Der Lebewesentliche

Tierschützer Der Millionär Michael Aufhauser weiß, es verändert nicht viel, wenn er Hängebauchschweine, Hunde und ­Affen rettet. Aber er hofft es

Die dunklen Zeiten wollten nicht enden auf Aiderbichl. Auf dem Hügel über Henndorf, ganz in der Nähe von Salzburg, herrschten in der Heimatfilmlandschaft oberhalb des Wallersees nichts als Zwist und Rachsucht, Verrat und Hinterhalt. Es war eine Welt des Schreckens, in der eine Frau lebte, die man bis heute nicht ohne heiligen Respekt „Die Aiderbiin“ nennt. Diese 1929 geborene Bauerntochter, bürgerlich Kathi Huber, war schon mit 33 Jahren die einzige Bäuerin unter lauter Bauern weit und breit, dazu damals noch unverheiratet, aber vertraut im Umgang mit einem Gewehr, das sie von ihrem Großvater übernommen hatte. Der hatte ihr den Aiderbichlerhof vererbt und es zu Lebzeiten krachen lassen, wenn Einbrecher kamen oder nach dem Krieg die Plünderer. Er stellte die Bauernfamilie dann unter Waffen, Kathi inklusive.

Diese Gegend war nichts für schwache Nerven. Kathis Vater erschoss sich mit einem Jagdgewehr, ein Nachbar brachte sich mit dem Traktor um und ein anderer mit dem Auto. Ein weiterer erhängte sich an seiner Holzhütte im Wald, und nach derselben Methode beendete eine Bekannte aus dem nahen Eugendorf ihr Leben in einer Silvesternacht in Kathis Wäldern. Auch ihr späteres Eheleben stellte jeden Strindberg in die Ecke. Als es, zum Beispiel, zu einer strittigen Verhandlung vor Dritten kam, und sie gerade zu einer Ohrfeige ausholen wollte, habe sie ihr Mann, der Huber, mit einem Hieb gegen ihren Kehlkopf einfach ausgeknockt und sich später eine Pistole gekauft. Fünfmal habe er sie fast „weiterputzt“, also umgebracht, in wesentlichen Fragen immer gegen sie und einig mit dem Bürgermeister und seinem Gemeindesekretär. So ging es hin, dieses Leben auf dem Lande, bis die meisten ihrer Feinde der Teufel geholt hatte.

Aber da war noch etwas, dieser letzte Satz ihres sterbenden Großvaters, wonach eine Wende kommen werde auf Aiderbichl. Sie kam mit dem neuen Jahrtausend, als ein vermögender Mann auf den Plan trat, weit gereist, erfolgreich im internationalen Management, der sich, damals Mitte 40, in Salzburg eine toskanische Villa eingerichtet hatte, mit Koch, Butler, Chauffeur und Zypressen im Garten, und oben auf den Hügeln, am Rand der Wälder, ein Gut mit einer großen Reithalle, einer Konstruktion aus Stahlträgern und Holz und einem kleinen Türmchen mit einer eisernen Wetterfahne. Denn der vermögende Mann war auch ein Reiter.

Diesen Typ rasiere ich nicht

Aber wie es so ist – das Leben begabter Menschen ist kein ruhiger Fluss. Irgendwann kommt unweigerlich die Szene vor dem Badezimmerspiegel, da sagt der Mensch, der an Veränderbarkeit glaubt: Diesen Typ rasiere ich nicht mehr. Oder im anderen Fall: Dieser Bart muss ab. Denn man hat nach einiger Zeit immer Grund genug, mit sich unzufrieden zu sein, und so erging es wohl auch Michael Aufhauser, diesem vermögenden Mann, der vor seinem Büro in Malaga regelmäßig einen streunenden Hund gefüttert hatte, als er sah, wie der Hund in einem Kastenwagen von Hundefängern abtransportiert wurde. Er folgte dem Wagen und fand sich vor einer Gaskammer wieder, in der man die Hunde beseitigte. Er kaufte die Todeskandidaten frei, brachte sie nach Deutschland und dachte von nun an in eine Richtung, die später zum Aiderbichl-Slogan führte: „Leben lieben. Aiderbichl“. Denn es wurde ihm Angst und Bang’, weil er dachte, wer heute Hunde vergast, vergast morgen vielleicht auch wieder Menschen, schließlich liegen die finstersten Zeiten nur 70 Jahre zurück. In Folge verzichtete er auf die private Reithalle, wollte sowieso kein Reiter mehr sein, und beschloss, das Gut insgesamt der geschundenen Kreatur zur Verfügung zu stellen, kaufte Pferde vom Pferdemarkt weg, rettete Tiere vor qualvollen Tiertransporten, nahm Ausgesetzte und Malträtierte auf, trat aber auch bald schon mit der Hospizbewegung in Kontakt und unterstützte Tiertherapien für autistische Kinder. Das Projekt Aiderbichl begann. Das war 2001.

Ich wusste davon nichts, als ich ein knappes Jahr später in einem Wiener Kaffeehaus saß und auf die Spätmaschine zurück nach Berlin wartete, wo ich damals wohnte. Ich überlegte, anlässlich der nächsten Salzburger Festspiele auch etwas über die Festspiel-Society zu ­schreiben und rief die Gesellschaftskolumnistin Ro Raftl an. Sie sagte, dass sich viel verändert habe und es nun, zum Beispiel, diesen Michael Aufhauser gäbe: „Aber der will immer nur über Tiere reden. Pass auf. Musst schauen, wie Du das machst.“ Nach kurzem Hin und Her und „Ro – ich sag‘s nicht“, bekam ich Aufhausers persönliche Handynummer.

Zurück in Berlin rief ich an und hörte eine sanfte Stimme sagen, dass dies fast eine Fügung sei und er in ein paar Tagen einen Empfang gebe, wozu ich eingeladen sei. Es war mir schnell klar, dass da etwas abging, das eine ganze Seite in der Süddeutschen Zeitung ergeben würde.

Hängebauchschwein an der Robe

Es ging ein schöner Frühsommertag zu Ende, als ich ankam. Der Himmel über dem Gut war blau, nur an den Rändern, wo er auf den Hügeln den Wald berührte, sah er schlierig und weiß aus. Der Golfplatz von Altentann, gleich in der Nähe, war schon menschenleer, und während die Vögel zwitscherten, hörte man das Hämmern eines Gutsarbeiters, der einen Holzpflock in die Erde rammte und ein Kälbchen versorgte, das ein rotes Ledergeschirr trug und mit einen Haufen Rüben gefüttert wurde, während emsig arbeitende Bedienstete Buffets aufbauten und Tische deckten.

Der Gutsherr begrüßte mich herzlich und ich hatte das Gefühl, ihn schon lange zu kennen, was natürlich nicht stimmte. Ein Butler, an dem mir besonders die weißen Handschuhe auffielen, brachte Champagner, und allmählich fuhren die Geladenen den Berg herauf. Madame Ah und Madame Uh und Adel und Schauspieler noch dazu. Aber zwischen der honorigen Gesellschaft lief ein sehr gepflegtes Hängebauchschwein herum und machte sich an den Roben zu schaffen. Gerettete Esel dösten in der Sonne. Dies war offensichtlich ein Platz für Tiere, für Schwächere, nicht für Sieger. Und die Gutsgebäude standen in der Landschaft wie Denkmäler. Denk mal!

Aber was hätte es gebracht, wenn Aufhauser Hans Wollschlägers bahnbrechenden Essay „Tiere sehen dich an“ vorgelesen hätte, nach dem auch der Literaturgelehrte selber sein Leben verändert hatte, voller Abscheu gegen eine egozentrische Gesellschaft, die ja nicht nur sich selber bekämpft, sondern einen ganzen Planeten. Weil es ja wurscht ist, wie viele Millionen Jahre Haifische auf dieser Erde leben, wenn die Menschen einfach alle umbringen, um Haifischflossensuppe zu fressen. Weil sie nicht begreifen, dass sie vermutlich die blödesten sind, die den blauen Ball bewohnen. Jedenfalls reicht offenbar schon jenseits der genetischen Bestimmung ein kleiner Rest an Entscheidungsfreiheit aus, um alles zu verschandeln.

Dass er weiß, dass Tierrettung und weitere Maßnahmen nur Symptombekämpfung seien, gab mir Aufhauser schon bald zu verstehen. Und dass man in Zeiten wie diesen aber ohne Entertainment keine Inhalte mehr vermitteln kann. Als wir uns später wieder trafen, war mir klar, dass er ein Mensch ist, der weiß, was er will. Und ein Idealfall, ein Garant, denn er hat die Sehnsucht nach den Partys der Reichen und Schönen hinter sich, es gibt für ihn auch keinen Anlass, an dieser Arbeit zu verdienen, alles kann in das Projekt fließen.

Zwang zur Expansion

Als ich, um meiner Professur nachzukommen, zwei Jahre in Salzburg wohnte, und alles hautnah erlebte, kamen wir in Gesprächen zu zwei wesentlichen Thesen. Die erste: Erst wenn es keinen Tierschutz mehr geben muss, haben wir etwas verändert, nämlich uns. Und zweitens: „Zwischen den Zuständen in manchen Pflegeheimen und den Legebatterien besteht mehr als ein struktureller Zusammenhang. Tierschutz ohne Menschenschutz macht keinen Sinn.“

Inzwischen gibt es 18 Aiderbichl-Höfe, wovon nur zwei öffentlich zugänglich sind; als Beispiel für das Unternehmen und seine Philosophie. Die Arbeit mit chronisch kranken Kindern wird verstärkt, seit Aiderbichl auch den „Sonnenhof“ von Renate Thyssen-Henne und ihrer Tochter, der Begum Aga Khan verwaltet, auch in der französischen Auvergne entsteht gerade ein neues Gut. Die Spenden so vieler Menschen, die inzwischen von Aiderbichl überzeugt sind, zwingen geradezu zur Expansion, weil alles, was hereinkommt, wieder in die Sache selbst investiert wird. Aufhauser würde der Hoffnung ihre Chance nehmen, wenn er nicht entsprechend reagierte. Gerade hat er auf Anfrage des österreichischen Staates, der niederösterreichischen Landesregierung und der Pharmafirma Baxter die Betreuung von 40 Ex-Laborschimpansen übernommen, die vor Besuchern geschützt, den Rest ihres Lebens „in Würde“, wie er sagt, weil er auf alte Werte setzt, verbringen dürfen. Mit den Schimpansen, die Primaten sind, wie wir, und mit denen wir 98,7 Prozent der Gene teilen, befindet er sich an der Schnittstelle zwischen Mensch und Tier.

Inzwischen gibt es auf Gut Aiderbichl eine Schimpansenausstellung, die später auch auf Reisen gehen soll. Sie zeigt zunächst den Gang der Evolution und führt dann in ein Kino, in dem ein Film über die Primaten gezeigt wird. Dann fährt die Leinwand nach oben und gibt den Blick frei auf einen original nachgebauten Käfig, in dem unsere Verwandten für die medizinische Forschung wie in Isolationshaft bis zu 20 Jahre lang dahinvegetieren mussten. Durch kleine Fenster konnten sie ihre Artgenossen sehen, aber nicht berühren. Man schaut dann auf einen noch kleineren Käfig, der an den anderen herangefahren wurde, um sie darin zu Versuchszwecken zu behandeln. Auf dem Weg hinaus blicken die Schimpansen von großen Fotos herunter: „Warum?“ Warum hat man ihre Mütter erschossen und sie hierher gebracht?

Angebunden verhungert

Der Mann auf Aiderbichl ist sich für keine Anstrengung zu schade, um das Ruder gegen den Missbrauch herumzureißen. Schließlich geht es darum, ein Umdenken zu bewirken, und vor diesem Hintergrund, mit der Öffentlichkeit im Rücken, vielleicht ein Büro in Brüssel zu haben, nahe bei denen, die durch Gesetze das Ganze verschulden.

Außerdem: Wenn, zum Beispiel, die Esel in Griechenland bergauf, bergab Säcke schleppen und dann, wenn sie nicht mehr können, in der Pampa an einen Baum gebunden werden, damit sie verhungern, sind wir da in einer Gesellschaft, der das soziale Netz reißt, vielleicht auch bald bei uns selber?

Inzwischen gibt es in Michael Aufhausers Salzburgers Welt keinen Privatkoch mehr und keinen Butler. Die Stadtvilla bewohnen mit ihm zusammen Hunde, Katzen und im Garten Laufenten und Hühner. Sämtlich gerettete Tiere. Geben und helfen hat nicht nur mit Geld zu tun. Das heißt auch Verzichten. Mit schönen Grüßen von Aiderbichl, was so viel heißt, wie Feuerhügel.

Helmut Schödel ist Dramaturg und Autor in Deutschland und Österreich. Zwischen 2003 und 2005 war er Professor am Mozarteum in Salzburg

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