Erkläre mir einer, was Rainald Goetz mit Vanity Fair, Joachim Lottmann mit der taz und Rainer Langhans mit dem Focus verbindet. Dort betreiben sie ein Weblog, ein Internet-Tagebuch mit fast täglichen Aufzeichnungen. Auf den ersten Blick: verkehrte Welt. Auf den zweiten immer noch. Und schließlich darf man spekulieren. Der Münchner Bussi-Gesellschaft ist jede Allianz zuzutrauen. Lottmann, beim Spiegel rausgeflogen, hat Unterschlupf bei der taz gefunden, die ihre Viel- und Langschreiber ins Netz auslagert. Ulf Poschardt will von seinem Neocon-Image ablenken und leistet sich einen Hofnarren. So könnte es sein.
Der Narr spricht wahr. Rainald Goetz hat schließlich viel Erfahrung mit dem Bloggen. 1998/99 war sein Jahrestagebuch Abfall für alle zuerst im Netz und schließlich als 863 Seiten starker Band bei Suhrkamp erschienen. Danach verfasste er noch Dekonspiratione und verstummte - bis auf gelegentliche Aufsätze - für einige Jahren, bis er Anfang Februar mit dem Klage-Blog bei Vanity Fair aus der literarischen Versenkung aufgetaucht ist. Formal hat sich in den zehn Jahren wenig verändert. Wie damals streut Götz Aphorismen, Gedichte, Alltagsbeobachtungen, Lektüreergebnisse, Kino- und Galeriengänge und Begegnungen in Berlin-Mitte lose ein. Kursorisch berichtet er vom Kurnaz-Untersuchungsausschuss.
Sein Schreibideal hat Goetz als "bewusstlos, ichstark und zugleich quasi autorschaftsfrei" beschrieben. Sein Schreibprinzip "liegt aber auf der Wahrheitswaage des zitternden Aufnehmens aller von Weltseite her entgegenkommenden Momente, jedes einzelne Wort, jeder Blick, jede Geste, jeder Tonfall und Gedanke". Pop als seismografische Präzisionsleistung geht bei Götz, diametral zu Lottmann, einher mit gedanklicher Radikalität und moralischer Unbestechlichkeit. "Das Punkgefühl des Denkens." Dabei erweist sich Goetz als Moralist und Gläubiger. Er glaubt ans gute Karma, an "Anständigkeit, für die manchmal auch Arbeit am Selbst nötig sein kann" und die er in der "neuen Bürgerlichkeit" der Berlin-Mitte-Gesellschaft nicht häufig antrifft.
Bei seiner Arbeit am Selbst lässt er sich über die Schulter blicken, und dem geneigten Leser begegnet eine irgendwie vertraute Intellektuellen-Existenz: "Du sollst lesen und denken, nicht einfach nur schöne Bilder gucken", schreibt er sich am 28. Februar ins Stammbuch. Doch auch hier gilt: Abfall, für alle was dabei. Und jeder kriegt sein Fett ab. Ursula von der Leyen möchte er "in einem großen Schwall" ins Gesicht kotzen. Sonntagszeitungs-Kulturchef Seidl wird grassierende Ratlosigkeit attestiert, SZ-Chefredakteur Kurt Kister eine "regierungskriecherische" Haltung zu Rotgrün. Matthias Matussek - konsequent "Qualli" genannt - steigt zum bespöttelten Erzfeind auf. Kollegenschelte über alles. "Da ist Florian Illies, guten Tag."
Auch Joachim Lottmann, dem vermeintlichen "Vater der Popliteratur", sind einige Zeilen gewidmet, woraus jener in seinem taz-Blog Auf der Borderline nachts um halb eins gleich eine Art gegenseitiger Hassliebe konstruiert und die taz ein Blog-Duell. Dazu würde sich Goetz sicherlich nie hinreißen lassen. In "Dekonspiratione" hatte er Lottmann einmal pathetisch als "zutiefst isoliert, entsolidarisiert und im Innersten zerborsten zu ewiger Einsamkeit" bezeichnet, worauf Lottmann peinlicherweise in seinem Blog mit Seitenangabe verweist. Auch sonst fällt Goetz zu Lottmann wenig Gutes ein: "Lügeneimer", "storyfanatisch" und "irrlichternd verkommen" lauten die Vokabeln für den "Lottmannschen Comic-Cosmos".
Dem ließe sich noch einiges hinzufügen: sexistisch, notgeil, egoman und peinlich, peinlich, peinlich. Beim 52-jährigen Lottmann, der sich - tratsch, tratsch - genauso wie Matthias Matussek strengste Trennkost verordnet hat, finden sich endlos eitle Beschreibungen, wer mit wem wann und wo verkehrte, was dabei gegessen, getrunken und geredet worden ist. Ein selbstgefälliges Who-is-Who der Mitte-Gesellschaft lässt Lottmann zentralperspektivisch Revue passieren. Der Witz daran, sein altes Stilprinzip: Nie weiß der Leser, was davon stimmt und was hinzugedichtet worden ist. "Bullshit und Wahrheit". Einige der Protagonisten haben sich bereits in den Kommentaren beschwert. Auch diese könnten freilich von Lottmann erfunden worden sein. Oder von Goetz verfasst: "Lottmann schreibt/ die Welt ersteht/ als Diskokugel und vergeht".
Der romanhaft geschriebene Blog lässt befürchten, dass der Autor eine Zweitverwertung als Buch beabsichtigt. Darauf möchte man wetten. Dabei ist diese Art von Pop-Literatur einfach nur eindimensional und öde, ihre Wirklichkeit unreflektiert, durchgehechelt und getuned. Offenbar liegt ihr die Idee zugrunde, dass Fälschung und Lüge ein literarisches Surplus bilden. Künstlerische Reflexion können sie jedenfalls nicht ersetzen. Allerdings gibt es bei Lottmann eine Geschichte, die, vermutlich ebenfalls erlogen, dennoch interessant ist. Er macht sich Ariadne von Schirachs (Autorin von Der Tanz um die Lust) Feldzug gegen die Pornografisierung der Gesellschaft zu eigen, erfindet den Tod seiner Frau (beziehungsweise ihre Auswanderung nach Indien), um sich nach einer gleichaltrigen Partnerin mit dem "vertrauten Körper" umzusehen. Lottmanns Statement gegen den Jugendwahn. Aua!
Dazwischen immer wieder Werbeunterbrechungen. Entweder in eigener Sache, wenn Lottmann eine Freundin einen kompletten Zeit-Artikel vorlesen lässt, in dem das letzte Lottmann-Buch Die Jugend von heute rezensiert wird. Oder er puscht seinen Neffen Severin Winzenburg und dessen Poproman Stille Tage in L.A., bis dieser schließlich, ebenfalls peinlich berührt, interveniert, was von Lottmann kokett festgehalten wird. Ist das nicht komplett kirre? Nein, urteilt Die Zeit, es handelt sich um die "Lottmann-Methode bizarrer Indiskretion zur Wahrheit". Die Frage, mit wem man lieber Bier trinken gehen würde, ist schnell geklärt: "Bier, Bier, Bier, Bier, Wodka, Wodka, Bier, Bier. Puhchen. Kann mich kaum noch auf den Bauern halten" (Rainald Goetz).
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