Video-Welt am Draht

Der Sprung ins Wohnzimmer Musik- und Filmindustrie stöhnen über rückläufige Umsätze, dabei wird der angebliche Schaden, den "Raubkopierer" in Tauschbörsen anrichten, durch die Verlängerung der Verwertungsketten kompensiert

Längst wird das Filmgeschäft nicht mehr an der Kinokasse entschieden. Die Besucherzahlen sind trotz neu errichteter Kinopaläste und verbilligter Kinotage seit Jahren rückläufig. Das Kino als Ort gemeinschaftlichen Sehens, es hat scheinbar ausgedient - zumindest in kommerzieller Hinsicht. Die Filmförderungsanstalt (FFA) beziffert den Umsatz an der deutschen Kinokasse für das Jahr 2003 mit 850 Millionen Euro. Dagegen kann der Bundesverband Audiovisuelle Medien (BVV) für den gleichen Zeitraum auf satte 1,55 Milliarden Euro Reinerlös durch den Verleih und Verkauf von Videos und DVDs verweisen. Knapp das Doppelte.

Insbesondere DVDs haben sich, parallel zu ihrem Preisverfall, als außerordentlich lukratives Geschäft entpuppt. Mit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz überwiegen Kauf-DVDs inzwischen alle anderen Medien. Dabei ist ein Anstieg um mehr als 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen, Leih-DVDs haben sogar um 66 Prozent zugelegt. In diesem Segment tut sich ein neuer Markt auf: Internet-Videotheken.

Die Industrie will verstanden haben, wohin der Trend geht: auf die Wohnzimmer-Couch. "Heute bestellt und morgen im Briefkasten" - so preisen Netzvideotheken wie Amango, Dividi, Netleih oder inVDeo ihre Dienste an. Für eine von der Anzahl an Leihdisks abhängigen Monatspauschale, zwischen fünf und 40 Euro je nach Maximalzahl gleichzeitig bestellter DVDs, können Wunschlisten angelegt oder aktuelle Titel vorbestellt werden und treffen peu à peu auf dem Postweg beim Kunden ein. Das geht schnell und zuverlässig.

Und es ist ein boomender Markt. "Das Online-Geschäft", verrät Nicolas Lissner vom Anbieter Dividi Entertainment aus München, "wächst explosionsartig". Über 10.000 Titel hat der Anbieter, teils als Trailer in der Voransicht, verfügbar. Bei anderen Online-Videotheken sieht es ähnlich aus. Genaue Umsatzzahlen weist der in Deutschland erst sechs Monate alte Markt aber noch nicht aus. Dagegen liegen vom börsennotierten, größten amerikanischen Verleih Netflix inzwischen aktuelle Werte für das erste Quartal 2004 vor: Der Reinerlös von 100,4 Millionen Dollar überstieg um 80 Prozent das Ergebnis des ersten Vorjahresquartals und um 24 Prozent das vierte Quartal 2003. Schlechte Zeiten also fürs Kino.

Datenströme statt bunter Scheiben

Attackiert wird das seit Jahren rückläufige Kinogeschäft zusätzlich durch Video-on-Demand. Anbieter wie T-Online-Vision, Arcor und oder der Lokalbetreiber HanseNet sind noch nicht allzu lange im Streaming-Geschäft vertreten. Für Preise zwischen einem Euro für Kinderfilme (bei Arcor) und fünf Euro für zwei Spielfilme (bei T-Vision), können mittels DSL-Leitung Filme heruntergeladen und angeschaut werden. Beim ältesten, Ende 2001 gestarteten Dienst von Arcor sind immerhin 1.300 Titel im Programm, HanseNet hat 700 im Angebot, und T-Online-Vision hinkt derzeit mit 84 Titeln hinterher. Bis Jahresfrist, hat man sich vorgenommen, sollen es 300 werden.

Der Kunde hat sich lediglich beim Anbieter zu registrieren und einem der angebotenen Abrechnungsverfahren zuzustimmen. Für den proprietären Dienst von T-Vision muss man auch T-Online-Kunde sein, Arcor streamt für alle. Ist der Download eines Videos einmal in Gang gesetzt, kann praktisch unmittelbar mit dem Sichten begonnen oder das Video auf dem PC zwischengespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt betrachtet werden. Nach dem Filmbeginn bleiben 24 Stunden Zeit, den Streifen, auch wiederholt, zu sehen - danach löst sich die Datei in Wohlgefallen auf. Hierfür sorgt ein elektronisches Digital-Rights-Management (DRM), das die verliehenen Verwertungsrechte überwacht und den Film mit einem Kopierschutz versieht. Überspielen auf DVD ist ebenfalls unmöglich - und im Übrigen vom neuen Urheberrechtsgesetz auch untersagt.

Dass Video-on-Demand ein zukunftsträchtiges Geschäft ist und wohl den Gang in die Videothek oder die Internet-Bestellung von DVDs einmal ablösen wird, ist heute schon absehbar. Die Zukunft des Home-Entertainment sieht keine Medienträger mehr vor, sondern nur noch Datenströme. Ausschlaggebend dafür jedoch wird der so genannte "Sprung ins Wohnzimmer" sein, die Verbindung von PC und Fernsehgerät. An dieser technischen Konvergenz basteln beide Seiten. Die TV-Industrie präsentierte bereits auf der letzten Berliner Funkausstellung Settop-Boxen mit Internetzugang und Festplattenspeicher. Ein solches System will T-Online nun mit dem "Activity Media Center" vertreiben. Für den stolzen Preis von 1.300 Euro dürfen sich vor allem "early adopter" und Technikfixierte angesprochen fühlen. "Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung", versichert T-Online Sprecher Martin Frommhold, "wenngleich ein Massenmarkt wohl nur mit Geräten deutlich unter 1.000 Euro zu erreichen ist."

Der Konkurrent Arcor setzt in puncto Couch-Affinität dagegen auf den mit dem Fernseher verbundenen PC und das "Windows XP Media Center", eine komfortabel per Fernbedienung zu steuernde Benutzeroberfläche für alle digitalen Medien, Videos, Musik und Fotos.

Teuer aber legal

Im Bereich Musik bietet sich ein ähnliches Bild: Seitdem Tauschbörsen in den Verdacht gerieten, das Musikgeschäft zu kannibalisieren, und der Umsatz laut aktuellen Angaben der deutschen Phonoverbände im Jahr 2003 erneut um 20 Prozent zurückgegangen ist, beeilen sich alle Unternehmen im lange vernachlässigten Online-Markt Fuß zu fassen. Beim amerikanischen Vorreiter iTunes von Apple ist das Online-Angebot, gerade erst zwölf Monate alt, auf mehrere Millionen Titel angeschwollen. Die ehemalige Tauschbörse Napster hat sich im Feindeslager eingerichtet und bietet Musik nunmehr legal feil. Das Angebot von Phonoline, dem von Kanzler Schröder auf der Cebit gestarteten deutschen Dienst, nimmt sich dagegen vergleichbar bescheiden aus. Dort stehen zur Zeit 250.000 Titel im Programm. Von den 10.000 Zugriffen und 8.000 Hörproben pro Tag passieren schließlich 1.000 gekaufte Musiktitel den Weg zum PC des Kunden.

Bei Phonoline liegen die Kosten bei 99 Cent pro Song. "Das bleibt auch so", verkündet Sprecher Klaus-Peter Schulenberg, "denn ich brauche Volumen, um zu vernünftigen Erträgen zu kommen." Bei der Konkurrenz Popfile indessen, dort als "Exklusiv-Track" getarnt, müssen bis zu 1,99 Euro pro Song berappt werden, beispielsweise für einige Titel der Jazzinterpretin Diana Krall. Fünf Mal können die mit 192 Kilobit kodierten MP3-Songs auf CD gebrannt oder auf einen portablen Player exportiert werden. Dann waltet der Kopierschutz seines Amtes. Vor kurzem meldete das Wall Street Journal, dass die Musikindustrie bereits an eine Erhöhung der Gebühren denkt. Einzelne Songs könnten zukünftig bis zu 2,49 US-Dollar kosten. Schon jetzt liegt der Preis für das komplette Krall-Album The Girl in the other Room im Download-Verfahren bei 19,80 Euro, während es als CD bei Amazon für 13,99 Euro erhältlich ist.

Obwohl der Musikindustrie keine Herstellungskosten für CD und Booklet, sondern nur Unkosten für den Datenverkehr entstehen, ist man sich dort sicher, dass die Kunden den Preisanstieg hinnehmen. Marktumfragen zu Folge legen die User mehr Wert auf leichte Bedienbarkeit eines Online-Shops und auf sofortige Verfügbarkeit als auf den Preis. Wie so vieles, bleibt dies abzuwarten.

Vor dem Hintergrund des verheißungsvollen Online-Geschäfts nimmt sich das Geschrei um die Tauschbörsen und die Kriminalisierung ihrer Nutzer freilich fadenscheinig aus, beginnen doch die legalen Angebote die vermeintlichen Verluste zu kompensieren. Überdies fand eine Studie der Harvard Business School heraus, dass der Verkauf innerhalb der Pop-Charts vom Musiktausch positiv beeinflusst wird. Demnach haben Tauschbörsen einen multiplikatorischen Effekt auf populäre Titel: Pro 150 Downloads eines Songs, dessen Album bereits 600.000 Mal über den Ladentisch ging, steigert sich der Verkauf statistisch um eine Kopie.

Links siehe Amango: www.amango.de; DiViDi: www.dividi.de; Netleih: www.netleih.de; inVDeo: www.invdeo.de; HanseNet: www.hansenet.de; Arcor: www.arcor.de/vod; T-Vision: www.t-online-vision.de; Apple iTunes: www.itunes.com; Napster: www.napster.com; Phonoline: www. eventim-music.de; Popfile: www.popfile.de

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