotheken eine Vereinbarung zum digitalen Erfassen der Bestände traf, legt der Suchmaschinen-Konzern millionenfach Bücher auf seine Scan-Maschinen. Er beruft sich dabei auf eine Fair-Use-Klausel im amerikanischen Copyright. Danach kann urheberrechtlich geschütztes Material, wenn es der öffentlichen Bildung dient, ohne Autorisierung zugänglich gemacht werden.
Amicus Curiae
Im deutschen Urheberrecht gibt es vergleichbare Klauseln, wie etwa die genehmigungsfreie Übernahme von Texten in Schulbücher oder das Recht auf eine Privatkopie.
Gleichwohl strengte der amerikanische Autoren- und der Verlegerverband schon 2005 eine Sammelklage gegen Google an, der sich mit einiger Verspätung auch europäische Länder, darunter Ende August dieses Jahres die Bundesrepublik, in Form eines Amicus Curiae-Briefes angeschlossen haben. Auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hatte gegen die Google-Absicht Stellung bezogen. In der Zwischenzeit hatte Google den Rechteinhabern einen Vergleich angeboten: eine Pauschalvergütung in Höhe von sechzig Dollar für jedes eingescannte Werk sowie die 63-prozentige Beteiligung an allen Einnahmen. Google verdient sein Geld bekanntlich mit Werbung und will zukünftig auch in den E-Book-Markt einsteigen.
Der Vergleich, das so genannte Google Book Settlement, ist nun vom Tisch. Nachdem auch das US-Justizministerium Bedenken gegen das Abkommen angemeldet und sich den europäischen Bedenken angeschlossen hatten die Parteien des "Google Book Settlements" angekündigt, den Vergleichsvorschlag grundlegend überarbeiten zu wollen.Was haben die Urheber nun gewonnen?
Empörung rankte sich vor allem um das Vorgehen von Google nach dem Motto „Erst handeln, dann fragen“. Das ist verständlich, zumal es eine übliche Konzernstrategie zu sein scheint, wie das Beispiel Google Street View zeigt.
Allerdings wird allzuoft durch allzu ausgiebige Fragerei das Handeln gleich im Keim erstickt. Hätte sich Google im Vorfeld mit allen Verlegern, Vertretern und Verwertern ins Benehmen gesetzt, wäre mit Sicherheit noch kein einziges Buch erfasst worden. Inzwischen sind zehn Millionen Werke digitalisiert, darunter zwei Millionen aus verlegerischen Partnerprogrammen. Und der Krach geht erst los.
Kein Monopol
Mehr als 2.600 Autoren, Verleger und Bedenkenträger haben hierzulande einen „Heidelberger Appell“ unterzeichnet der sich verlegerfreundlich für „Publikationsfreiheit“ einsetzt und den Feind bei Google und der wissenschaftsinternen Open-Access-Bewegung ausmacht. Während etwa die Verlagsgruppe Random House künftig an Googles Partnerprogramm teilnehmen will und sich 100.000 Titel digitalisieren lässt, sind Unterzeichner des Appells längst bei Google dabei.
Datenschützer mokieren sich über die geldwerten Metadaten wie ISSN-Nummern, die von Google gesammelt und weiterverkauft werden könnten. Fehlende Transparenz und die Kontrolle des Konzerns werden eingefordert. Selbst um verwaiste, vergriffene Bücher, deren Autoren froh sein sollten, wenn jemand die dicke Staubschicht wegbläst, ist ein Eklat entstanden, weil Google hier ein Monopol bilden könnte.
Während sich also die Interessengruppen in Stellung bringen, weil ihnen die gesamte Digitalisierung nicht geheuer ist, haben die Nutzer das Nachsehen und erhalten auf absehbare Zeit keinen Zugriff auf den praktischen Wissensfundus, der die Recherche erleichtert und die Kaufentscheidung beflügelt.
Die Lösung könnte nahe liegen: Google müsste nur die Urheber selbst um Einverständnis bitten, anstatt ihnen eine Rücktrittsklausel aufzubürden. Die erwirtschafteten Umsätze sollten von den Verwertungsgesellschaften kontrolliert werden können.
Im Falle von Googles Insolvenz müsste sichergestellt sein, dass die Digitalisate an die jeweiligen Nationalbibliotheken gelangen. Die sind zurzeit nicht in der Lage oder bereit, viel Geld für die dauerhafte digitale Sicherung ihrer Bestände aufzubringen. Und wenn sie es tun und sich zusammenschließen, kommt eine „Europeana“ dabei heraus.
Die Illustration zu diesem Text entstand auf . Erstellen Sie ihr eigenes Kunstwerk durch Eingabe eines Künstlernames. Per Zufallsprinzip kreieren Sie so ihr ganz persönliches Literatenkunstwerk.net.art-generator.com
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.